Erstellt am: 21. 2. 2011 - 21:58 Uhr
Journal 2011. Eintrag 40.
2011 ist Journal-Jahr - wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Rechnet man das Fußball-Journal '11 dazu bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inklusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit ein paar Gedanken-Fetzen über die Flexibilisierung und den Wert von Arbeit und Arbeitszeit, angestachelt von einem Monocle-Cover
monocle
und auf hiesige Verhältnisse und Notstände weitergedacht.
Außerdem sollte der Hinweis auf das ZDF-Nachtstudio von letztem Sonntag (hier in der dortigen Mediathek nachzusehen; wohl noch zwei Wochen) nicht fehlen; wenn ich die Sendung schon verpaßt habe - danke Claudia!
Das Cover der März-Ausgabe von Monocle, der Zeitschrift des kanadischen Designers, Wallpaper-Gründers und FM4-Propagandisten Tyler Brûlé ("I love to pretend that I live in Vienna by listening to ORF's FM4") ziert eine Umschau über die Zeit/Arbeits-Gewohnheiten der westlichen Welt: die Arbeitszeitverkürzungs-Maßnahmen in Frankreich, die spanische Siesta, der Streit um die US-Standard-Time, die japano-koreanische 24-Stundentag-Praxis, die Sonntags-Ladenöffnungszeiten-Debatte in Deutschland und anderes mehr rund um den Neoismus "flexitime".
Wenn man sich vor Augen hält, dass die Siesta aus einer Zeit stammt, in der die Menschen zwei Jobs hatten, und so die Pause dazwischen markierte, dann ist sie nichts als ein Vorläufer des Arbeitsalltags der Working Poor, die sich auch erst mithilfe von zwei schlecht bezahlten Jobs ein mehr-recht-als-schlechtes Leben leisten können. Und steht in eklatantem Gegensatz zu Keynes Vision von der 15-Stunden-Woche (die von den Keynesianer bewusst nie mitgeliefert wird, wenn sie seine alten Thesen als heute noch relevant einbringen).
Dass die bewusste Entscheidung einiger Europäer, vor allem der Franzosen, für eine bessere Lebensqualität gegen die nur scheinbar höhere Produktivität des US-Arbeitsethos mehr Vorteile als Nachteile liefert, wurde ja erst kürzlich besprochen. Dass Franzosen und vor allem Holländer mit ihren Taten zu "childcare", zur Familienförderung, um ein Deutliches besser dastehen als die diesbezüglich gerne Lippenbekenntnisse versprühenden katholischen Länder des Südens, bei denen auch Österreich gern vorne mitspielt, ist ein Fakt, den man nicht oft genug betonen kann.
Flexitime und Öffnungszeiten
Aber nicht nur dort hinkt das österreichische Denk-Modell immer noch ganz entscheidend hinterher. Auch wenn es um die zentrale Frage der Arbeitszeit-Flexibilität geht, die Abwehr von der alten 9to5-Schule in eine zeitgemäße 24-Stunden-Wirtschaft, tut sich Österreich als Hort der Bewahrermentalität auf.
Ich weiß, da betrete ich dünnes Eis.
Die Öffnungszeiten-Debatte in Österreich etwa bringt, egal ob sie den heiligen Sonntag oder ein Rund-um-die-Uhr-Modell betrifft, die wildesten Koalitionen zustande.
Und natürlich würde die praktische Umsetzung die zunehmende Prekarisierung der Arbeit vergrößern, und die vorhin besprochenen Working Poor vermehren: Denn mehr Arbeit für mehr Menschen bei nicht steigenden Ressourcen und Löhnen ziehen das amerikanische System nach sich - unglaublicher Service auf dem Rücken von wegen Dumping-Löhnen bis zum Gehtnichtmehr ausgepressten Unterprivilegierten. Denn mit den aktuellen gewerkschaftlich errungenen Arbeitsbedingungen geht sich das nicht aus.
9to5 und Greissler für alles
Die einzigen, die einer solchen Flexibilisierung zuarbeiten sind die, die sich ohnehin schon selber ausbeuten: Die neuen Ich-AGs und Kleinst-Unternehmer, die jetzt schon jenseits der 9to5-Maschinerie arbeiten und den Wunsch/Bedarf nach Öffnungszeiten nach 19/20 Uhr und vor allem nach einem geöffneten Sonntag nachkommen. Und das sind nicht nur die türkischen Bäckereien, die quasi immer offen haben, sondern die kleinen Läden, die da in ein Vakuum vorstoßen.
Noch geht es Wien und Österreich zu gut, damit diese 'Greissler für eigentlich alles' eine flächendeckende Infrastruktur, die neben den Großhandelsketten existiert, bereitstellen - wie das etwa in Berlin, aber auch vielen anderen deutschen Großstädten bereits längst der Fall ist.
Das wiederum hat damit zu tun, dass etwas immer noch nicht ins österreichische Gedächtnis gedrungen ist: wo nämlich der Wert der Arbeit steckt.
Werte und Stundenwahrheiten
Der sitzt nicht im Büro und verschickt Katzenvideos, plant Urlaube, chattet auf Facebook und sitzt in hirnlos aufgesetzten Verträgen vorgegebene Zeiten einfach ab. Der verliert sich auch nicht in als Arbeit vordefinierten diversen Beschäftigungs-Therapien, und er steckt schon gar nicht dort, wo die meiste Energie im Verkaufs-Gewerbe hingeht: in der Konkurrenzierung und der Behinderung der Kollegen.
Der Wert der Arbeit, und da ist egal ob die sich in stupiden millionenfach wiederholten Handgriffen, im Bereitstellen von Dienst- oder Sozialleistungen, in Strukturdiensten oder in schöpferischen Tätigkeiten manifestiert, findet jenseits der hierzulande gepflogenen sogenannten Stundenwahrheit statt.
Anstatt Resultate, Fortschritte, Konsequenzen oder Impact zu erfassen, werden weiter Sekunden gezählt. Und das führt immer nur dazu, dass diese Zeiteinheiten vergeudet werden und zwar auch noch in einer Darstellung höchstmöglicher Unwahrheit.
Solange dieser Fetisch, diese Schimäre aber im Denken aller als goldenes Kalb dient, um das man tänzelt um "das System" und letztlich auch sich selber abzulenken, wird jede Neu-Berechnung von Arbeitszeit, wird jede Flexibilisierung, jede Umstellung scheitern müssen. Und das Monocle-Cover wird sich dann weiterhin wie eine Nachricht von einem anderen Kontinent lesen.