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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 2. 2011 - 23:19

Journal 2011. Eintrag 42.

Mediale Lippenbekenntnisse und die Flucht aus dem Kollektiv-Vertrag.

2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Rechnet man das Fußball-Journal '11 dazu bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inklusive.

Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit den in den Mainstream-Medien ausgesparten Hintergründen zu den Kündigungen beim Kurier.

Wenn es einem Medium schlecht geht, dann ereifern sich die Konkurrenten, in einer Mischung aus Hohn, Schadenfreude, gekünstlerter Empörung und anderen niederen Instinkten. Normalerweise. Im Fall der Ende letzter Woche angekündigten Entlassungen beim Kurier hielten sich die direkten Mitbewerber vergleichsweise zurück.

Man berichtete durchaus differenziert und ohne untergriffig zu werden und ging eigentlich nur auf einen besonders seltsamen Teilaspekt mit der sonst gewohnten Schärfe ein: der neue, womöglich auch als Durchführer für diese Einschnitte geholte Kurier-Chefredakteur Helmut Brandstätter, früher auch ORF-Generaldirektor-Bewerber, hatte sich scheinbar in Anmerkungen bezüglich der vorwiegend älteren Redakteure, die man zu entlassen gedenkt verhoben.

Es wurde ein "Ich sehe nicht ein, dass man fürs Älterwerden bezahlt wird!"-Spruch kolportiert und auch dementsprechend kommentiert.
Die Berichterstattung fand im Rahmen eines gewissen Anstands statt - und versandete nach ein paar Tagen.

Der zweite Blick auf die Kurier-Situation

Nur das Branchenblatt Horizont riskierte einen zweiten Blick; und traute sich etwas anzusprechen, was anderswo nicht vorkam - obwohl es eigentlich den zentralen Faktor hinter den Kurier-Maßnahmen darstellt.
Autor Herwig Stindl zitiert genau. Zuerst die von Kurier-Seite erwähnte "verbesserte Kommunikation zwischen den Print-Ressorts und dem digitalen Bereich", dann den nachfolgenden Satz "die Veränderungen im digitalen Bereich ermöglichen auch in den redaktionellen Produktionsprozessen vereinfachte Abläufe".

Denn neben den 25 "richtigen" Kündigungen soll es auch noch 11 Änderungskündigungen geben.
Wie das zusammenpasst?
Über die Art der Verträge.

Die Print-Redakteure sind auf Basis des Journalisten-Kollektiv-Vertrags anfgestellt. Die Online-Redakteure sind einfache Angestellte auf Basis des Gewerberechts, wie "Horizont" schreibt sind die gewerberechtlich in der Fachgruppe Werbung und Marktkommunikation angemeldet.

Anm.: das stimmt nicht ganz, auf die Online-Redakteure von Ö1 oder FM4 etwa trifft das nicht zu, die sind Journalisten - allerdings zu teilweise schlechteren Konditionen.

Wie, Zitat "übrigens, durchgehend inklusive ORF, alle Medienhäuser ihrer Digital-Abteilungen."

Die Flucht aus dem Kollektiv-Vertrag

Und da liegt der Hase im Pfeffer der Perfidie.
Natürlich versuchen alle Medienhäuser die Kosten niedrig zu halten. Indem etwa junge Redakteure über die Online-Töchter angestellt werden, sind sie billiger.
Und auch rechtloser.
Denn eine journalistische Tätigkeit bietet auch den Schutz der Meinungsfreiheit im Rahmen eines Redaktionsstatuts - etwas, was in der österreichischen Online-Medien-Praxis nicht existiert.

Etwa 100 der angegebenen 250 Kurier-Angestellten fallen unter den journalistischen Tageszeitungs-KV - und sind damit deutlich teurer als der Rest.

Der Kurier-Versuch die Schraube gleichzeitig an beiden Enden anzuziehen (zum einen billigere, zum anderen rechtlosere Verträge) ist nicht der erste. Seit einiger Zeit versucht etwa "Die Presse" aus den Kollektivverträgen raus- und in billige Content-Vertragssituationen reinzukommen, und wie man hier nachlesen kann war diese Flucht schon vor eineinhalb Jahren Thema in diversen anderen Tageszeitungen.

Sonntagsreden und Lippenbekenntnisse

Interessant daran und an der jetzigen Kurier-Situation ist zweierlei.

Zum einen, wie wenig elegant aber hocheffizient die Berichterstatter (die im selben Boot sitzen und teilweise dieselben Pläne in der Schublade haben) diesen bedeutenden Hintergrund in ihren Geschichten ausgelassen haben.

Zum anderen, was das über die Lippenbekenntnisse der Verlage zum Thema Medien-Zukunft aussagt. Die Verleger sind ja die selbsternannten letzten Bollwerke von Qualitätsjournalismus; der natürlich weiter nur on Print stattfinden kann, eh klar.

Dass Journalisten sowohl finanziell als auch rechtlich schlechter gestellt werden sollen - das spricht nun nicht gerade für die Sonntagsreden, die man den Konsumenten als Wahrheit verkaufen will. Das macht nur die wirkliche Stoßrichtung umso klarer: eine Branche letztlich aushungern, billige Inhalte aus Copy-Paste-Content-Maschinen als "Inhalt" verkaufen und den nervigen Angeber-Begriff des "Qualitäts-Journalismus" etwa so ernstnehmen wie die Bildzeitung.