Erstellt am: 24. 2. 2011 - 13:41 Uhr
Guttenberg, Hahn und die Bauernopfer-Referenz
Die Universität Bayreuth hat den Doktortitel des deutschen Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg aberkannt. Die Dissertation ist ein Plagiat, auch der Minister hat mittlerweile "gravierende Fehler" zugegeben.
Die Affäre erinnert an eine Debatte um die Doktorarbeit des EU-Kommissars Johannes Hahn. Im Jahr 2007 – Hahn war damals noch Wissenschaftsminister - wurden Vorwürfe laut, er hätte für seine Dissertation "Die Perspektiven der Philosophie heute dargestellt am Phänomen Stadt" seitenweise abgeschrieben. Die Universität Wien ging den Vorwürfen nach, verzichtete dann aber auf die Einleitung eines Plagiatprüfungsverfahrens. Jetzt wird die Dissertation noch einmal geprüft. Peter Pilz, Nationalratsabgeordneter der Grünen, hat den Medienwissenschafter Dr. Stefan Weber damit beauftragt. Der in Salzburg geborene Plagiatsexperte lebt heute in Dresden und hat in den letzten Jahren 80 Dissertationen untersucht. In elf von Stefan Weber untersuchten Fällen wurde den Autoren der wissenschaftliche Titel aberkannt. Weitere Fälle, die laut Weber eindeutig Plagiate waren, führten nicht zu Konsequenzen. Ein Interview über Abschreiben, Bauernopfer-Referenzen und Ghost Writer.
Anne Kaiser
Wie werden Texte auf die Möglichkeit eines Plagiats untersucht?
Es gibt drei Methoden. Die erste ist recht trivial, die Suchmaschine Google. Ich nehme drei oder vier Wörter aus einem Satz der Dissertation und tippe sie in Google unter Anführungszeichen ein. Wenn der Plagiator recht dumm und dreist war, dann komme ich so bereits aufs Original. Die zweite Methode ist die der Universitäten: Die Anti-Plagiats-Software. Die meisten Studierenden geben ihre Arbeit heute schon digital ab, im E-Learning System – dort ist die Anti-Plagiats-Software schon drin, der Betreuer erhält einen Report. Die dritte Methode ist die interessanteste: Obwohl die Google Buchsuche schon abertausende Bücher enthält, muss man das Aufwändige tun, in die Bibliothek gehen und sich die Bücher ausborgen, oder sich die Bücher bestellen. Ich kaufe Bücher. Ich schaue mir an, ob abgeschrieben wurde. Wenn jemand aus einer Quelle zitiert, dann besteht erfahrungsgemäß eine große Chance, dass er aus dieser Quelle auch abgeschrieben hat. Viele zitieren ein kleines Stück und schreiben dann ohne Anführungszeichen weiter. Der Betreuer denkt "Aha, das ist die eigentliche wissenschaftliche Auseinandersetzung" – aber siehe da, der Autor hat den Text, von dem er gerade noch zitiert hat, weiter abgeschrieben. Dieses Spiel nennt man mittlerweile die sogenannte "Bauernopfer-Referenz". Das heißt, jemand gibt eine Referenz zu einem Text an, macht damit ein Bauernopfer, tut so als hätte er brav zitiert, der Rest ist aber abgeschrieben. So ist unser ehemaliger Wissenschaftsminister Hahn vorgegangen. In den vergangenen Jahren hat sich die Lehrmeinung durchgesetzt, dass auch das ein Plagiat ist.
Der Gang in die Bilbiotheken, um Bauernopfer-Referenzen zu finden, ist der mühsamste Weg. Viele Betreuer tun das nicht, weil sie zu faul sind. Sie lesen das Vorwort, die Einleitung, schauen nach ob sie selbst im Literaturverzeichnis zu finden sind und geben dann eine Note.
Liegt das auch am schlechten Betreuungsverhältnis an den Unis?
Nein, nein. Vielen Professoren, die mir erzählen, dass sie zu viele Dissertanten hätten und nicht alle Texte so genau überprüfen könnten, sage ich: Du hast so viele Dissertanten, weil schon bekannt ist, dass du die Texte nicht liest! Da wird eine akademische Kultur herangezüchtet, die genau dieses Milieu schafft, in dem die Leute die Texte gar nicht mehr selbst schreiben, sondern nur noch abschreiben. Gescheiter werden wir davon alle nicht, weder die Studierenden, noch die Begutachter.
Sie haben als zweite Methode der Untersuchung die Anti-Plagiats-Software erwähnt, die an den Unis zum Einsatz kommt. Verwenden auch sie eine spezielle Software?
