Erstellt am: 22. 2. 2011 - 20:49 Uhr
Journal 2011. Eintrag 41.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Rechnet man das Fußball-Journal '11 dazu bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inklusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute: warum gibt es keine Science Fiction mehr? Wieso ist riskantes Zukunftsdenken so verpönt? Woher diese Angst vor der These vom Neuen Menschen? Und - was sagen uns in diesem Zusammenhang die Revolten von Tunesien, Ägypten oder Libyen über unsere gesellschaftliche Resignation?
Irgendwann im sonntäglichen ZDF-Nachtstudio stellt die Runde - recht einheitlich - fest, dass die Arbeitsmarkt-Diskussion, die sie führen (und die eben über das simple Stundenzählen, mein kleines Thema von gestern hinausgeht) deshalb funktioniere, weil man vom Status Quo ausgehe und keine Gesellschafts-Ideen, die "neue Menschen" postuliere verfolgen würde.
Die wären nämlich per se sowieso suspekt.
Auf den ersten Blick: Zustimmung.
Auf den zweiten: Genau darin liegt ein Grundproblem unserer Ära, zumindest hier in Mitteleuropa.
Wir haben keinen Bezug mehr zur Zukunft.
Wir haben jegliche Science Fiction vergessen.
Das hat sich hierzulande längst musealisiert. Wenn sich eine wilde Kunst-Zeitschrift wie Monopol zu einem Titel-Thema wie "Verrückt in die Zukunft" entschließt und dann außer einem Solarflugzeug und dem Körper als Projektsfläche eigentlich nichts findet, mündet das folgerichtig in einem schönen Essay über die Gegenwartswerdung einer deshalb unkenntlich gewordenen Zukunft.
Von Tina eingelullt, vom Great Leap Forward entfremdet
Das hat mit der durchgängigen geistigen Pragmatisierung der gesamten Gesellschaft zu tun, mit einem Sich-Eingefügt-Haben in eine Moderne namens TINA (there is no alternative).
Und weil alles probiert wurde (technisch und ideologisch und heilsversprecherisch und sonstwieverbrecherisch auch) und alles gescheitert ist, gilt nur noch die Beschäftigung mit dem Status Quo als legitim. Nur das, was die Zukunft als lineare Fortsetzung der Gegenwart erkennen lässt, gilt.
Wenn der Mensch aber aufhört über seinen Great Leap Forward nachzusinnen, wenn der Mensch aufhört dran zu glauben, dass es einen "neuen Menschen" geben kann oder darf (nur weil die bisherigen Versuche nicht funktioniert haben) dann findet sich keine Zukunft. Das ist der Verlust der Science Fiction-Fähigkeit, schlimmer noch: der freiwillige Verzicht darauf.
Bislang, seit sich die Menschen von einer drögen religiösen Schicksalsgläubigkeit gelöst haben, seit der Aufklärung halt, war die Zukunft der zentrale Angelpunkt, um den es geht. "Ich möchte es besser haben, unsere Kinder sollen es besser haben." statt der Jenseits-Versprechen der monströsen unter den Weltreligionen. Weltlichkeit statt Fatalismus. Wo man zuvor in ewigen göttlichen Kreisläufen dachte und sich so einer reinen Bewahrer-Kultur ohne optionale Möglichkeiten unterwarf, waren plötzlich die Neugier und die Wissenschaft die größte Antriebsfedern, entstanden Zukunftsbilder, die von Veränderungen nur so strotzten.
Vom Fatalismus der transnationalen 2.0-Herrscher gebeutelt
Das ging etwa bis zum Ende des 20. Jahrhunderts so. Dann, nach dem Endsieg des Kapitalismus, im Bewusstsein der Unentrinnbarkeit der Globalisierung, machte sich wieder eine Kreislauf-Stimmung breit, die ans Mittelalter gemahnte.
Interessanterweise fällt das aktuell gerade wieder mehr auf, weil sich in anderen Weltregionen, die sich in ganz anderen politischen Verpuppungs-Phasen befinden, plötzlich Unfassbares tut. Die tunesische, die ägyptische, die libysche Revolte trägt all das in sich, was der geneigte Mitteleuropäer längst abgeschrieben hat: den Aufbruch in eine gerechtere Gesellschaft, Verteilungs-Normalität und Partizipation.
Allesamt Dinge, die ohne das Vertrauen, die neue Gesellschaft mit einem neuen Menschen zu gestalten nicht funktionieren. Und da sich diese Rebellionen auf Aufstände der Jungen und als Durchbruch einer neuen Kommunikations-Technik begreifen, ist diese Vision gar nicht so abstrakt wie es scheint.
Wir Westler sehen uns das an und zucken verzagt mit den Schultern - wiewohl wir diese Kämpfe in unseren Breiten nie offen, unter hohen Risken, auf der Straße ausgefochten haben, sind sie gefühlt bereits erledigt, gegessen und vorbei. Auch weil uns bekannt ist, dass es auch innerhalb einer gerechteren, sozialer gestalteten und mit genügend Partizipations-Angeboten versehenen Gesellschaft jede Menge Tricks für Oligarchen und Plutokraten gibt, sich trotzdem zu bereichern. Nicht so plump wie die arabischen Despoten, ohne die gottergebene auf Fatalismus fußende Passivität der dortigen Monarchien und anderen Diktaturen verwenden zu müssen. Da sind im Westen längt 2.0-Herrscher am Ruder, transnationale Spieler, gegen die es deutlich schwerer zu operieren ist.
Die unbedacht hingenommene Abwesenheit von Zukunft
Trotzdem machen uns die 1.0-Revolten in Nordafrika traurig. Auch weil sie uns auf die unbedacht hingenommene Abwesenheit von SF, von Zukunfts-Ideen, vom Traum vom anderen Leben und von der Utopie vom Neuen Menschen hinweisen.
Die einzigen, die derzeit ansatzweise so etwas anbieten sind die Rechtextremen und die Rechtspopulisten: deren "neuer Mensch", der Inländer im engen nationalen Kontext, der sich in erster Linie durch seine Ablehnung des jeweils anderen definiert ist eine uralte Kamelle, ein auch bereits zigfach peinlich gescheitertes Modell, ein ranziger Ladenhüter.
Da aber am virtuellen, ideelen Markt der Zukunfts-Ideen gar kein anderes Modell angeboten wird, bekommt dieses verhutzelten voodoomäßige Totem-Krispindl deutlich mehr Aufmerksamkeit als nötig wäre.
Und das ist es, was wir von diesem indirekten Hinweisen aus Nordafrika mitnehmen können, sollten, müssten:
Dass die Vision, die Idee der Zukunft, die Idee von verbesserten Bedingungen und einem darauf basierenden Neuen Menschen, dass die Science Fiction eine machtvolle Sache ist; und dass unsere voreilige achselzuckende Aufgabe sich in diesen Gefilden zu beschäftigen von einem sofortigen Turnaround beendet werden muss, um nicht in die Untiefen der Vergangenheit gerissen zu werden.