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Albert Farkas

Ein kühnes Kratzen an der Oberfläche von Hohlräumen.

26. 2. 2011 - 12:38

Vom Windsor verweht

Souverän in der Darbietung, Souverän in der Berufsbeschreibung: "The King's Speech" und acht weitere Beispiele für die Schwachstelle der Academy für die Obrigkeit.

Es ist das Jahr 1683. Wien ist von den Osmanen umzingelt. Die entscheidende Schlacht naht. Doch Herzog Karl, kaiserlicher Feldherr und einer der designierten Heerführer beim geplanten Bruch des Belagerungsringes, hat ein großes Problem: Seine Füße sondern solch stechende Ausdünstungen ab, dass kein Pferd ihn im Sattel halten kann.

Doch eines Tages trifft er auf den klugen, aber saloppen Schneidermeister Kwirx, und mit dessen Hilfe, sowie viel Anstrengung und Geduld, überwindet er seine Schwäche, und bei der Schlacht vom Kahlenberg am 12. September haut er dann dem Janitscharenführer eigenhändig... ach, Verzeihung, falscher Film! Bei diesem hier hätte ein aus WKR-Ball - Debütanten zusammengesetztes Publikum aber dafür wahrscheinlich ein genauso großes Anschwellen seiner Brust gespürt, wie die unverdrossene Vielzahl an Jingoisten in Großbritannien eben bei "The King's Speech".

The King

Aber natürlich geht es bei "The King's Speech" nicht darum, die Institution der Monarchie zu verteidigen, oder den Nationalismus im eigenen Land zu mehren, sagen dann die Verfechter des Films (und selbst wenn, was kann schon irgendjemand dagegen haben, wenn dieser Herr Hitler mal wieder eins auf die Schnauze kriegt). Viel mehr geht es ja darum, dass die über 45 Millionen Stotterer aus dieser Geschichte über den gehemmten britischen König George VI. (geborener Albert) und seinen Sprachtherapeuten Trost und Inspiration schöpfen können sollen. Gut, das will ich gerne einsehen, auch, wenn sich im ganzen Film keine Szene befindet, die in Sachen Stammler-Genugtuung auch nur ansatzweise an den Anblick einer Dampfwalze, in voller Fahrt über einen prototypischen Peiniger, herankommt. Das demographische Segment, für das Regisseur Tom Hoopers Historiendrama aber zur Zeit eine noch willkommenere Ablenkung darstellt, sind aber dann doch sämtliche, aktuell strauchelnde, nichtgewählte Staatsoberhäupter der Welt. Ich wette, König Hamad von Bahrain hat sich den Streifen schon mindestens dreimal vorführen lassen, und wenn auch nur, um das ständige Krakeelen von der Straße abzudämpfen.

Colin Firth in "The King's Speech"

UK Film Council

Dies ist auch nicht die Rezension des Films über die Brüder Albert & David, die beiden jüdischen Gründer einer Donut-Kette im Brooklyn der 1920er Jahre

Is Dead

Weil das Wikileaks-Prinzip mit längst vergangenen und umfassend dokumentierten Ereignissen noch effizienter funktioniert, als auf vertrauliche Quellen bezüglich gegenwärtiger Entwicklungen warten zu müssen, war es für "AufdeckerInnen " auch in Großbritannien ein Leichtes, bestimmte gravierende Abweichungen des Filmes von der historischen Wahrheit aufzuzeigen. Dort an sich liegt das Problem aber nicht begraben, weil sich "The King's Speech" ja auch nicht als Doku ausgibt. Je mehr Zeit seit einem geschichtlichen Ereignis vergangen ist, desto weniger findet die Öffentlichkeit bei einem Film, der dieses porträtiert, an etwaigen Ungenauigkeiten etwas auszusetzen. In 100 Jahren wird vielleicht ein Dramatiker namens Shaking Williams ein grob vereinfachendes, aber poetisches Stück über Georg VI schreiben, und nochmal 100 Jahre später wird es jemand verfilmen, und niemand wird sich wohl grob darüber aufregen.

