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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

22. 2. 2011 - 11:58

Schleppen für Anfänger

Erwin Wagenhofers Spielfilmdebüt "Black Brown White": Ein Roadmovie zur schönen Aussicht Europa. Mit Hund, Kind und Herrn Fritz Karl.

Am Ende fühle ich mich wie auf einem Autobahnzubringer ausgesetzt. Landschaften zogen fast zwei Stunden vorbei, doch jetzt verwehre ich mir, noch eine Felsformation zu bewundern. Richtung Süden, an den Rand Europas reist man mit Erwin Wagenhofers Spielfilmdebüt "Black Brown White". Wenn der Schauspieler Fritz Karl als Don Pedro hinter dem Lenkrad seines Lkws nach Marokko übergesetzt hat, geht es im Windschatten eines Rotkreuzwagens zurück über Staatsgrenzen. Im Frachtraum hat Don Pedro nicht nur vierundzwanzig Tonnen spanisch gekennzeichneten Knoblauch aus der Ukraine. "Black Brown White", das ist Schleppen für Anfänger.

Regisseur Erwin Wagenhofer hat sich nach seinen ausgezeichneten Dokumentarfilmen "We feed the world" und "Let's Make Money" erneut an Orte begeben, die andere lieber umfahren. Die Gewächshäuser um die spanische Hafenstadt Almería und die nie bezogenen Spekulationsobjekte an der Küste sind einem vertraut. Als das erste Insert die geographischen Koordinaten nennt, freut man sich bereits auf den nächsten Satz, der fallen wird. Doch diesmal sind es SchauspielerInnen, über die Wagenhofer seine Gesellschafts- und Zustandskritik liefert, und nicht Menschen, die über ihre reale Arbeit für diesen Großkonzern oder jenen Job im rechtsfreien Raum sprechen.

Wagenhofer versucht kein Infotainment. Äußerst sparsam setzt er Dialoge ein, meist ist es nicht mehr als ein knapper Schlagabtausch. "Why has his car broken down?" - "Diabetes!", erklärt Don Pedro. Zuvor hat er Zuckerwürfel in den Tank eines Rotkreuzautos geworfen. Denn Don Pedro hat zwölf Menschen in seinem Laderaum. Und auch die schöne Jackie neben ihm will mit ihrem Söhnchen nach Europa. Der Papa, ein Schweizer UN-Mitarbeiter wird sich freuen. Rettungsautos an kontrollierten Staatsgrenzen kommen da gerade recht. Ein Anfänger im Geschäft, ein junger Ukrainer, hingegen ist hinderlich.

Fritz Karl und Clare-Hope Ashitey sitzen am Strand

Allegro Film Petro Domenigg

Fritz Karl und Clare-Hope Ashitey

Auf der Flucht vor dem Donnerstag-Abend-TV-Film

"Black Brown White" fokussiert die Thematik des Menschenschmuggels auf eine erträgliche Dosis Schicksal für die Prime Time. Der Bruder von Kommissar Rex hat einen Auftritt, Jackies Sohn darf süß schauen und einmal kotzen, und die Mama wird den Trucker küssen. Die Frage ist nur, wann. "Just in time" steht in großen Lettern auf Don Pedros schwarzem Lkw, es ist das Mantra dieser 107 Kinominuten. Beinahe die ganze Handlung liest man auf der Film-Website unter sechzig Sekunden. Als Don Pedro in den ersten Minuten auf Bernd, einen Arzt ohne Grenzen und ohne Frau trifft, tritt mit ihm der Mann für alle Wendungen auf den Plan. Denn Erwin Wagenhofer will die gängigen Wege doch nicht einschlagen.

Das Drehbuch zu seinem Roadmovie hat Erwin Wagenhofer gemeinsam mit Cookie Ziesche geschrieben.

Allerdings meint es Wagenhofer offensichtlich zu gut mit seinem Publikum. Zwischendurch will man aussteigen. Aus der Fahrerkabine mit Hund, Kind, Schönheit und Schönling kraxeln, um nach den zehn Menschen zu sehen, die hinter Knoblauchkisten in einem drei Quadratmeter kleinen Zwischenraum versteckt sind. Zu Gesicht bekommt man sie nach dem Verladen nicht mehr.

"Du sprichst nicht wie ein Trucker", sagt Jackie zu Don Pedro. Just in time, once again, denke ich mir. Der Kommentar ist ein Kunstkniff von Wagenhofer, Fritz Karl hat Method Acting nicht im Griff. Er hat den Lkw-Führerschein in Vorbereitung für diese Rolle gemacht, er schmiert und schraubt in der Anfangssequenz ein Best-of-Schwerstarbeit, er bemüht sich sichtlich. Doch der Lack geht nicht ab. Karl spricht jeden Satz, als würde er im Anschluss auf dessen Echo warten. Doch das verschlucken die Panoramaketten, die Kameramann Martin Gschlacht Totale für Totale baut.

Kameramann Martin Gschlacht und Regisseur Erwin Wagenhofer

Allegro Film Petro Domenigg

Martin Gschlacht und Regisseur Erwin Wagenhofer

“Black Brown White“ läuft bereits in den österreichischen Kinos.

"Photographed by" müsste im Abspann neben dem Namen des 41Jährigen stehen, der die Wiener Filmproduktionsgesellschaft coop99 mitbegründet, und wie Erwin Wagenhofer, Fritz Karl und drei Dutzend andere FilmarbeiterInnen die Akademie des Österreichischen Films aus den Angeln gehoben hat. Nach "Black Brown White" möchte man in den nächsten Kinosaal gehen und sich daraufhin Shirin Neshats "Women Without Men" ansehen. Gschlacht malt Film nahezu und fordert die Erzählung heraus. "Black Brown White" lässt Distanz zu und macht es einem als Zuschauer zu leicht, das Geschehen Abstand gewinnen zu lassen. Das Roadmovie nimmt einen nicht mit, man sitzt im gut klimatisierten Führerhäuschen und kann sich auf Annäherungsversuche konzentrieren, wenn man der Landschaftsbilder überdrüssig ist. Ein Trugschluss, dem Wagenhofer jedoch nicht nachgibt. In der Fiktion verpackt Wagenhofer sein Wissen über Missstände, die Normalität geworden sind, äußerst subtil.