Erstellt am: 22. 2. 2011 - 18:25 Uhr

Der neue Tonmeister Brooklyns

New York State Of Mind. Eine lose FM4-Homebase Serie über Persönlichkeiten, die dem Big Apple ein Krönchen aufsetzen. Zweiter Gast: Chris Taylor von Grizzly Bear – Musiker, Produzent, Tonrestaurateur und Labelbetreiber.

„I didn’t have anybody to start a rock band with“

Ist das nicht ...

Christian Lehner

...? Nein. Leonardo trägt kein Tattoo auf der Brust. Außerdem würde er sich wohl kaum eine Stunde für uns Zeit nehmen. Trotzdem alles Sonnenschein. Es ist Frühlingseinbruch, es ist Antifrost, es ist das Flachdach eines dieser lagerhausähnlichen Gebäude im Industrieviertel von Greenpoint, Brooklyn. Wir sind soeben durch das Fenster des Studios ins Freie gestiegen. Chris Taylor und Ethan Silverman, der zweite Betreiber von Terrible Records, geben eine kleine Führung. Hinter uns die Häuser der polnisch geprägten Community Greenpoints. Vor uns ein zunehmend verschwindender Industriestreifen, die Waterfront von Brooklyn mit ihren hippen Wohnsilos, der East River und gegenüber, im Westen, die Skyline von Manhattan, Licht- und Schattenspiele, die Zahnreihen der Großstadtsilhouette, Wassertürmchen, Backstein und Glas.

Christian Lehner

Christian Lehner

Und Geräusche!

Zum Beispiel ein tiefes Grollen im Inneren des Studios, das uns freundlicherweise der Bayer in Brooklyn zur Verfügung gestellt hat. Das Zischeln der Heizkörper, das helle Gurgeln der Wasserleitungen, das Knarren der Hardwood-Böden. Amerikanische Gebäude sind lebendig und Chris Taylor hat ein Ohr dafür. Stets einen kleinen Taschenrekorder bei sich, ist er immer bereit für die Aufzeichnung aller möglichen Geräusche der Stadt, der Bewegungen, des Lebendigen. So beschließt zum Beispiel der Klang einer angespielten Billardkugel den Song Cheerleader vom letzten Grizzly Bear Album Veckatimest.

In seiner Stammband ist Chris Taylor verantwortlich für den Sound, einige Vocal-Parts und verschiedene Instrumente, in Hauptsache Bass. Auf seinem kleinen Label Terrible Records produziert und veröffentlicht er avancierte Popmusik meist lokaler Nachwuchsindieaner (Twin Shadow, Violens u.a.) und empfiehlt sich mit dem angeschlossenen Studio als neuer Tonmeister Brooklyns, nachdem TV On The Radio Sound-Wiz David Sitek in die Wüste geflohen ist.

Dass die Terrible Records Katalognummer 1 mit einem bisher unveröffentlichten Stück des 1992 verstorbenen Disco-Pioniers und Avantgarde-Musikers Arthur Russell aufzeigen kann, verdankt Taylor seiner über mehrere Veröffentlichungen fortgesetzen, und im Sammelwerk Love Is Overtaking Me kulminierenden, Restaurierungsarbeit in Sachen Musiknachlass des New Yorker Popgiganten.

Christian Lehner

Christian Lehner

Jetzt ist es das Brummen aus den Tiefen des in zahlreiche Kreativstudios umgebauten Mehrzweckhauses in Greenpoint, das unsere Aufmerksamkeit erregt. Taylor hat im Recording Booth Platz genommen und wir improvisieren mit geöffneter Tür ein Radiostudio. Das Geräusch will nicht weichen, wird kurzerhand adoptiert und verabschiedet sich freundlicherweise nach wenigen Minuten von selbst.

In den folgenden eineinhalb Stunden unterhalten wir uns über Biografisches, zum Beispiel die Anfänge als Jazz Musiker ("I didn’t have anybody to start a rock band with. I wasn't probably interested in doing that anyway"), Taylors Soloprojekt Cant, die seltsame Situation, eine Art Nischenpopstar zu sein, von Jay-Z und Beyoncé hofiert zu werden; was es bedeutet unter den aktuellen Bedingungen der Tonträgerindustrie ein Kleinstlabel zu betreiben und natürlich auch über die Lebens- und Wirkungsstätte Brooklyn.

Ach ja, hier zuerst und weltexklusiv, die Erde aus den Angeln hebend und so: mit den Arbeiten an einem neuen Grizzly Bear Album soll in wenigen Wochen begonnen werden. Das Cant Debüt erscheint dann planmäßig im September.

Mehr zu all dem am Mittwoch in einem Homebase Spezial ab 19 Uhr, inklusive dem Brummen Brooklyns.