Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Vom Überleben in der Metropole"

Andreas Spechtl

Ist Sänger der Band "Ja, Panik" und lebt in Berlin.

26. 2. 2011 - 12:06

Vom Überleben in der Metropole

VIII. Liebe und Anarchie

In der Zivilisation sind die Liebesbeziehungen, ganz wie die Politik, der Gipfel der Heuchelei. (...) Ich kritisiere hier die Zivilisation nur insofern, als sie die eifersüchtige Liebe zum ausschließlichen System erheben will. Ebenso würde ich mich gegen ein Volk wenden, das bestimmte Bräuche, die einer allgemeinen Liebeskommune gleichkämen, zum System erheben wollte. In der Harmonie gilt die Regel, alle ausschließlichen Systeme zu vermeiden, denn sie sind das Grundübel der Zivilisation.

Charles Fourier, „Aus der neuen Liebeswelt“

anarchie und liebe

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Stellen wir uns also zur Abwechslung wirklich einmal einen Verein freier Menschen vor, so landen wir ganz von selbst bei der Problematik und den Möglichkeiten der Liebe. Wir wollen hier die geistige von der körperlichen Liebe unterscheiden, nur um sie sogleich in einem dialektischen Spannungsverhältnis wieder untrennbar miteinander zu verbinden. Es dürfte einleuchtend und altbekannt sein, dass die Sexualität, die es schafft, sich voll zu entfalten, auf einer geistigen Basis beruhen muss, wie auch die geistige Liebe ohne die sexuelle Liebe nicht wirklich zur Geltung kommen kann.

Die Natur hat die Liebe erfunden, um die sozialen Beziehungen unendlich zu vermehren.

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Der einfältige Leser wird sich jetzt natürlich unter dem Titel „Anarchie & Liebe“ die ausschweifende, hemmungslose freie Liebe und die gemeine Vielmännerei/-weiberei vorstellen. Oh, da schwitzen die Händlein, da tränen die gaffenden Äuglein! Aber weit gefehlt, denn wenn unsere Liebe befreit wird, wenn wir also allesamt oben genanntem Verein freier Menschen beitreten, kurz: der Anarchie, dann werden die leidenschaftlichen Anziehungskräfte zwischen den Menschen eine Vielfalt und Verschiedenheit von Beziehungen bewirken, die alle Eindeutigkeiten ausschließen und somit den Intentionen dieser Kolumne radikalst entsprechen. Eine Welt in anarchistischer Liebe, eine Welt, die sich nicht in den völlig vertrottelten Dogmatismen von Monogamie, Polygamie, den unterschiedlichsten Fetischen oder schicken Modeerscheinungen, wie zum Beispiel Polyamorie (die in Wahrheit schon so alt ist wie die Körper selbst) verläuft, sondern in der nebeneinander existiert, was ganz von selbst zueinander findet. Eine Welt also, in der in jedem Moment alles auf dem Spiel steht.

La liberté des amours est la liberté tout court.

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Unbedingt gilt es dem Feuer der Leidenschaften gerecht zu werden, ganz besonders um ihren allgegenwärtigen, schädlichen Ausformungen entgegen zu wirken: der nach rückwärts gerichteten, verdrängenden Bewegung, einem Grundübel der Zivilisation. Wie viele Felder hat die unterdrückte Leidenschaft schon in dunkles, blutiges Rot gefärbt, wie viele törichte Dummheiten hat sie nicht schon zu verantworten? Richtig, die Antwort ist: unzählige und unzählbare. Die unterdrückte Leidenschaft war schon immer die gnadenloseste Kriegstreiberin und grausamste Menschenvernichterin.

Just like Louise Michel and Bakunin Michael,
i write a secret chapter in the book of love,
a cryptographic lecture on me and you.

Warum unser Held hier heute nicht vorkommt? Weil er diese simplen Wahrheiten noch nicht begriffen hat, wer ihn kennt, wird wissen, was ich meine. Es fehlt ihm, wie den meisten anderen auch, an dem, was diese Welt in ihrem Innersten zusammenhält:

Erkenntnis und Liebe, die erkennende Liebe also.

Love loves Anarchy: noch 48 Tage bis DMD KIU LIDT.