Erstellt am: 28. 2. 2011 - 15:15 Uhr
"WikiLeaks mischt sich ein"
Wo bleiben die nächsten Depeschen zu Libyen? Das fragen sich manche, die WikiLeaks und die Veröffentlichungen der Plattform verfolgen. Einer, der Enthüllungen als Reaktionen auf aktuelles Weltgeschehen nicht gut heißt, ist Daniel Domscheit-Berg. WikiLeaks hätte selbst nie journalistisch arbeiten sollen, findet der 33jährige Deutsche. Allerdings: im Idealfall wäre möglichst viel ungefiltert an die Öffentlichkeit gekommen, sagt er im Interview.
Heute, 1.3.2011, ab 15 Uhr: Insider Daniel Domscheit-Berg im Interview bei FM4 Connected
Drei Jahre zählt Daniel Domscheit-Berg zum engen Kern der Plattform. Er ist in die Arbeit von und an WikiLeaks involviert und ein enger Vertrauter von Julian Assange. 2007 hört der Diplominformatiker erstmals von wikileaks.org, noch im Dezember des selben Jahres trifft er Assange in Berlin. Kaum ein Jahr später genügen seine freien Stunden an Engagement nicht mehr, er kündigt in seiner Firma. Mit der Abfindung kauft Domscheit-Berg als erstes neue Laptops und Telefone für WikiLeaks, und widmet sich voll und ganz der Idee des Projekts.
Online gehen hunderte Seiten interner Dokumente des Schweizer Bankhauses Julius Bär. Handbücher von Scientology, die Praktiken der Sekte offenlegen. Filterlisten zur Internetzensur aus Thailand wie aus demokratischen Staaten wie Finnland. Zigtausende Feldberichte des US-Militärs aus dem Irak-Krieg. Unter anderem. In Island arbeiten Assange und Domscheit-Berg an der "Icelandic Modern Media Initiative" mit und präsentieren im Parlament die Idee eines Daten- und Medienfreihafens.
Gegenwärtig wird der US-Soldat Bradley Manning seit acht Monaten in Einzelhaft am Militärstützpunkt Quantico in Virginia festgehalten. Dem US-Militär gilt Manning als mutmaßlicher Informant von WikiLeaks, er soll die "Cables", 250.000 interne diplomatische Depeschen, weitergegeben haben. Die Eröffnung eines Verfahrens gegen ihn ist nach wie vor ausständig. Der frühere Banker Rudolf Elmer sitzt in Untersuchungshaft, er soll mit der Übergabe von Daten an WikiLeaks das Bankgeheimnis verletzt haben. Während Julian Assange gegen seine Auslieferung von Großbritannien nach Schweden beruft, wo der WikiLeaks-Gründer zum Vorwurf der Vergewaltigung in einem minder schweren Fall befragt werden soll.
"Man hat die Neutralität des Werkzeugs verlassen"
Daniel Domscheit-Berg hat seine Mitarbeit an WikiLeaks im Herbst letzten Jahres beendet. Seine Erlebnisse und Eindrücke hat er in Buchform festgehalten. "Inside WikiLeaks" ist kein theoretisches Werk zur Enthüllungsplattform, es ist ein sehr persönliches Buch. Domscheit-Berg spricht über die Arbeit im Hintergrund.
Am 28. Februar: Daniel Domscheit-Berg in Wien zum Thema "WikiLeaks - Kommt die Demokratisierung der Information?" Um 19:30 im Haus der Musik. Der Eintritt ist frei.

Andreas Chudowski_laif
Laut Eigendefinition ist WikiLeaks eine Non-Profit Media Organisation. Wie organisiert sich WikiLeaks?
WikiLeaks ist keine Organisation in diesem Sinne, es gibt keine Rechtsform, es gibt keine Verträge, es gibt überhaupt nichts. Sondern es gibt ein paar Leute, die freiwillig miteinander zusammengearbeitet haben. Das Kernteam bestand eigentlich immer so aus fünf Leuten. Gegen Ende meiner Zeit bei WikiLeaks waren es vielleicht zehn – wenn man noch ein paar enge Vertraute miteinbezieht. Aber mehr Leute waren nie beteiligt.