Worauf es bei Film als Kunstform aber doch sehr wohl ankommt, sind die angedeuteten Absichten und der zur Schau gestellte Ehrgeiz. Und die machen "The King's Speech" ungefähr so spannend wie ein 200 Seiten umfassendes Verhaltensprotokoll bezüglich der Sitzordnung bei einem Hofbankett.

Long Live The People

Der Selbsthilfefilm ist eine der gebräuchlichsten Hollywood-Kategorien überhaupt. Seit der erste Projektor angeworfen wurde, haben verschiedenste ProtagonistInnen es immer und immer wieder geschafft, mittels Vertrauen stiftender Maßnahmen ihrer Lieben und Nächsten wahlweise ihren Analphabetismus, ihre Depressionen, ihren Kopf aus Stroh oder auch einfach nur ihren Zynismus zu bezwingen. Das Genre ist sogar so tief in der kollektiven Psyche verankert, dass sich als Reaktion darauf sogar schon der Typ der misslungenen oder über Hand nehmenden Versuchsanordnung etabliert hat, wenn man "Vertigo" oder "Zeit des Erwachens" als solche hernehmen möchte.

Tom Hooper folgt narrativ jedenfalls ohne Abschweife dieser Schablone. Von der drolligen Charakterisierung des australischen Rede-Coaches Lionel Logue abgesehen, wird einem dieser Film, wenn man auch nur die vagsten Kenntnisse über diese Periode hat, sehr wenig Neues vermitteln. Alle faszinierenden, verborgenen, bislang nicht auf Zelluloid abgehandelten Aspekte des Milieus und seiner Zeit, werden auch hier nicht angefasst. Mehr als einmal haben sich die Macher des Films die Frage gefallen lassen müssen, warum sie die mehr oder wenig expliziten Sympathien von Georges Bruder Edward VIII (né David) gegenüber den Nazis einmal mehr nicht thematisiert haben. Die Antwort darauf ist die extreme "Pietät", die Drehbuchautor David Seidler walten lassen hat, der sein offenbar schon relativ betagtes Skript niemandem zur Umsetzung überlassen wollte, solange er nicht den Sanctus der gesamten Königsfamilie hatte. Georgs Frau Elizabeth, die spätere Queen Mum (im Film verkörpert von Helena Bonham Carter), hatte selbst dem Skript in dieser Form Zeit Ihres Lebens ihre Zustimmung verweigert; wenn Edward einer genaueren Untersuchung unterzogen worden wäre, wäre es wohl niemals was geworden. Alles in allem eine biedere, gehorsame Untertänigkeit, die einer wirklich interessanten, und noch dazu wahren Story im 21. Jahrhundert eigentlich nicht mehr im Weg stehen sollte.

Wie die Dinge stehen, wird Edward, der Playboy-König, zum symbolischen Gegenmodell zum der Pflichterfüllung ergebenen George stilisiert, und das Publikum schnurstracks auf Georges Seite gezogen. Edward aber allein auf der Grundlage dessen zu geißeln, dass er nach Vergnügen strebt, ist im 21. Jahrhundert eine genauso überkommene Einstellung, als würde man George für sein Pflichtbewusstsein als borniert betrachten. So einfach lässt sich, auf die allgemeine Ebene gehoben, weder dem einen, noch dem anderen Lebensentwurf die Legitimität absprechen.

