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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

25. 2. 2011 - 20:31

Freiheit, die sie meinen

Im Bundesstaat Wisconsin kommt es derzeit zum Showdown zwischen Tea Party-Mentalität und den Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes. Es geht auch um die Präsidentschaftswahlen 2012.

Freedom ist ein Schnitzl

"You may be poor, but the one thing nobody can take away from you is the freedom to fuck up your life whatever way you want to" - Jonathan Franzen, Freedom.

Freiheit. Sie ist dem gläubigen US-Bürger alles. Sie manifestiert sich am Revolverholster, an der historischen Skepis gegenüber staatlicher Regulierung im Allgemeinen, am trotzigen Beharren auf das Recht, seine Kinder mittels SupersizeCandySodaJunk in Burgerfriedhöfe zu verwandeln. Freedom ist ein quasi-materieller Wert mit weitreichenden Konsequenzen: Lieber arm und ohne Krankenversicherung als arm und ohne Freedom. Auch wenn man diese Doktrin in Form politischer Debatten, Entertainment und Literatur tagtäglich serviert bekommt, man sogar die Grundintentionen dahinter aus der Geschichte ableiten und nachvollziehen kann, dem mitteleuropäischen Gasthirn muss diese fundamentalistische Auslegung dieses äußerst dehnbaren Begriffes wohl immer ein Rätsel bleiben. Die Freiheit ist dem gläubigen Amerikaner die Neutralität des gelernten Österreichers.

Flag

Christian Lehner

Freedom, das war auf der Metaebene der Knackpunkt bei den Kongresswahlen im November. Freedom ist auch das Ticket, das für die Republikaner die Präsidentschaftswahl 2012 klarmachen soll. Und genau deshalb blickt derzeit die ganze Nation auf einen lokalen Arbeitskampf in der Provinz.

Ein frisch ins Amt gewählter Gouverneur

möchte den Staatshaushalt sanieren – so weit, so normal. Dabei ist Scott Walker nicht das umgepolte Singer-Songwriter Pendant der Tea Party Sympathisantin und Ex-Velvet Underground Schlagzeugerin Moe Tucker, obwohl beide grundsätzlich schmissige B-Western Movie Namen tragen. Dieser Scott Walker ist Republikaner, neuerdings Landesvater des Agrarbundestaates Wisconsin im Norden des Mittleren Westens und gewillt, über das Stopfen eines relativ kleinen Budgetloches von 137 Millionen Dollar auch gleich den vermeintlichen Verursacher der Haushaltslücke an den Hörnern zu packen.

Der Feind ist die eigenen Herde und hört auf den Namen Public Services. Lehrer, Krankenhausangestellte, Staatsbeamte, sie alle würden – geschützt durch mächtige Gewerkschaften - auf Kosten der Allgemeinheit leben und zu viel verdienen, wo doch der private Sektor aufgrund der Krise den Gürtel enger schnallen muss, so Govenor Walker.

Dass diese verordnete Solidarität

blanker Zynismus ist, angesichts der Tatsache, dass die Krise von der mittlerweile millardenschwer aufgepeppelten Wall Street ausgelöst wurde, und jetzt der Mittelstand gegeneinader ausgespielt wird, ist nur ein Detail am Rande dieser Auseinandersetzung. Dass die soziale Situation von Lehrenden oder auch den Mitarbeitern des Gesundheitswesens in den USA nicht gerade rosig ist, sollte mittlerweile auch weithin bekannt sein. Scott Walker geht es aber ohnehin nur bedingt um den Ausgleich der maroden Haushaltskassen auf Kosten der Staatsbediensteten. Das zeigt sich an der Bereitschaft der Gewerkschaften, Einschnitte in Löhne und die so genannten Benefits (Sozialleistungen) zu akzeptieren.

Doch das ist nicht genug für den Govenor. Die Unions sollen zusätzlich auf den Großteil ihrer Collective Bargaining Rights verzichten. Das ist das Recht, Kollektivverträge, Arbeitschutzregelungen und Benefits für Mitglieder auszuhandeln, wie man es von der österreichischen Sozialpartnerschaft kennt. Einmal mehr wird mit Freedom argumentiert. Gewerkschaften würden ihre Mitglieder bevormunden und etwa über Abschlüsse kollektiver Krankenversicherungen in Zwangsmitgliedschaften nötigen. Dass diese Bindung auch zu Teuerungen der Prämien für die Mitglieder führen kann und somit Jobs kostet, weil sie sich der Staat nicht mehr leisten kann, wie von Walker behauptet, ist eine weitere ideologisch Volte. Alle großen Arbeitgeber in den USA schließen Deals mit Versicherungsanbietern ab, nicht immer zum Vorteil und sehr oft gegen den Willen der Angestellten. Ein regulierendes und frei zu wählendes staatliches Zusatzangebot, die so genannte Public Option, wurde bei der Gesundheitsreform bekanntlich von den Republikanern rausgekickt.

