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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 2. 2011 - 21:18

Journal 2011. Eintrag 43.

... oder auch: Fußball-Journal '11-13. Glanz und Elend der Ultras. Ein Kulturvergleich mit Deutschland und Italien, mitten in Wien.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Rechnet man das Fußball-Journal '11 dazu bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inklusive.

Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Eintrag, der genauso auch als Fußball-Journal durchgehen würde. Passiert aber nicht, weil es weniger ums Spiel, sondern mehr um ein soziales Phänomen im Umfeld geht. Um die aktuelle Position der heimischen Ultras - aus Anlass eines Besuchs italienischer und deutscher Kollegenschaft.

Gestern abend, Hauptbücherei Wien, Urban Loritz-Platz, ganz oben: eine Diskussionsveranstaltung aus der Club 2x11-Reihe, die seit einiger Zeit sehr erfolgreich versucht, Fußball-Themen in einen Diskurs-Kontext zu stellen, der über reines Fachtrotteltum hinausgeht.
Thema: Kulturgut Ultras.
Gäste: ein italienischer Autor, selber Ultra, also Die Hard-Fan, Mitglied der Kurve, Kenner des Geschehens; ein in Italien lebender Deutscher, ebenso Ultra, Übersetzer eines wichtigen Standard-Werks dieser Szene; und ein Vertreter der Rapid-Ultras aus Wien.

Für alle Wenigwisser: Ultra ist nicht gleich Hooligan.

Die Ultra-Bewegung entstand in Italien und bezeichnet die Fans, die sich Woche für Woche, egal ob daheim oder auswärts, einfinden um ihr Team anzufeuern, sich in ihrer Stadion-Kurve zusammenfinden um Sprechchöre, Musikdarbietungen oder optische Unterstützung (die sogenannten Chereografien) beizusteuern. In einem funktionierenden System sind die Ultras der entscheidende Indikator für die Bedeutung einer Fußballmannschaft: wer keine ehrliche Unterstützung von den Rängen bekommt, ist weniger wert. Nicht nur in der Ökonomie der Aufmerksamkeit, sondern auch in der des echten Lebens.

Dass sich an den Rändern der Ultras Narren, Schläger und Paranoide sammeln und für gruselige Untertöne sorgen (beim einen Verein weniger, bei anderen Clubs mehr) ist nicht der Ultra-Bewegung per se zum Vorwurf zu machen.
Wie so oft sorgt die Verallgemeinerung und Allesineinentopfwerfung von Staatsmacht, Medien und einer mit einfachen Erklärungen zufriedenen Mehrheitsbevölkerung dafür, dass das trotzdem passiert. Im gleichen Atemzug wird aber mit der von den Ultras verbreiteten einzigartigen Stimmung geworben. Und wie so oft trennt Vereinnahmung und Verdammung kein Löschblatt.

Italien, Deutschland, Österreich...

Die Ultras im Originalland Italien stecken in einer schweren Krise, was mit furchtbaren Gesetzen, entsetzlichen Stadien, wurschtigen Vereinen, einer mafiös strukturierten Fernseh-Situation und einer unerträglichen Vermischung zwischen Staatsmacht und Medien-Besitzverhältnissen zu tun hat. Weshalb sowohl Domenico Mungo, der italienische Autor, als auch Kai Tippmann, der dort lebende Übersetzer, eine Art Schwanengesang anstimmten.

Die Ultras in Deutschland werden stärker, weil ihre Liga stärker wird und die Vereine begriffen haben, dass eine sinnvolle Einbindung alle stärkt und allen was bringt.

Die Ultras in Österreich definieren sich über ausländische Vorbilder und sind ob der Winzigkeit ihrer Szenen dazu auch verdammt. Bis auf die Rapid-Fans, die sich großteils über eine zahlenmäßig große Gruppe organisiert haben, fällt niemand grenzüberschreitend auf. Die Austria-Ultras sind zersplittert und dazu teilweise im rechtsextremen Fahrwasser, Sturm & Innsbruck verfügen noch über mehr als niedere dreistellige Anhängerzahlen.

... Ultra-Kulturen im Vergleich

Domenico Mungo ist ein sharp-dressed man: Shirt, Gillet, Krawatte, Anzughose, Oberarme voller Tattoos, smarter Zweitagebart, säuberlich rasiertes Haupthaar und Augen wie Collinas verführerischer Bruder.
Mungo ist ein grandioser Erzähler, hält mit seinem Publikum permanent Augen-Kontakt und hat etwas zu sagen. Er ist nicht nur Ultra (für die Fiorentina, obwohl er mittlerweile in Turin wohnt, ist er trotzdem immer dabei), sondern auch Geschichts-Professor, er schreibt Gedichte.
Mungo dominiert die Diskussion in der Hauptbücherei, obwohl jedes Wort von ihm übersetzt werden muss. Er hat eine Botschaft, er kann seine Gedanken formulieren und in Sätze formen, die Witz und Charme haben ohne ihren Inhalt zu verraten. Mungo ist wortmächtig, ohne damit zu posen.