Aim Above

Am Irritierendsten aber ist Hoopers beiläufige Verfestigung des Mythos einer Volksgemeinschaft. Bis auf Logues Mätzchen bleibt die Abbildung gewöhnlicher Bürger auf eine (völlig erwartbare) Collage während der ersten Kriegsansprache des Königs am Ende des Films beschränkt, wenn quasi die ganze Nation als homogene Masse, in Bewunderung vereint, an den Radiogeräten klebt, als würde ein Engel aus ihren Apparaten aufsteigen. Heute versprüht diese Darstellung, gepaart mit der drückenden Alibihaftigkeit der Hierarchieumkehr in den vorhergehenden Austäuschen zwischen George und Logue, eine dermaßen konservative, dermaßen folkloristische, eine dermaßen, ja, hegemonial-propagandistische Wirkung, dass sie selbst David Cameron einen Hauch Schamesröte ins Gesicht getrieben haben muss. Ob die Streitkräfte eines Landes, um eine feindliche Macht in Schach zu halten, dazu eigentlich überhaupt wirklich einen sattelfesten, nachdrücklichen Regenten benötigen, sei dahingestellt; immerhin war Richard II noch ein Kind, als seine adeligen Gefolgsleute 1381 den Bauernaufstand niedergeschlagen haben, und George III (siehe unten) war während der erfolgreichen Kampagnen der britischen Truppen gegen Napoleon schon längst plemplem.

Und während es schließlich Colin Firth in der Rolle des Königs nicht abzusprechen ist, dass er den Duktus und die stimmlichen Eigenheiten des Royals minutiös einstudiert und brilliant beherrscht, verhält es sich aber auch so, dass sich an seinem säuerlich-verärgerten Gesichtsausdruck den ganzen Film über nichts ändert.

Alles in allem ist die narrative Machart von "The King's Speech" so konventionell, dass sich seine Bilder plausiblerweise bald in orthodoxen Schulgeschichtsbüchern wiederfinden könnten. Gute Unterhaltung also für alle, die sich gern mit der offiziellen Seite einer Geschichte zufrieden geben - und alle, die die Anwendung des Prinzips "All Men are created equal" immer noch gern ein wenig hinauszögern möchten.

7 weitere gekrönte Häupter - Achtung: Entbehrt jeglicher Bezüge zu King Ralph

1. Die Tochter von George dem VI hat 2007 bereits einen Oscar erhalten, warum also nicht auch er. "The Queen" hat sich, obwohl sein Thema, der Tod von Lady Di, noch nicht annähernd so lange zurückliegt, viel mehr Freiheiten erlaubt als "The Kings Speech", sie aber in Peter Morgans Drehbuch so unaufgeregt und subtil in die sich entfaltenden Dialoge verpackt, dass das ganze ein enorm sehenswertes, elegant umgesetztes und glaubhaftes Beziehungsdrama ergeben hat. Schon damals konnte man aber um den Eindruck, was für eine abgekpaselte, in sich gekehrte, morbide ungewählte Gang diese Royals doch eigentlich sind, nicht wirklich herum.

2. Henry VIII ist die einzige Figur, für deren Abbildung bereits drei Darsteller für einen Oscar nominiert waren.

3. Der direkte Vorfahre von "The King's Speech". Der König erkrankt an Porphyrie, und sein gieriger Spross klopft schon heftig an seine Tür. Im Gegensatz zu Nummer 6 hat George III keinen wirklich brauchbaren Therapeuten. Er wird einfach so wieder.

4. Für die Verkörperung von Elizabeth I hätten sich die beiden Biopics von Shekhar Kapur mit Cate Blanchett heranziehenlassen können, oder auch Judi Dench's oscar-prämierter 8-Minuten Kurzauftritt in "Shakespeare In Love". Quentin Crisps Porträtierung in "Orlando" strahlt aber eine geheimnisumwobene Wärme aus, die aus allen diesen Darbietungen hervorsticht.

5. Die trauernde Queen Victoria (Judi Dench) knüpft eine Freundschaft zu einem mit ihrem jüngst verstorbenen Mann vertrauten Stallmeister.

6. Peter O' Toole und Richard Burton in einem der begeisterndsten Beispiele für Schauspielkunst aller Zeiten. Die intensive Kameradschaft zwischen dem König Henry II und seinem Günstling Thomas Becket zerbricht, als Thomas von Henry zum Erzbischof von Canterbury ernannt wird, und sich seine neue Aufgabe überraschend zu Herzen nimmt. Burton spielt einen Mann ohne Selbstwertgefühl, der sich einerseits über den Status seiner Herren definiert, andererseits für seine Dienlichkeit verachtet. O' Toole nimmt seine Rolle voll und ganz ein, ist mal Krokodil, mal verwundeter Bison, und fördert mit jeder seiner Gesten und Aussprüche den Sinn des Publikums dafür, was es heißt, am Leben zu sein.

