Erstellt am: 2. 3. 2011 - 10:00 Uhr
Wenn das der Führer wüsste
"Die in diesem Buch vorkommenden nichthistorischen oder pseudohistorischen Personen sind frei erfunden. Namensgleichheit oder sonstige Ähnlichkeit mit Lebenden ist zufällig."
(Otto Basil, Vorrede zu "Wenn das der Führer wüsste")
Adolf Hitler hat das Deutsche Reich zum Sieg geführt. Das Germanische Weltreich ist errichtet, Berlin ist die Hauptstadt der Macht und somit der halben Welt. Kritiker wie der Papst und der Dalai Lama werden in der geschlossenen Abteilung einer neurochirugischen Klinik in Köln gefangen gehalten. Großbritannien wird durch eine Atombombe zerstört.
Das Judentum existiert längst nicht mehr, Slawen werden zu Leibeigenen gemacht oder gar "zu Tiermenschen rückgezüchtet". Ganz Europa ist in Hitlers Hand, als der Führer Mitte der 1960er Jahre im hohen Alter stirbt und unter ungeheurem Pomp bestattet wird. Vor seinem Tod bestimmt er aber noch seinen Nachfolger: seine rechte Hand Ivo Köpfler. Köpfler ist kroatischer Herkunft und noch radikaler als Hitler. Er kommt aus dem sogenannten "Werwolf-Bund" und plant den Dritten Weltkrieg.
dpa
Der Tanz in den Untergang
Milena Verlag
Vor dieser Kulisse ist Albin Totila Höllriegl die Hauptfigur des Romans "Wenn das der Führer wüßte". Ein Österreicher, und das obwohl die ehemalige Ostmark nur noch ein kleiner Bezirk in der großen Wagenburg Deutschland ist. Ein kleines Kaff namens Stadl-Paura hat auch Wien längst als Hauptstadt abgelöst. Höllriegl ist von Beruf "Strahlungsspürer", ein Esoteriker mit Pendel also, der Strahlungsschäden aller Art mit etwas Auspendeln beheben kann. Er arbeitet für die "NS-Fachschaft für Pendelweistum". Höllriegl ist ein Widerling, einer der widerstandslos in der "Volksgemeinschaft" aufgeht und heimlich an den Unterhöschen seiner weiblichen Patienten schnüffelt.
Kurz vor Hitlers Tod wird Höllriegl nach Berlin zitiert. Ein strenggeheimer Auftrag, heißt es. Das kommt dem karrieregeilen Nationalsozialisten ganz recht, auch wenn er dadurch seine schwülen erotischen Fantasien mit dem Mannsweib Ulla hinten anstellen muss. In Berlin angekommen, erfährt Höllriegl nun Details: Zuerst soll er bei einem Mann pendeln, der im Sterben liegt, dann bei einem Professor, der an Schlafstörungen leidet.
So weit, so gut. Doch die Aufträge stellen sich in der Praxis als äußerst mysteriös heraus. Der Mann, der im Sterben liegt, ist nämlich ein Jude, der Höllriegl am Sterbebett erzählt, dass Hitler nur dank ihm die "Endlösung" durchführen konnte. Ein Jude, der die Juden verraten hatte, sei ein enger Vertrauter Hitlers gewesen. Und auch der zweite Auftrag hat es in sich: Denn der "Professor" ist eigentlich Professor für Psychoanalyse, einer Wissenschaft, die im Dritten Reich nicht anerkannt wird (Freud war ein Jude) und nur noch im Untergrund operieren kann. Dieser Professor glaubt einen Beweis dafür gefunden zu haben, dass das Arische nicht existiert und dass Ivo Köpfler Adolf Hitler umbringen hat lassen, um selbst an die Macht zu kommen. Was macht ein Individuum wie Höllriegl mit solchen bedeutenden Informationen? Ist die NSDAP eine Bande voller Lügner?
In der Zwischenzeit steht Ivo Köpfler, der neue Führer ("Heil Köpfler!"), im Krieg mit Japan, das eine Atombombe auf das Deutsche Reich fallen lässt. Mittendrin in der Verstrahlung ist Höllriegl, der Strahlungsspürer, unfähig sein neuerlangtes Wissen zu glauben oder gar zu artikulieren.