Kai Tippmann berlinert, dass es eine Schau ist. Er poltert über die dümmliche Rezeptions-Kultur des Mainstreams, egal ob es das Spiel an sich oder die Ultra-Kultur betrifft, er tut dies im proletarischen Duktus des selbstbewussten Hauptstädters, der es sich leisten kann, verpönte Begriffe wie "Diskurs" zu verwenden, ohne dabei die Basis der Authentizität zu verlieren. Weil seine Ausführungen mit einer schnoddrigen Selbstverständlichkeit und einer verbalen Kraft daherkommen, die ihresgleichen suchen.

Dass er dabei, wie es Deutschen so oft unterläuft, die deutschen Verhältnisse mit den österreichischen gleichsetzt, aus einem Automatismus, auch einem der Ahnungslosigkeit, fällt dabei fast nicht ins Gewicht.

Fleischgewordene Sprachlosigkeit

Der von den Rapid-Ultras delegierte Tomasso (richtiger Name der Ballesterer-Redaktion bekannt) stellt sich in zumindest einer der ganz wenigen Wortmeldungen, die ihm angesichts des restlichen Podiums zufallen, als durchaus formulierungsfähiger Zeitgenosse heraus - vielleicht auch, weil er kein Wiener ist (sein durch längeren Aufenthalt abgeschliffener, wahrscheinlich tirolerischer Akzent schlägt da positiv durch).

Als er von einer Publikumsfrage, die an Freundlich- und Harmlosigkeit nicht zu überbieten war (eine nette Dame wollte aus ehrlichem Interesse die heimische Sichtweise vieler angesprochenen Probleme nachfragen) so auf dem falschen Fuß erwischt wurde, dass er zuerst um Zeit zur Überlegung bat und sich dann, durch das unterschwellige Erstaunen des Auditoriums über diesen Schwachsinn, doch zu einem Statement durchrang, das in seiner Plattheit und Ängstlichkeit an verheerende historische Vorbilder im Land des Metternich andockte, wurde schlagartig der Unterschied der Kulturen klar.

Ein fleischgewordenes Häufchen Sprachlosigkeit neben soviel Wortmacht; die Nichtfähigkeit sich und sein Tun zu abstrahieren und darzustellen neben derart ausgewiesener Erzählkunst übers eigene Leben und die eigene Kultur: das bringt das Problem der hiesigen Ultras durchaus auf den Punkt. Wenn es die besten der deutschen und italienischen Brüder nicht schaffen die heimischen Kumpel zu ein wenig Reflexionsfähigkeit anzustoßen - wie soll es denn dann jemals gelingen?

PS: das Gesetz des Schweigens

Ein kurzes PS zur Medienkritik von Tippmann: der setzte da deutsche und österreichische Medien gleich - sie würden Ultra-Kultur als Hooliganismus diffamieren, jeden Bengalen zum Flächenbrand, jeden Sprechchor zum Gewaltakt hochjubeln.

Abgesehen davon, dass das ein wenig ein 20. Jahrhundert-Ansatz ist: wo das für deutsche Medien gelten mag - die österreichische Rezeption ist eine ganz andere. Da wird nicht triefäugig abgemahnt, da wird komplett wegnegiert.

Im TV sind weder Choreografien noch Pyro-Exzesse mehr als drei Sekunden im Bild, selbst wenn die Rauchentwicklung das Spiel beeinflußt, wird der Ursprung nicht erwähnt. Und in der Print-Nachberichterstattung kommt das alles genau gar nicht vor. Nichts.
Wenn etwa während eines Spiels antisemitische Chöre zu hören sind, dann wird das weder kommentiert noch nachbearbeitet. Und zwar von niemandem. Nicht einmal die Fangruppe der gegnerischen Mannschaft traut sich das auf ihrer Seite zu erwähnen.
Es existiert eine Omerta, das Gesetz des Schweigens - und das geht über die Liga und die Medien hinaus, bis tief in die Fangruppen hinein.

Wer sich darüber wundert, der sollte eins (die Sprachlosigkeit, die inhaltliche Bewusstlosigkeit) und eins (das Totschweigen von Problemzonen) zusammenzählen.