7. Der eine Film über einen britischen Monarchen, den sich Gaddafi und Co nicht so gern ansehen. Alec Guinness als Charles I hat am Ende des Bürgerkriegs ein Rendez-Vous mit einer Axt, und es macht *schnapp!*.

Oscar-Statue

Veigh Shahey

8. Ach, Oscar. Was sollen wir nur mit dir tun? Einst warst du dazu da, um die humanistische, sozialliberale, zuversichtliche Weltsicht Hollywoods und seiner aus verfolgten europäische Emigranten zusammengesetzten Zubringerschaft zu verstärken, und generell das Interesse der Menschen für diese noch junge Kunstform zu wecken. Aber ist das heute denn eigentlich noch nötig? Bist du heute nicht eher viel mehr der Hugo Chavez der ganzen Preis&Pomp - Szene? Du heftest es dir auf die Fahnen, diejenigen Talente auszuzeichnen, die dem Publikum am meisten dabei behilflich wahren, sich auf einen Film einzulassen, sich in ihn hineinzuversetzen, in ihn hineinzusteigern. Und dann kürst du die DarstellerInnen (die technischen Awards fristen ja schon immer ein Schattendasein) aus diesen Filmen und hebst sie damit über ihre Rolle hinaus. Ist das nicht ein wenig ironisch? Die Adabeis, die sich mit dir auseinandersetzen, die interessiert nur die Rote-Teppich-Boulevard-Show, aber was noch bedenklicher ist, ist, dass diejenigen, die Filme lieben, und dir Beachtung schenken, den Rest ihres Lebens eine bewusste oder unbewusste Unterscheidung treffen: welche an einem Film mitwirkende Person nun schon mit einem Oscar gewürdigt wurde oder nicht, komplett mit gekünstelter Empörung, wenn ein persönlicher Favorit leer ausgegangen ist, und ebensolcher Genugtuung, wenn er oder sie die Statue endlich mit nach Hause nehmen kann. Von deinem normativen Einfluss auf die Arbeit und den Output der Filmindustrie ganz zu schweigen.

Du begründest deine Entscheidungen nie, außer beim Ehren-Oscar. Dein Entscheidungsgremium ist die ewiglich amorphe, undurchschaubare Academy, deren mysteriöses Wesen es der Öffentlichkeit leicht macht, sie mit einer gottgleichen Obrigkeit gleichzusetzen, und genauso an sie zu glauben. Vielleicht sind die Lebensstile auch in der westlichen Welt inzwischen so breit gefächert, dass sie eine Bandbreite an Filmen hervorbringt, die sich unmöglich miteinander vergleichen lassen - so wie die heurigen 10 Nominierten für den besten Film. Vielleicht ist die Qualifizierung "best" auch wirklich heillos veraltet und nicht mehr zulässig. Schließlich erkennt auch jede/r Preisträger diese Tatsache am Anfang ihrer/seiner Rede geflissentlich an. Wer will heute in seiner/ihrer Firma schließlich noch zum "Mitarbeiter des Monats" gewählt werden? Möglicherweise solltest du nur mehr die Charaktere und Ereignisse in der Welt der Filme selbst honorieren. Und dann auch nicht als "best" titulieren, sondern als bemerkenswert oder außergewöhnlich. Oder nur mehr karitative Preise vergeben.

Aber so, in deiner jetzigen Form, wäre es genauso angebracht, dich dafür zu schätzen, dass du einmal im Jahr massenwirksam den Fokus auf die Kunstform Film ziehst, wie den Opernball dafür zu loben, dass sich wegen ihm ein oder zwei Kids im Jahr für klassisches Ballett zu interessieren beginnen.

Ich werde dich heuer auslassen.

Beziehungsweise, ist eigentlich irgendein Österreicher nominiert?