Wisconsin

keystone, ap

Aber auch so ist die Gesetzesinitative

des neuen Governors durchsichtig. Ziel ist es, die Macht der links tendierenden Gewerkschaften des öffentlichen Sektors zu brechen. Jene zählen traditionell zu den eifrigsten Wahlkampfspendern und Organisationshilfen liberaler Kandidaten – bei einem Swing State wie Wisconsin kein unwesentlicher Faktor (Obama hat den Staat 2008 mit einem "Landslide" gewonnen). Dass Freedom hier einmal mehr populistisch vorgeschoben wird, um politische Ziele zu verfolgen und zwar auf Kosten des arbeitenden Mittelstandes, ist selbst den konservativen Gewerkschaften der Feuerwehr und Polizei klar geworden, die vom Budgetgesetz Walkers ausgenommen wurden.

Die Firefighters und Cops haben sich kurzerhand mit den Lehrenden, Krankenschwestern und Staatsbeamten solidarisiert. Seit gut 10 Tagen wird das Capitol in Madison, der Hauptstadt Wisconsins, von Zehntausenden Demonstranten umlagert und besetzt. Die Tore zu den Hallen des Staatskongresses stehen jedem Bürger per Gesetz im wahrsten Sinne des Wortes offen. Man kann dort reinspazieren und für seine Rechte eintreten oder den Law Makers bei ihren Scharaden zusehen.

Auch die Bevölkerung Wisconsins fällt nicht auf den populistischen Schmäh des Govenors herein. Grundsätzlich skeptisch gegenüber dem öffentlichen Sektor, steht eine Mehrheit hinter den Anliegen der Gewerkschaften. Wohl auch deshalb, weil u.a. das Schul- und Krankensystem zu den besten der Nation zählen, während jene Staaten, die den öffentlichen Sektor und die Gewerkschaften in der Vergangenheit deszimiert haben, ganz weit nach unten gerasselt sind in den Erfolgsstatistiken.

Wilder, wilder Mittlerer Westen

Indes hat sich der Konflikt in den letzten Tagen zugespitzt und das mit der einen oder anderen skurrilen Note. Heute Freitag haben die Republikaner in einer überfallsartigen Session das Gesetz im Repräsentantenhaus durchgepeitscht und somit die Demokraten überrumpelt. Jetzt fehlt nur noch die Zustimmung des Senats. Auch hier stellen die Republikaner die Mehrheit. Doch vor einigen Tagen haben sich 14 Abgeordnete der Senate Democrats ins benachbarte Illinois abgesetzt. Ein Passus der Geschäftsordnung verunmöglicht durch ihre Abwesenheit die entscheidende Sitzung im Senat. Govenor Walker, ganz der Sheriff, hat am Donnerstagabend State Troopers auf die Abtrünnigen angesetzt. Doch der lange Arm des Gesetzes darf nicht über die Staatsgrenze greifen, noch Abgeordnete des Senats verhaften. Schon droht Walker mit der Entlassung der ersten Staatsdiener, sollte es nicht bis Freitagabend zu einer Einigung kommen.

Gov Scott Walker

US Today

Doch es geht noch absurder. In einem Prank-Telefonanruf der linken Satire-Website Buffalo Beast (Editor Ian Murphy hat einen der beiden Koch Brüder simuliert. Die Kochs sind die einflussreichsten Finanziers des Tea Party Movements) hat der redselige Govenor etwas zu viel von seiner Strategie preisgegeben. Die abtrünnigen State Democrats sollten in einen Hinterhalt gelockt werden, erzählte er dort. Der Plan sah vor, zunächst Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, die Abgeordneten jedoch bloß ins Capitol zu ziehen, damit die Abstimmungsvoraussetzungen für das Durchpeitschen des Budgetgesetzes erfüllt sind. „This is the moment“, erklärte Walker seinem Gesprächspartartner.

Auf die Frage, ob er auch gedenke, „Troublemakers“ in die Massen der friedlichen Demonstranten einzuschläusen, entgegnete der Freedom-Govenor „we tought about that“. Dass dieser Plan wieder verworfen wurde, lag dann weniger an der humanistischen Gesinnung des verantwortungsvollen Landesvaters. Krawalle könnten einen Ägypten-Effekt auslösen und nicht erwünschte Solidarität in der Bevölkerung schaffen, die es so garantiert nicht geben würde, im Land der unbegrenzten Freedom Love. Deshalb protestieren derzeit auch nur ca. 70.000 Menschen gegen die Gesetzesinitiative Walkers.

Der Arbeitskampf hat mittlerweile auch auf Indiana und Ohio übergegriffen. Für das Wochenende wurden weitere Großdemonstrationen in Madison angekündigt.