Erstellt am: 27. 2. 2011 - 21:30 Uhr
Journal 2011. Eintrag 45.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Rechnet man das Fußball-Journal '11 dazu bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inklusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Exkurs, der bei den Nasenlöchern von Guttenberg und Grasser beginnt, und über die Medienmachinationen mit Krone bzw. Bild über die Thesen von Rosa und Gremliza zur einer Neu-Klassifizierung des Bürger-Begriffs führt.
Zum Thema "Bild" sei auch die neueste Entwicklung im Fall Holofernes/Jung von Matt/Bild empfohlen.
Dass am Montag dann der Spiegel mit Bild-Cover erschien, ist ein schöner Zufall. Und noch eine Zusammenfassung der Bild-Gutti-Connection-Story.
Manchmal bin ich deutschen Spitzbuben echt dankbar. Auch weil ihre Fälle klären helfen, wie manch österreichisches denn wirklich wahrzunehmen wäre. Manchmal verstricke ich mich nämlich gern in die Vorstellung, dass gewisse, sehr spezifische Irrsinnigkeiten nur hierzulande so ablaufen können, wie sie es tun. Der Fall Grasser etwa: da führt ein Hütchenspieler nicht nur einen Gutteil der politischen Kaste, sondern auch die allermeisten Medien mit immer neu konstruierten Momentan-Wahrheiten in all ihrer Unbeweglichkeit vor und kann sich trotzdem in abstrusen Beliebtheitswerten sonnen.
Und genau da existiert im deutschen Verteidigungsminister Guttenberg nun ein Konterpart, anhand dessen sich allgemeine Schlüsse ermöglichen, die mich/uns aus dem austriazistischen Modell befreien könnten.
Ich meine damit nicht die Praxis einer strukturell korrupten Medienlandschaft, das allzu offensichtliche Mitregieren als Realverfassung. Das funktioniert in Deutschland genauso offen: ebenso wie die Regierung in Österreich Krone/Heute/Österreich über Inseratenaufkommen (und nebenbei auch durch Kredit-Garantien) stützt, versorgt die deutsche Regierung in Gestalt des Verteidigungs-Ministeriums Bild/BamS/Bild.de exklusiv mit einer riesenhaften Bundeswehr-Campaign - obwohl die "Gutti - Gut!"-Kampagne dieser Medien mehr als nur eine simple Vorleistung darstellt.
Korruption und moralische Kategorien
Das alles ist im engeren Wortsinn korrupt. Das ist auch allen Mitspielern und Zuschauern klar.
Allein: wo früher die Aufklärung dorthin, das Wissen darüber gereicht hatte, um Ablehnung, Abscheu und Empörung zu erzielen, dort existiert heute keine moralische Kategorie mehr.
Wer sich bereichert, wer lügt, betrügt und schwindelt, wer sein Mandate verzockt und sein Moral-Kapital verschwendet, der kriegt die Beliebtheitswerte, dem flattern die Groupies zu. Selbst die im Zentrum der Medien-Moral verankerte taz findet in ihrer Umfrage Müssen politiker anständig sein genug Pros.
Was genau ist da passiert?
Ich erinnere mich an ein Kulturzeit-Interview des deutschen Soziologen Hartmut Rosa von Anfang Jänner, als es noch um den damals neuen Wutbürger ging. Rosa sah schon ein Eckchen weiter und sprach von der Enttäuschung des gebrochenen Grundversprechens der Moderne, dass Bürger ihre Gesellschaft selber demokratisch gestalten. Aktuell erleben sich Bürger als machtlose Opfer, ohnmächtig angesichts politischer Ohnmacht ohne Gestaltungs-Spielräume. Im Wissen, dass dann, wenn es hart auf hart geht (Stichwort Finanzkrise) die Politik doch noch einiges in der Hinterhand hätte. Und Rosa weist auf die unterschiedlichen Positions-Definitionen des Begriff "Bürger" hin: da wäre zum einen der Privatbürger oder Wirtschaftsbürger, der primär an eigene Interessen denkt; im Gegensatz zum Staatsbürger, der den Blick aufs Ganze behalten hat.
In der Jänner-Ausgabe des Magazins Konkret sprach Herausgeber Hermann Gremliza genau dasselbe Thema an - ich hab das Heft nicht bei der Hand (und online ist es, wie alle misstrauischen, von alten Männern geführten Schriften nicht), aber er entwarf das Modell einer Art vertragslosen Zustands zwischen dem Staat und seinen mittlerweile fast flächendeckend zu Privat-Bürgern gewordenen Bewohnern.
Ich denke das ist der Knackpunkt.
Die Privatbürger im gefühlt vertragslosen Zustand mit einer politischen Kaste, die die Macht aus der Hand gegeben hat und sie nur im allerschlimmsten Ernstfall wieder in die Hand zu nehmen bereit ist, sind gar nicht mehr in der Lage, den moralischen Kodex früherer Übereinkünfte zu befolgen. Sie, die vormaligen Staats- und jetztigen Ich-Bürger, gleichen den (gefühlten) Verlust der Gestaltungs-Möglichkeit aus, indem sie früher vorhandene staatsbürgerliche, an ein Gemeinwesen geknöpfte Gedanken einfach nicht mehr denken.
Privatbürger vs. Staatsbürger
Wer in seinem politischen Denken den Jux-Kategorien des privaten Denkens folgt, der findet natürlich den cleveren Schurken witziger als den braven Staatsdiener - klar ist Kater Karlo populärer als die Micky Maus, klar ist de Figur des pfiffigen Gangsters cooler als die des aktenschleppenden Kiberers. Da setzt dann auch die Geschieht-ihnen-recht!-Häme ein. In die alle, die sich kümmern wollen, dann auch gleich miteinbezogen werden.
Dass die pfiffigen Schurken-Karlos letztlich alle ausweiden, wird angesichts der Vertragslosigkeit nicht mitbedacht. Dazu fehlt der größere Blick auf die Zusammenhänge.
Und weil die politische Kaste weder willens noch imstande ist den (den größeren Blick, die politische Bildung, die demokratische Partizipation, die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber Wirtschaftsinteressen, you name it) zu befördern, sondern in ihrer Kooperation auf die Dummmacher setzt, wird sich der neue Privatbürger-Typus auch massiv vermehren.
In Österreich, wo das Bürgertum ja immer schon dazu tendierte, wo sich der Grundgedanke des Citoyens im französischen, aufklärerischen Sinn ja eh nie durchgesetzt hat, allemal. Trotzdem, und deshalb noch einmal danke an die ganze Guttenberg-Sache, ist diese Tendenz kein österreichisches Problem, sondern wohl zumindest ein mitteleuropäisches.