Bei WikiLeaks arbeiten alle eigenverantwortlich. Da fragt man sich, wer trifft die Entscheidungen?
Wir hatten – was zum Beispiel diese Cables betrifft –, die Situation, dass Julian diese Cables und viele andere Materialien auch wie aus einem Bauchladen heraus an alle möglichen Leute weitergibt, ohne dass er das mit jemandem abspricht. Die Materialien waren nicht redigiert, also haben wir diese Problematik mit Personen, die innerhalb dieser Dokumente genannt sind. Das sind alles Rohinformationen, die nicht redaktionell geprüft wurden. Und die aus meiner Sicht nicht unbedingt auf Metadaten-Ebene gesäubert wurden.
Wer hat bestimmt, wann welche Dokumente veröffentlicht wurden?
Eine ganze Zeitlang haben wir versucht zu veröffentlichen, was hereinkam. Ohne Prioritäten zu setzen. Als das nicht mehr stattfand, war das ein Streit- und Knackpunkt. Julian hat sich geweigert, die Strategien, nach denen er vorgeht, mit uns zu besprechen. Die Neutralität des Werkzeugs, das man bereitgestellt hat, hat man verlassen. Im Moment reagieren viele Veröffentlichungen durch WikiLeaks auf tagesaktuelles politisches Geschehen. Man mischt sich ein.
Was war zu Beginn Ihre Ambition, bei WikiLeaks
mitzuarbeiten?
Für mich war die primäre Motivation, da mitzumachen, der Glaube, dass eine Welt, in der wir alle besser verstehen, was vor sich geht, nur dazu führen kann, dass sich die Welt früher oder später verändert. Ich habe als Bürger den Eindruck, dass die Welt täglich komplexer und undurchschaubarer wird. Um mich als Bürger sinnvoll zu orientieren und sicherzustellen, dass ich nicht über die Art und Weise, wie ich mich hier bewege, irgendeinem anderen auf der Welt weh tue. Das ist ein inhärentes Problem, das wir mit der Globalisierung haben. Der Ausweg aus diesem Dilemma ist eine Erhöhung der Transparenz, der Zugang zu Information – gerade zu Information, die andere mir vorzuenthalten versuchen. WikiLeaks ist als ein Projekt, das sich der Transparenz, dem Schutz von Whistleblowern und Ähnlichem angenommen hat, eine sehr einfache Idee, die sich aber eines sehr mächtigen Werkzeugs, des Internets, bedient. Aus dieser Kombination kann man ein sehr mächtiges Werkzeug machen.
WikiLeaks hat diese Infrastrukturen gebaut, doch warum hat man sie nicht für totalitäre Staaten bereitgestellt?
WikiLeaks selbst hatte es sich zur Aufgabe gemacht, für alle zur Verfügung zu stehen. Aber es beginnt schon mit der Sprachbarriere. Für das, was sagen wir jemand aus Korea oder dem Mittleren Osten einsendet, brauchen Sie jemanden, der die Sprache versteht. Jemanden, der weiß, um was es da überhaupt geht, um das Material verarbeiten und prüfen zu können. Und das ist schon ein erster Punkt, an dem man schnell feststellt, dass man all das niemals innerhalb einer einzigen Organisation abarbeiten kann. Deswegen ist es wichtig, dieses Thema zu dezentralisieren und sicherzustellen, dass es ganz viele solcher Plattformen gibt. Und sicherzustellen, dass sie ordentlich arbeiten und dass die technischen Mechanismen funktionieren.
Wir befinden uns ja in west- und mitteleuropäischen Ländern. Ist der Journalismus zu aufgeweicht?