Ja, meine Software ist mein Hirn, mein Riecher und mein Erfahrungsschatz von über 80 Fällen. Das klingt vielleicht arrogant. Aber Anti-Plagiats-Software ist leider extrem fehleranfällig. Das haben alle Tests in den vergangenen Jahren ergeben. Da gibt es verschiedene Anbieter, die über die Lizenzgebühren für ihre Softwarepakete Geschäfte machen. Jeder an der Uni gibt zu, dass solche Software eine Massenlösung ist – und eine Abschreckungsmethode, damit die Studierenden wissen, dass sie sich ein ganz plumpes Copy & Paste nicht leisten können. Tests haben aber sogar ergeben, dass Anti-Plagiats-Software oft nicht einmal bei komplett übernommenen Word- oder PDF-Dokumenten aus dem Internet anschlägt. Bereits einfache Synonym-Plagiate, wo einfach jedes fünfte Wort im Satz ersetzt wird, werden nicht erkannt. Der beste Trick ist ohnehin, einfach in ein anderes Land zu fahren, sich eine eben eingereichte Arbeit zu besorgen und diese zu übersetzen. Da kommt kein Mensch drauf, nicht Google, nicht einmal ich. Aber wir sind vielleicht in zehn Jahren soweit, mit Google Translate usw. auch darauf zu kommen. Dann werden sich jene Studierenden, die nicht selbst schreiben wollen, wieder neue Tricks einfallen lassen.
dpa/Rainer Jensen
Kommt es vor, dass jemand eine Arbeit heranzieht, die in einer bei uns wenig gebräuchlichen Sprache geschrieben ist, zum Beispiel Japanisch?
Das weiß ich nicht, weil ich mich mit Übersetzungsplagiaten bisher noch nicht beschäftigt habe, ich hatte keinen diesbezüglichen Fall. Das ist genauso wie mit Ghost Writern. Es kursieren Zahlen, dass zwei Prozent aller akademischen Abschlussarbeiten von Ghost Writern geschrieben werden – die Arbeiten jener zwei Prozent, die sich das leisten können. So ein Ghost Writer kostet ja 5000 oder 10000 Euro, wenn es eine dicke Arbeit ist vielleicht 20000 Euro. Ghost Writer und Übersetzungsplagiate sind aber nicht meine Baustelle. Ich kann nur nachweisen - und staune immer wieder darüber, was ich alles nachweisen kann -, dass aus dem Internet gesamplet wird wie wild, und dass in der Vergangenheit über diese Bauernopfer-Referenz immer wieder aus älterer Literatur abgeschrieben wurde und immer noch wird.
Was war denn der dreisteste Fall von Plagiat, der ihnen bisher begegnet ist?
Der unsympathischste von allen Fällen war einer, der bis heute nicht geahndet wurde. Das war eine Diplomarbeit über die Internetauftritte österreichischer Tageszeitungen. Sie hatte 151 Seiten, und die ersten 47 Seiten dieser Diplomarbeit waren eins zu eins kopiert. Im Internet gab es einen Text namens "Die Geschichte des Internet". Der Student hat diesen Text - es war ein HTML-Text, nicht einmal ein Word-Dokument - aus dem Internet kopiert und in seine Arbeit eingefügt. Unzitiert, mit Tippfehlern, mit doppelten Leerzeichen, mit allem drum und dran, er hat sogar den Literaturapparat gleich mit übernommen - und fertig war sein historischer Abriss und das theoretische Kapitel seiner Diplomarbeit. Ich habe das dem Betreuer gesagt und diese Diplomarbeit beim Vizerektor angezeigt. Dann wurde sie mir weggenommen – kein Scherz. Die Arbeit ist bis heute gesperrt, das heißt sie wird immer wieder "ausgeliehen", ich habe diese Arbeit nie wieder in die Hände gekriegt, um das gesamte Ausmaß des Plagiats zu untersuchen. Leider habe ich mir damals nur die ersten 47 Seiten kopiert. Der gute Herr, der ein Musterschüler in Sachen Copy & Paste ist, der auf den ersten 50 Seiten seiner Diplomarbeit keine Zeile selbst getextet hat und keine Sekunde darüber nachgedacht hat, was er da reinkopiert, rennt bis heute als Magister herum und wird das wohl auch bleiben. Denn ich habe keinen Zugang mehr zu dieser Arbeit.
Stefan Weber will die Ergebnisse seiner Überprüfung der Dissertation von Johannes Hahn im April veröffentlichen.
Ist das ein besonders prominenter Magister?
Er ist so eine Lokalprominenz in Salzburg. Er hat ein gutes Netzwerk, ist mit dem Betreuer gut befreundet und hat einen guten Draht zur Uni. Da kann man das dann so drehen. Für mich ist das grauslich, wenn so etwas passiert. Ich will jene Leute schützen, die sich wirklich hinsetzen, denn die fragen sich ja: Wenn jemand mit 50 kopierten Seiten aus dem Internet auch zum Magister wird, wozu soll ich dann selbst schreiben? Das ist ja eine mühsame Arbeit im stillen Kämmerlein. Die Leute, die selbst wissenschaftlich arbeiten, werden ad absurdum geführt von denen, die auf dreisteste Art etwas zusammenstoppeln und dann auch noch von den Universitäten geschützt werden. Und das passiert vor allem in Österreich. Wenn wir diese Kultur wollen, dann bitte – aber ich möchte mit so einer Kultur nichts zu tun haben und zeige deshalb solche Fälle in der Öffentlichkeit auf.