Erstellt am: 20. 2. 2011 - 22:31 Uhr
Fußball-Journal '11-11.
Bundesliga, Meisterschaft und der Cup, der ÖFB und das Nationalteam, das europäische Geschäft, der Nachwuchs und die vielen Irrsinnigkeiten im Umfeld: Das Fußball-Journal '11 begleitet nach dem Jahr 2010 auch das neue Jahr wieder ungeschönt und ohne Rücksichtnahme auf Skandalisierungen und die Stillhalte-Abkommen, die den heimischen Fußball-Journalismus so mutlos daherkommen lassen.
Heute mit Beobachtungen aus der heimischen Bundesliga - wie die mutigen Ankündigungen der Coaches sich seriös mit Strategie und taktischer Vorbereitung beschäftigen zu wollen, von der Praxis auf den Boden einer stotternden Realität geholt werden.
Es ist ja fast ein wenig unheimlich, was sich in den letzten Tagen und Wochen in der Liga-Szenerie tut. Sollte sich wirklich plötzlich alles zum Guten wenden?
Da erzählt eine Trainer (Zellhofer/LASK) dass er seine Mannschaft auf den nächsten Gegner (Ried) mit Testgegnern, die das komplexe Gludovatz-System nachgestellt haben, vorbereitet habe. Ein anderer (Pacult/Rapid) denkt öffentlich darüber nach sein lange Jahre versteinertes System auf ein 4-2-3-1 umzustellen. Und ein dritter (Lederer/Mattersburg) schickt sein Team mit einer Kopie des Stevens-Systems aus Salzburg (4-1-4-1) ins gestrige Heimspiel. Und der so Kopierte hat sich für sein heutiges Match gegen Rapid überhaupt wieder was ganz anderes überlegt, taktisch.
Das kann doch nicht sein, oder doch?
Das sind dich unfassbare Töne, was?
Jahrelang schläft die hiesige Trainerzunft ihren von ebenso denkfaulen Medien für gerecht erklärten Schlaf der taktisches Faultiere (einen Schlaf in den ausländische Coaches, die hergeholt werden, sofort freudig verfallen, weil nirgendwo mit so wenig Einsatz so viel Präsenz zu erzielen ist) - und dann das? Die plötzliche Hinwendung zum strategischen Denken? Die Neu-Erfindung der präzisen Vorbereitung auf einen Gegner? Der finale Durchbruch der Bedeutung von Taktik?
Nur die große Diskrepanz zwischen Ankündigung und gelebter Praxis zeigen dass wir doch noch sehr in Österreich und einer immer noch von der reinen "Brauchmaned-desgaunzemoderneglumpad!"-Mentalität gezeichneten Fußball-Szene leben.
Es gibt eben nichts Richtiges im Falschen.
Und weder die neuen Rapid-Ambitionen, noch die Salzburg-Nachstellung, noch die vielen taktischen Varianten des LASK finden innerhalb eines Wissens- oder Bildungsstands statt, der eine adäquate Umsetzung ermöglicht. Mit Pisa-Versagern, die mit dem Vokabular kämpfen, kann man eben doch kein Gedicht schreiben.
Das Beispiel LASK
Georg Zellhofer war ganz schön traurig. Alles habe man probiert, schließlich sogar (mit einem Mann weniger) ein 4-3-2 und dann gar ein 3-4-2. Nichts habe es genützt, leider.
Mich erinnert die gequälte Aussage des Tabellenletzten an die vielen "Taktik is eh nur wos fia Madurandn!"-Sprüche, mit denen in den 90ern etwa die Viererabwehr für unspielbar erklärt wurde (eine Idiotie, die Österreichs Fußball zehn oder mehr Jahre hinter die europäische Mittelklasse zurückwarf). Der Schmäh geht so: Man probiert etwas halbherzig, und ohne die Idee dahinter zu verstehen aus, scheitert bewusst und kehrt zum alten Schas von davor zurück. Lange war dieser öde Trick etwa bei Lederer in Mattersburg unendlich beliebt.
Georg Zellhofer hat schon durchaus interessante Teams trainiert, war in mehreren Welten zugange, weiß also theoretisch um die Möglichkeiten. Bislang war bei ihm außer dem defensiven 4-4-2 mit zwei defensiven Mittelfeldspielern und wenig Kohärenz zwischen Defensive und Offensive nichts drin.
Gegen Ried und deren clever auf die Möglichkeiten der Mannschaft abgestimmtes 3-3-3-1 begann Zellhofer mit einem 4-2-2-1-1: zwei defensive im Mittelfeld, zwei offensive am Flügel, eine hängende Spitze hinter einer echten.
