Erstellt am: 2. 3. 2011 - 15:53 Uhr
Freeriden leicht(er) gemacht
Der Winter hat sich heuer ganz schön bitten lassen. Powdertage und Freerideruns gab es nur in kleinen Dosen, gut verteilt über das ganze Land. Dafür gab es auch weniger Lawinentote als in den Vorjahren. Sobald es aber auch nur ein bisschen schneit, treibt es Skifahrer und Snowboarder ins Gelände. Erst gestern haben zwei Boarder in Vorarlberg eine Lawine ausgelöst und sind nochmal heil davon gekommen.
Freeriden ist gefährlich, macht gleichzeitig aber riesig Spaß. Deshalb hat die Österreichische Alpenvereinsjugend vor rund zehn Jahren sogenannte Risk'n'Fun Lawinencamps ins Leben gerufen. "Wir wollen vermitteln, wie man mit Risiken im Backcountry am besten umgeht, nicht wie man völlig risikofrei fährt", sagt Michele Gallonetto, Bergführer und Mitgründer von Risk'n'Fun. "Denn Entwicklung braucht Risiko."
klaus thyri
Rund 20 Snowboarder und Skifahrer zwischen 17 und 30 Jahren sind nach Serfaus in Tirol gekommen, um ihre Freerideskills weiter zu entwickeln. Schon am ersten Tag geht die Gruppe mit Bergführer Michele ins Gelände. Er ist für die "hardskills" zuständig, das heißt für die Vermittlung der technischen Fähigkeiten, die man beim Freeriden benötigt. Woher beziehe ich den Lawinenlagebericht? Wo bekomme ich Informationen über das Gebiet? Wie gehe ich mit der Notfallausrüstung um, etc.
klaus thyri
Nach einer guten halben Stunde sind wir am höchsten Punkt angelangt. Die weiße Landschaft ist übersät mit braunen Flecken und Felsen, die Schneedecke ist brüchig. Vor vier Monaten hat es hier das letzte Mal so richtig geschneit. Doch Bergführer Michele ist bekannt dafür selbst dort noch Pulverschnee zu finden, wo es augenscheinlich keinen gibt. Wahrnehmen lautet das Credo am ersten Camptag - Schneeverwehungen, Geröllhaufen und die Steilheit der Hänge. Nachdem wird den Lawinenlagebericht gecheckt, die Verschüttetensuchgeräte (LVS) kontrolliert und einen Treffpunkt fixiert haben, fahren wir in den Hang ein. Einer nach dem Anderen, mit nötigem Sicherheitsabstand.
klaus thyri
Am Nachmittag sind die "softskills" dran. Die Trainerinnen Bettina und Ursel machen gruppendynamische Übungen mit uns, in denen wir unter anderem unser eigenes Risikoverhalten reflektieren sollen. Gefährliche Situationen am Berg haben nämlich nicht immer nur mit messbaren Faktoren zu tun, sondern oft auch mit der Dynamik innerhalb einer Gruppe. Zu viel Mut gepaart mit zu wenig Erfahrung, dazu der Druck, sich in der Gruppe behaupten zu müssen und die Angst, vor den Locals als Feigling dazustehen, ist die Mischung, die zu Unfällen im Backcountry führt. Ein "Nein", kann manchmal lebensrettend sein. Ist aber leichter gesagt, als getan.
klaus thyri
Am zweiten Tag, bei der Übung "Risikofall", werde ich an den Rand meiner eigenen Grenzen gebracht. Auf einer Holzstufe stehend, sollen wir uns rücklings in die Arme der anderen Teilnehmer fallen lassen. Insgesamt drei Mal, jedes Mal von weiter oben. Ein bis zwei Meter sind der Abstand meiner Füße zum Boden. Es sieht zwar nicht arg hoch aus, aber es fühlt sich arg hoch an. Und deshalb traue ich mich als Einzige nicht weiter hinauf, sondern springe nur von der ersten Stufe. "Feigling" wummert es in meinem Kopf, und am liebsten möchte ich im Erdboden versinken. Ich fühle mich als totale Versagerin. Nachdem alle gesprungen sind, diskutieren wir über unsere Erfahrungen. Und so geht das vier Tage lang - beim Fahren im Gelände und in diversen Gruppenübungen. Es hat auch ein bisschen was von Psychohygiene, und am letzten Tag weiß ich: Es ist ok, auch mal das schwächste Glied einer Gruppe zu sein. Denn eine Gruppe hat sich immer nach dem schwächsten Glied zu richten.
klaus thyri
Erst ganz zum Schluss des Risk'n'Fun-Camps beschäftigen wir uns intensiv mit unserer Notfallausrüstung - dem LVS-Gerät, der Sonde und der Schaufel. "Denn vorrangig geht es uns darum, dass man lernt Notfälle zu vermeiden, nicht wie man am besten damit umgeht", meint Trainerin Bettina. Wir teilen uns in zwei Gruppen auf. Die erste Gruppe vergräbt ein paar Rucksäcke mit Lawinenpiepsern, die zweite muss sie unter Zeitdruck finden und ausgraben.