Ich glaube, der Journalismus hat heute seine ganz eigenen Probleme. Und das sind vor allem auch ökonomische Probleme. Der investigative Journalismus ist extrem schlecht gestellt, was die finanziellen Möglichkeiten und die Ressourcen angeht. Dazu kommt, dass die Gesellschaft insgesamt eine Verschiebung hin zum Entertainment hat. Wer war zuerst da: der schlechte Artikel/die schlechte Sendung oder das schlechte Publikum? Das ist ein Henne-Ei-Problem. Aber WikiLeaks war als Projekt genau so gedacht, auch hier zu helfen, investigativen Journalismus wieder billiger zu machen. Und der Öffentlichkeit Möglichkeiten zu geben, sich selbst mit Quellenmaterialien auseinanderzusetzen. Ich würde nicht sagen, dass der Journalismus aufgeweicht ist, doch vielleicht fehlen dem Journalismus effiziente Werkzeuge für die Zeit, in der wir leben. Und vielleicht fehlt dem Journalismus ein klein bisschen die Unabhängigkeit, um sich kritisch mit den wirklich wichtigen Dingen auseinanderzusetzen.
War die Aufmerksamkeitsökonomie, die man mit WikiLeaks geschaffen hat, nie ein Problem für Sie?
Das ist auch mein Problem. Ich finde, dass es überhaupt nicht in Ordnung ist, dass dieses Projekt selbst so viel Aufmerksamkeit bekommt, sich selbst so stilisiert zu einem Pop-Phänomen mit einem Popstar an der Spitze. Ohne, dass man die entsprechende Aufmerksamkeit auf die Dokumente lenkt. Momentan scheint WikiLeaks mehr mit Fundraising als mit irgendetwas anderem beschäftigt zu sein.
2009 waren Domscheit-Berg und Assange auch auf der Ars Electronica, unter "art wankers", um WikiLeaks zu präsentieren. Ein klein bisschen zynisch, doch höchst amüsant ist Domscheit-Bergs Schilderung dazu in "Inside WikiLeaks".
Zu Ihrer Zeit war das noch nicht so?
Nein. Es war immer wichtig, auch Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber in dem Sinne, dass Leute überhaupt wissen, dass wir existieren und Dinge publizieren, die andernfalls verpufft sind. Das Problem besteht ja heute so nicht mehr. Heute müsste genug Geld vorhanden sein, um diese Organisation für sehr lange Zeit weiter zu betreiben.
Haben Sie je erlebt, dass WikiLeaks mit Enthüllungen Handel betrieben hat?
Nein. Ich weiß, dass Julian einige Bestrebungen hatte, solche Deals zu machen, in der Zeit, in der ich schon da war. Er hatte für das „Collateral Murder“-Video so eine Vision, dass man die Exklusivrechte für eine Million Dollar verkaufen könnte. Damals haben wir alle, die das Projekt verlassen haben, gesagt, dass das nicht akzeptabel ist. Auf unser Drängen hin ist das damals nicht durchgesetzt worden.
Unterm Strich: Hat sich das Projekt WikiLeaks gelohnt?
Heute diskutieren wir darüber, was geheim sein muss und was nicht geheim sein darf. Das ist der größte Erfolg dieses Projekts. Es hat gezeigt, wie viel ans Licht kommen kann, wenn man dafür gute Werkzeuge bereitstellt. Was fehlt, ist ein Gesetz, das Whistleblower schützt.
In die Veröffentlichung der "Cables", der Diplomaten-Depeschen, war Daniel Domscheit-Berg nicht mehr involviert. Zurzeit arbeitet er an „OpenLeaks“: Das Projekt teilt die Idee von WikiLeaks, Daten und Materialien von anonymen Informanten geschützt weiterzugeben. Allerdings soll OpenLeaks nur als Tool zur Verfügung stehen. Es soll eine Dienstleistung zwischen Absender und Entgegennehmenden werden. Veröffentlichungen selbst will OpenLeaks keine abwickeln.