Bloß: Die beiden offensiven Außenspieler waren nur bessere Außenverteidiger - die echten verstanden sich, ganz im Sinn der österreichischen Schule des Nicht-Kapierens der Bedeutung des modernen Außenverteidigers nach Constantini und Co sowieso als zusätzliche Innenverteidiger. Und der zentrale Mittelfeldspieler fühlte sich merklich außen wohler - weshalb er sich dann dorthin orientierte. Da die beiden defensiven in der Zentrale sowieso viel Platz nach vorne ließen, kam der LASK in der 1. Halbzeit also mit einem gestaffelten 8-1-1 daher.
In Hälfte 2, nach einem Ausschluss, wurde daraus ein deutlicheres 4-4-1, allerdings zunächst mit Rene Aufhauser als vorderstem Mittelfeldspieler; das ist für das Offensivspiel allerdings etwa so erfrischend, als würde man Werner Faymann zum Bundeskanzler machen. Zellhofer änderte das in ein 4-3-2, allerdings mit einem stumpfen rechten Flügel - was erst recht wieder keinen Sinn hatte; und kurz später in ein 3-4-2, mit richtigen Flügeln - allerdings war die Aufteilung dahinter völlig unklar und konfus.
Und von einer Mannschaft, die mit Testgegnern das Rieder Spiel geprobt hatte, war nichts zu sehen.
Mit anderen Worten: Systemwechsel mitten im Spiel, die bei einer Klasse-Mannschaft oder mit nach italienischen Maßstäben ausgebildeten Spielern sicher gutgehen, können dann, wenn man jahrelang taktisch nichts gearbeitet hat, einfach nicht funktionieren.
Und: Während die Constantinis des Landes in ihren Spielen nichts oder nur Banales unternehmen, um mit taktischen Umstellungen Änderung herbeizuführen (und damit die Intelligenz ihrer Spieler unterfordern), übertreibt es Zellhofer. Und eigentlich sollte ihm das ja bewusst sein - er trainiert nicht das erste Mal in Österreich und weiß schließlich, was im Land von Krankl und Co an Basisarbeit geleistet wurde. Nichts eben.
Das Beispiel Rapid
Rapid-Coach Peter Pacult kündigte an das (ihm aufgezwängte und) bisher nur in der Vorsicht der Europa-League verwendete 4-2-3-1 auch in der Liga zu verwenden. Und er tat das dann auch - einfach weil er mehr gute offensive und gefährliche Mittelfeldspieler als brauchbare Stürmer hat, und so sein altbackenes 4-4-2 noch schlechter aussieht als ohnehin.
Aber auch hier kann es nichts Richtiges im Falschen geben: Das Grund-Problem der Rapid-Mannschaft, das große Loch zwischen Offensive und Defensive, bleibt von dieser Reform, die Pacult dann im Spiel gegen Salzburg auch durchzieht, unbehandelt.
Weshalb es dann auch keine wirklich nachhaltigen Auswirkungen gab. Der aus Innsbruck zurückgeholte Boris Prokopic wurde mit der Aufgabe im zentralen offensiven Mittelfeld betraut; bloß: Er fiel dort nicht weiter auf.
In Innsbruck hatte er nämlich nur einen Mann (Abraham) hinter sich und eine hängende Spitze (Schreter) quasi neben sich - ein fließender Übergang zwischen Abwehr- und Angriffs-Haltung war so also garantiert. Bei Rapid trifft Propopic nur auf das alte unausgegorene System, das Beobachter als OM-Loch bezeichnen, auf eine Mannschaft, die sich an ihrer eigenen Lücke abarbeitet.
Pacult gab nach dem Spiel damit an, nach Drazans Ausschluß bewußt auf einen linken Flügel verzichtet und damit Stevens verwirrt zu haben, angeblich weil der die Viererabwehr nicht auflöste und Bodnar hinten hielt. Das ist ziemlicher Unfug: zum einen, weil es zwar nach dem Ausschluß keine echte Flügel, sehr wohl aber drei offensive Mittelfeldspieler in der gesamten Feldbreite (mit Kavlak als linkestem davon) gab; zum anderen, weil Bodnar sowieso einen echten Offensiv-Verteidiger gibt. Es gab also gar keinen Pacult'schen Kniff.
Ähnlich wie Zellhofer stellte dann auch Pacult in der 2. Hälfte hektisch mehrmals um - auch weil er schließlich mit nur acht Feldspielern operieren musste. Aus dem 4-4-1 wurde da ein 4-3-1 und schließlich sogar ein schon groteskes 4-1-1-2.