Geschichte als Konjunktiv
Otto Basil (1901-1983) veröffentlicht seinen Roman "Wenn das der Führer wüsste" im Jahr 1966 unter großer Kritik, an der Frankfurter Buchmesse sorgt das Buch für Tumulte. Das liegt auch daran, dass Basil, unter anderem bekannt als Herausgeber der immens wichtigen Literatur- und Kulturzeitschrift "Plan", mit seinem Text keineswegs einen Science-Fiction-Roman vorlegt. "Wenn das der Führer wüsste" wird in den 60ern veröffentlicht und spielt auch in den 60ern. Der Roman beschreibt keine Konstellationen des Möglichen einer fernen Zukunft, sondern aktuelle und bedrückende Verhältnisse des Schweigens und Verschweigens der 60er.
Otto Basil
Noch lange bevor eine Medientheorie ausformuliert wird, bedient sich Basil als einer der Ersten im deutschen Sprachraum einer sogenannten "Medien-Realität". Gegenwärtig wissen wir, dass Fiktion Realität nie 1:1 abbilden kann, aber schon 1966 lässt Otto Basil historisches Halbwissen auflaufen, manipuliert den Leser durch die Abweichung der Zeitlinien.
Sowohl Okkultismus als auch Werwolf werden von den Nazis vereinnahmt. Letzterer wird von Heinrich Löhns Roman "Der Wehrwolf" übernommen ("sich wehren") und hat überhaupt nichts mit der Horror-Figur zu tun.
Dabei hält sich Basil erstaunlich konkret an historische Fakten. Er weiß um die okkulten Neigungen der Nationalsozialisten, mehr als passend ist sein Hauptprotagonist von Beruf ein Pendler. Basil kennt die Hintergründe des "Werwolf"-Kampfbundes 1923 und weiß auch, dass Heinrich Himmler noch 1944 als verzweifelte Aktion vor Kriegsende mit "Werwolf"-Kamikaze-Ziviltruppen die von den Alliierten eingesetzten Bürgermeister ermorden lassen will. Bei Basil kommen diese Werwölfe aber an die Macht, einer ihrer Hardliner ist Ivo Köpfler. Basil spielt auch mit der Mythologie, kennt die Vorliebe Hitlers für das Nibelungenlied, nicht umsonst ist Höllriegls Angebetete Ulla ein Mannsweib ganz im Stile Brünhilds.
Basils Roman wird oft als "Parodie" bezeichnet, doch dieser Begriff ist spätestens seit Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" etwas verwaschen und hat auch nichts mit Hitler-Darstellungen von Charlie Chaplin oder Helge Schneider zu tun. Basils Roman rechnet, ähnlich wie Hans Leberts "Die Wolfshaut", vielmehr mit dem Mief der Nachkriegszeit und ihrer fehlenden Aufarbeitung ab. Basil klagt nicht nur die Macht an, sondern auch die Intellektuellen, die sich im Schatten der Macht verstecken, die Dichter und Philosophen sogar an vorderster Front.
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Lesung:
- 3. März 2011, Österreichische Gesellschaft für Literatur, 1010 Wien: Univ.Prof. Johann Holzner liest aus "Wenn das der Führer wüsste":
Das siegreiche Deutsche Reich stinkt in diesem Roman zum Himmel, überall klebt Bürostaub und Pissoir-Gestank. Die Menschen sind keine Individuen mehr, sie leiden an Schlafstörungen, Depressionen und Verfolgungswahn. Die "westlichen Werte", die angeblich immer noch gegen Überfremdung verteidigt werden müssten, führen zu einer regelrechten Selbstmordepidemie im Abendland. Dieser Roman bietet auch keine Identifikationsfiguren, selbst Höllriegl ist nur ein jämmerlicher Lüstling und Nazi. Seine Zweifel sind nichts wert. Dass Basil den Nationalsozialismus konsequent weiterdenkt, bedeutet auch, dass er die Intrigen und ideologischen Fehler aufdeckt: Vom Juden, der die Juden verrät bis zu Ariern, die keine sind und dem neuen Führer, der den alten umbringt. Dort wo Macht ist, kann sie immer auch missbraucht werden.
Otto Basils Roman wurde nun neu aufgelegt. Er ist auch Jahrzehnte später schwierig zu lesen, inhaltlich wie formal. Er zeigt aber auch noch gegenwärtig, dass Realität und Fiktion eines gemeinsam haben können: Beiden bleibt unter Umständen ein Happy End verwehrt.
Weitere Leseempfehlungen:
"In einer total vermondeten Welt, wie der hier geschilderten, durch die jedoch die Umrisse der heutigen realen durchschimmern, darf der Autor keinen Pardon geben, können nur negative Figuren auftreten. Der Autor selbst nimmt für sich in Anspruch eine solche zu sein."
(Otto Basil, Vorrede zu "Wenn das der Führer wüsste")