Erstellt am: 27. 2. 2011 - 15:00 Uhr
Tagebuch zum Jahr des Verzichts (8)

marc carnal
2011 wird Tagebuch geführt und verzichtet: Monatlich auf ein bestimmtes Sucht- und Genussmittel, auf Medien oder alltägliche Bequemlichkeiten. Jeder Verzicht ist klar eingegrenzt. Es gelten freiwillige Selbstkontrolle und dezenten Gruppendruck unter den Mitstreitern.
20. Februar
■ Nachträglich ein schönes Wochenende!
■ Es schlummerte ein Mädchen
im vollen Mondenschein.
Da kam ein böses Monster
zur Zimmertür herein.
Das Monster packte es
gleich am Pyjamasaum
und riss es aus dem Bett.
(Es war doch nur ein Traum!)
Da schrie das Mädchen laut
und wollte sich befreien,
das Monster hob es auf,
vergebens war das Schreien.
Es schulterte das Mädchen
und trug es aus dem Raum,
Das Monster knurrte gierig.
(Es war doch nur ein Traum!)
Das Monster schliff das Mädchen
gewaltvoll aus dem Haus,
und trug es fest entschlossen
weit aus der Stadt hinaus.
Das Monster stapfte weiter,
ging über Stock und Stein
und bog am Ende gar
in einen Waldweg ein.
Es band das Mädchen schließlich
an einen alten Baum
und brüllte fürchterlich.
(Es war doch nur ein Traum!)
Es beugte sich hinunter,
blies zornig eine Strähne
zurück auf seinen Kopf
und fletschte seine Zähne.
Das Mädchen schloss die Augen,
es weinte laut und dachte:
Das Monster frisst mich auf…,
als es verschwitzt erwachte.
Es traute der Erleichterung
für Augenblicke kaum.
Dann war das Monster sicher:
Es war doch nur ein Traum!
21. Februar
Welttag des Fremdenführers. Warum auch nicht.
■ Schweizerdeutsch ist die unerotischste Sprache der Welt. Es verwundert, dass die Schweizer noch nicht ausgestorben sind. Wer soll da kirre werden?
Nur Ostdeutschland kann da mit ebenfalls sehr unprickelnden Dialekten teilweise mithalten.
Deshalb schmiedete ich den Plan, in Sachsen nach meiner Traumfrau zu fahnden. Sie sollte der hochdeutschen Zunge mächtig sein, aber auch deftig sächseln können. Nach der Vermählung ziehe ich mit ihr nach Bern. Während sie mit mir Dialektfrei parliert, halte ich sie an, in der Öffentlichkeit Sächsisch zu sprechen. So sind Nebenbuhler auszuschließen. Sollte sich dennoch einer finden, wird ihn die Traumfrau verschmähen, weil das Berndütsch ihren Sexus vergiftet.
Starker Plan!
■ Nach einigen Jahrhunderten wäre es schön langsam an der Zeit, dass parfümierte, weiße Männerperücken wieder in Mode kommen.
22. Februar
■ Man sieht nur mit den Augen gut, nicht mit dem Herzen. Das Herz ist eine Pumpe!
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marc carnal
23. Februar
Achtung! Nebenstehender Eintrag kann Spuren von Eigenwerbung enthalten!
■ Beim Probieren kommt ein bisher unentdecktes Talent des Kammersängers Steiner zutage: Er kann ansatzlos zu wirklich jedem Stichwort einen volkstümlichen Schlager improvisieren. Selbst exotische Fachausdrücke und lateinische Zitate bringen ihn nicht aus dem Konzept.
So wird die Schlager-Impro-Einlage von nun auch Fixpunkt jedes Being Markovic-Gigs werden. So auch am 17. März beim Landpartie-Konzert im Café Schmid Hansl, wofür eine rechtzeitige Kartenreservierung empfohlen wird.
■ Bisher haben nur drei Verzichts-Genossen beide Monate ohne einen einzigen Verstoß absolviert.
Dass Kollege Wurm im Februar nur einmal schwach wurde, das aber gleich am zweiten Tag, finde ich ein bisschen vergnüglich.
■ Auf der Zwitter-Behörde: "Ich erkläre Sie hiermit zu Mann und Frau."
24. Februar
■ Früher hatte niemand Ring-Ring als Klingelton.
Ich aber schon.
Jetzt haben alle Ring-Ring.
Unterwegs glaube ich daher oft, mein Handy würde klingeln.
Wow!
Starkes Problem!
■ David Hasselhoffs deutsche Stimme ist Synchronschwimmer.
■ Die Neigungsgruppe Verzicht ist sich einig, dass die autoerotische Enthaltsamkeit eine Schnapsidee war. Ich stelle zwar fest, dass sich mein Rückenmarksschwund erheblich gebessert hat und dass ich deutlicher sehen kann, gebe aber zu, dass dieser Monat im Grunde ein verschenkter ist.