Dass Rapid den Ausgleich schaffte und gegen die mit einem Mann mehr agierenden Salzburger mehr Biss aufbrachte, hat mit der individuellen Klasse Einzelner und mit der Salzburger Tranigkeit zu tun - ein Verdienst der Betreuer ist es keineswegs.
Das Beispiel Mattersburg
Franz Lederer wollte es wissen. Fürs Heimspiel gegen die spielstarken Grazer stellte er wie Huub Stevens auf: 4-1-4-1.
Weil er aber, wie der LASK, wie die meisten heimischen Vereine, nicht begriffen hat, wozu Außenverteidiger da sein könnten, wird aus den Außenspielern im Mittelfeld und den beiden offensiver orientieren ebendort eine zweite Abwehrreihe. Zwischen der und der hintendrin postierten 4+1-Abwehr gibt es zwar auch noch ein Loch - an Offensive denkt in diesem 9-0-1 aber keiner.
Huub Stevens ist ein Defensiv-Papst, durchaus: So reaktionär, wie Franz Lederer sein System auslegt, würde aber selbst er nie händeln. Es ist einer Neuorientierung in der 2. Hälfte, einem seltsam auftretendem Gegner und einem Renegaten namens Alois Höller (der sich plötzlich als Rechtsverteidiger moderner Prägung empfand und entsprechend vorging) zu verdanken, dass der SVM wieder einen Punkt holt.
Der Versuch der System-Kopie ging so vonstatten wie alle Imitationen von Dingen, deren Kern man nicht erforscht hat: Das Schlaue fällt weg, das Doofe bleibt über.
Am Beispiel Sturm Graz
Die Grazer halfen in dieser Angelegenheit mit: Trainer Foda zauberte seinen alten Hut von vor Jahren aus der Kiste: Muratovic hängt hinter dem Stoßstürmer und zwingt so das defensive Mittelfeld (Kienzl und Weber) dazu reine Staubsauger-Arbeiten zu verrichten anstatt aufzubauen (was beide ja gut können), weil er als selbsternannter Spielmacher alle Fäden an sich reißt. Alte Schule, hauptschuldig am Punkt-Verlust.
Am Beispiel Salzburg
Da hat Huub Stevens mit einer kleinen Unmerklichkeit für gravierende Änderungen gesorgt. Weil die Salzburger Innenverteidigung so in der Kritik stand (weshalb man ja auch Douglas geholt hatte, der sich geschickterweise als Saisonausfall-Verletzter aus dem Spiel nahm), probierte man was Neues: Sekagya und Afolabi tauschten Platz.
Und Ibrahim Sekagya, der Kapitän, nahm seine neue Rolle als linker Innenverteidiger zum Anlass gleich überhaupt weiter vorn zu spielen - was gleich ein gänzlich anderes Grund-Konzept nach sich zog. Svento, eigentlich links hinten, war hauptsächlich im Mittelfeld zu finden, was Jantscher ganz nach vorne in eine reine Flügelstürmer-Rolle drängte. Rechts drückte Leitgeb über die Seite, was wiederum Zarate ganz nach vorne beförderte. Zentral presste Schiemer ordentlich, mit Cziommer vor sich. Und plötzlich wurde aus einem 4-1-4-1 immer wieder ein 3-1-3-3; eine wilde Idee für ein improvisationsfreudiges Ensemble - erinnerte an die asymmetrischen Teams bei der WM oder hochkarätige Vereinsteams wie Arsenal oder Barcelona.
Aber auch hier holte die Wirklichkeit den Anspruch schnell ein: Wer jahrelang auf einen einzigen Schmäh hin konditioniert wurde wie die Stevens-Truppe, kann sich dann nicht einfach per Handzeichen in ein kleines Barcelona verwandeln.
Anspruch und Wirklichkeit
Deshalb ein Tipp von mir: Vielleicht war das alles keine Stevens-Anweisung, sondern etwas, was sich zufällig so ergeben hatte, weil Sekagyas Neuinterpretation all diese Schritte versehentlich nach sich zog.
So sieht nämlich die Praxis aus: Weil sich im österreichischen Fußball die meisten Akteure schämen taktische Erwägungen zu erwähnen und sich in diesem Fall gegenseitig mit Schimpfnamen wie "Du Tatar!" oder "Du Gludovatz!" belegen, geraten auch angekündigte oder nachträglich analysierte strategische Betrachtungen zu Blindflügen mit dem Zufalls-Generator.