klaus thyri
Dann wird die Übung für die andere Gruppe mit verschärften Bedingungen wiederholt. Zwei Teilnehmer spielen Verletzte. Die Gruppe, die jetzt zum Notfallszenario kommt, muss schnell sein – beruhigen, absprechen, handeln. In maximal fünfzehn Minuten sollen die verschütteten Rucksäcke ausgegraben sein. Alle laufen durcheinander, man spürt Panik und jeder tut einfach irgendwas – die Bergrettung verständigen, die LVS-Geräte auf Suchen umstellen, sondieren, graben. Nach fünf Minuten ist die Übung vorbei. Alle drei Rucksäcke sind ausgegraben. "Das hat sich ganz schön echt angefühlt", meint einer der Teilnehmer erschöpft. Und das ist auch der Sinn der Sache, denn schließlich geht es darum für das echte Leben gewappnet zu sein.
Wahrnehmen, beurteilen und entscheiden - die drei Säulen des Risk'n'Fun-Konzepts wird wohl jeder der Camp-Teilnehmer in Zukunft in seine Freeridestrategie einbauen. Hilfen für das problemlose Backcountryfahren gibt es jetzt auch in Form sogenannter Freeride Maps, denn nicht immer hat man das Glück mit Locals unterwegs zu sein. Findige Freerider aus der Schweiz haben vor kurzem eine neue Karte für Wintersportler entwickelt.
Freeride Map
Die Freeride Map basiert auf Landkarten im Maßstab 1:25000 und bietet alle nötigen Geländeinformationen, die für die Planung und Umsetzung von Freeride-Touren erforderlich sind. Mit Hilfe von farblich gekennzeichneten Korridoren sieht man auf einen Blick die Bereiche, die befahren werden können. Sie sind in drei Schwierigkeitsstufen dargestellt: Blau markierte Sektoren bezeichnen fahrtechnisch einfaches Gelände. Hier finden sowohl Rookies als auch Cracks flüssig zu fahrende Linien. Gelbe Sektoren erfordern fortgeschrittenes bis hohes fahrtechnisches Können. Die Abfahrtsrouten können abschnittsweise durch anspruchsvolles Gelände führen. Sehr schwieriges bis extremes Gelände ist rot eingezeichnet.
Freeride Map
Überall sonst kann man sowieso nicht fahren. Dort trifft man entweder auf dichten Wald, auf Gelände, das zu flach ist oder gar auf senkrechte Felswände. Die Klassierung der Sektoren basiert ausschließlich auf den Anforderungen an die Fahrtechnik. Die Routenwahl muss trotzdem den herrschenden Schneebedingungen und der aktuellen Lawinensituation angepasst werden.
Karten gibt's bereits für große Teile der Schweiz. In Österreich sind die Gebiete St. Anton, Stuben und Lech/Zürs am Arlberg, Fieberbrunn, Ischgl/Samnaun, Kitzbühel Ost und West, Stubai und Zillertal Nord kartographiert. Für nächste Saison sind uns drei weitere Gebiete versprochen worden.
Aber nicht nur die schönsten Hänge sind in der Freeride Map eingezeichnet, auch noch ein paar andere Informationen speziell für Wintersportler haben die Schweizer Freerider auf ihren Karten vermerkt. Aufstiegsspuren etwa, besonders gefährliche Lawineneinzugsgebiete oder Wildschutzgebiete, wo Skifahren oder Snowboarden sowieso tabu ist. Ihre Informationen beziehen die Macher der Karten ausschließlich von einheimischen Freeridern. Bergführer der jeweiligen Region zeichnen die Karten und erfahrene Freerider überprüfen sie dann auf ihre Praxistauglichkeit.
Die Übersichtlichkeit und der logische Aufbau der Karten bestechen, und so wird mit den auf wasser- und reißfester Folie gedruckten Karten die Planung und vor allem die Orientierung vor Ort stark vereinfacht.
Freeride Guide
Panico Alpinverlag
Wer noch nicht mal weiß wohin der nächste Powder-Trip überhaupt führen soll, dem sind spezielle Freerideführer ans Herz zu legen. Ein kleiner Markt an Spezialliteratur für die Freunde der tief verschneiten Pulverhänge hat sich da mittlerweile entwickelt. Dabei geht es in erster Linie darum, sich eine Idee zu holen. Wo sind die schönsten Gebiete der Alpen, welches Gebiet entspricht meinem Können und wo stimmt auch das Nachtleben?
Der Powderguide etwa vereint die 40 besten Freeride-Gebiete der Alpen und beschreibt Klassiker und Geheimtipps in allen Schwierigkeitsgraden - vom hochalpinen Freeride-Abenteuer bis zur leicht erreichbaren Tiefschneeabfahrt in Pistennähe. Glänzende Namen wie Chamonix, Verbier, Arlberg, Dolomiten, aber auch Innsbruck, Sportgastein oder Krippenstein (das östlichste aller Gebiete im Powderguide) reihen sich dort aneinander.
Übersichtliche topographische Karten, jedes Gebiet mit nützlichen Zusatzinfos ausgestattet und 70 Seiten äußerst informatives Grundwissen zu Lawinen und Risiko-Management, Naturschutz und Ausrüstung runden dieses gelungene Stück Wintersportliteratur ab.