Masturbation ist schließlich in keiner Hinsicht schimpflich oder schädlich. Man kann uns also durchaus fehlende Reflexion bei der Konzeption vorhalten.
Der März dagegen wird ungleich knuspriger, dann gilt es nämlich, für einen Monat auf Koffein zu verzichten.
25. Februar
■ J.M. Coetzee – „Tagebuch eines schlimmen Jahres“: Eines seiner weniger gelungenen Bücher. Die Dreiteilung der Seiten, welche den Lesefluss maßgeblich hemmt, wurde von den Kritik als originell gepriesen. Dabei macht gerade die Form den Roman zu einer Art nachgereichtem Prototyp von Coetzees Meisterwerken, die mit ihrer geheimnisvollen Hauptfigur Elisabeth Costello die Frage der Autorenschaft und das schwer fassbare philosophische Spannungsfeld zwischen Leser, Autor und Figur virtuos auf die Spitze trieben.
In „Zeitlupe“ beispielsweise mischt sich die fiktive Autorin des Romans plötzlich in die Geschichte ein. Sie wird zur Protagonistin und beeinflusst das Geschehen nicht mehr nur mit den Mitteln der Schriftstellerin, sondern mit jenen einer Figur. Dieser Kniff, der den Roman eigentlich ausmacht, wird in nahezu keiner Rezension erwähnt. Unfassbar.
In „Tagebuch eines schlimmen Jahres“ setzt Coetzee seine Techniken nun so offensichtlich ein, dass der Roman zu einer Bedienungsanleitung für seine Kunst verkommt, als hätte er es für die Vielzahl der gänzlich begriffsstutzigen Kritiker geschrieben, die das Werk dann auch tatsächlich prompt loben.
■ Führe zum ersten Mal in meinem Leben alleine einen Hund an der Leine, der sich erleichtern möchte. Als Greenhorn in dieser Disziplin weiß ich eigentlich nur, dass man etwaige Exkremente in kleinen Säcken zu entsorgen hat. Doch woher diese nehmen? Nirgendwo findet sich ein Spender.
Betend, das Vieh möge sich noch etwas gedulden, spaziert schon die nächste Herausforderung in Form eines anderen Hundes um die Ecke. Was nun? Hoffentlich spricht mich die Besitzerin nicht an und fragt mich nach der Rasse! Eine umfangreichere Auskunft als "Hund, klein, weiß" werde ich nicht zustande bringen. Was, wenn der meinige ein Tête-à-tête oder einen Nahkampf anstrebt?
Es kommt noch schlimmer: Eine Katze! Er wird sie fressen, soviel steht fest! In Sekundenbruchteilen wird sich mein flauschiger Freund in eine morddurstigen Bestie verwandeln und das arme Kätzchen knurrend köpfen und entweiden, um es dann im Blutrausch unmariniert und roh zu vertilgen. Man wird mich anzeigen und einen ganzen Tag nackt und angekettet am Hauptplatz der Willkür des Pöbels aussetzen. Bis ans Ende meines Lebens wird mein Leumund irreparabel beschädigt sein und ich muss geächtet und vereinsamt sterben.
Schließlich erkenne ich, dass man nur die Leine entschlossen halten muss. Erleichtert kehre ich heim.
■ Musik ist Musik in meinen Ohren
26. Februar

marc carnal
■ Die Verzichtskollegen rufen an, um mich in ihre neu gegründete Lottogemeinschaft einzuladen. Ich bin begeistert und willige ein.
Nach meiner Gründung eines Sparvereins, der am Jahresende eine Busreise ins schöne Niederösterreich plant, ist dies das bereits zweite Ü50-Pläsier, das ich in diesem Jahr für mich entdecken konnte.
■ Ein einziger Satz sagt oft viel weniger aus als ein ganzes Buch.
■ Schade, dass ich nicht letztes Jahr schon dieses Tagebuch geführt habe, dann hätte ich von jenem Taschendiebstahl berichten können, dessen Zeuge ich wurde. Der einzige Anwesende, der die Täter von vorne gesehen hatte, hielt den verzweifelten Polizeibeamten nur einen Zettel entgegen, auf dem erklärt stand, dass er ein siebentägiges Schweigegelübde abgelegt habe.
Andererseits hätte man mir die Geschichte womöglich nicht geglaubt, denn etwas derartig konstruiert Klingendes würde man keinem Drehbuchautor der Welt verzeihen.
■ Viele MENSCHEN haben beträchtliche Schwierigkeiten DAMIT, anhand VON Großbuchstaben auch wirklich jene Stellen hervorzuheben, die SIE eigentlich betonen möchten.