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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

19. 2. 2011 - 20:45

Journal 2011. Eintrag 39.

Der Bauch der Musikindustrie. Oder: Wie Gier alles ruiniert.

2011 ist Journal-Jahr wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Wenn man das Fußball-Journal '11 dazurechnet: bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inklusive.

Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Rückgriff auf ein wichtiges Thema im letzten Herbst: der historischen Einordnung des vielbeschriebenen Untergangs der Musikindustrie.
Dass nämlich die kurze Periode in der mit Musik ordentlich Geld gemacht werden konnte, ein einmaliger Gag der Geschichte war; über die Absurdität der Sülzereien von Industrie und Musikanten und die Hoffnungslosigkeit aller Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der horrenden Gewinn-Marge.

15. 9. 2010: Kreativer Musiker sein und davon leben können? War nur ein kurzer historischer Zufall. Vergiss es. Über eine Episode, einen Zufall der Geschichte, die/den wir - trotz ihres Endes - bewahren wollen.

2. 11. 2010 : Musik-Fordismus vs. Autoren-Prinzip: Unentschieden. Wenn der Anfang einer Ära schon sein Ende in sich trägt.

15. 12. 2010: Der Song ist obsolet. Über das Verschwimmen von Privat- und Berufsselbst, Intensität und Identität, und was das mit dem Zustand der Popmusik zu tun hat.

Heute schickt mir Arno Nym (Name der Redaktion bekannt) einen Link und dazu folgende Zeilen: "schöne visualisierung zum tod der musikindustrie - und der falschen diskussionsgrundlagen, mit denen hier hantiert wird."

Der Link enthält hauptsächlich eine Graphik, die die anschaulich macht, dass die Gewinne über digitalen Musikverkauf die Verluste im analogen Bereich nicht wettmachen können. Dazu enthält das Forum einige interessante Anmerkungen.

Mir sagt die Graphik auch noch was anderes, meiner Meinung nach wesentlich Wichtigeres. Es geht um den Blick auf das größere Bild, den Hinweis auf die Einmaligkeit der kurzen historischen Phase in der der Verkauf von Tonträgern so einträglich war.

Musikindustrie-Gewinn-Statistik 1973 bis 2009

businessinsider

Alles klar?

Zwei Hinweise aus dem Forum:

1) This doesn't show the death of the music industry. It shows how the music industry is changing to be less focused on recorded music. The recording industry and the music industry are not the same.

2) Read Mick Jagger interviews - He says nobody ever made money on recorded music except for a brief period. It was made performing before and will be again now and this chart backs that up. The recording industry is the outlier.

Kommt mir bekannt vor, diese Mick Jagger, dem London School of Economics-Schüler und Rocksuperstar zugeschriebene Aussage. Ist der Kern meiner kleinen These von letztem Oktober: Ein Zufall der Geschichte, nämlich als Musik-Kreativer vom Tonträgerverkauf leben zu können, lässt sich nicht künstlich bewahren.

Die Graphik zeigt deutlich die Unwiederbringbarkeit der 70er und 80er-Jahre-Zustände, die von den damals sozialisierten als Selbstverständlichkeit angenommen wurden - was sie im krassen Gegensatz zu den Digital Natives stellt, die das ebenso selbstverständlich anders sehen. Und weil es einfach kein sinnhaftes Geschäftsmodell gibt um dieses vermaledeite Internet, das Revolten begünstigt, Kontakt herstellt und Leaks in die internationalen Beziehungen treibt, zu einer kapitalistischen Melkkuh nach bislang gewohnter Art zu machen, wird sich an der aktuellen Entwicklung auch nichts ändern.

So weit, so klar.

Alben und CDs, die 80er und späte Peaks

Mir fällt an der Graphik allerdings etwas auf, was ich bislang in noch zu geringem Umfang beachtet habe. Das hat damit zu tun, dass die meisten Statistiken, die sich mit dem Musikverkauf, der Musikindustrie etc. beschäftigen den einzelnen Tonträger als zentrale Zähl-Einheit in den Mittelpunkt gestellt hatten.

Das ist richtig. Das ist aber auch falsch.

Denn die relevante Größe (aus Sicht des Business) ist natürlich der Gewinn, der Dollar. Und die vorliegende optische Ausschilderung veranschaulicht eben genau das: die Spur des Geldes.

Was fällt hier, abgesehen vom wissmaeh-Absturz der letzten paar Jahre auf? Mir sofort die Diskrepanz zwischen Gewinn aus LP-, also Vinyl-Verkauf in den 70ern und 80ern und dem ab dem Einsetzen der CD-Ära in den späten 80ern. Da liegt der Peak rund um 2000 und der ist, geldmäßig dreieinhalb- bis fast viermal so fett wie der Höhepunkt der Vinyl-Ära rund um 1978.
Selbst wenn die Musikindustrie, die sich in den 70ern aus recht anarchischen Umständen neu aufgestellt und konsolidiert hatte es dann anno 2000 geschafft haben sollte die Anzahl der Musikkäufer so deutlich zu vervielfachen - ein Teil des Zugewinns hat auch mit der deutlichen Verteuerung des Stückpreises bei der Umstellung zu tun. Wo man vorher für eine LP damalige 160 Schillinge zahlte, kostete die CD (mit dem Novelty-Bonus-Schmäh) dann plötzlich 250.

Abzocke und Piraten-Schmähs

Nicht weil es Material- oder andere nachvollziehbare Kostensteigerungen gab, sondern halt so. Neues Format, neue Technik, schönes Verwirrspiel - soll der Trottel-Konsument brennen wie ein Luster. Der massive Zugewinn in der Dollar-Statistik ist auch auf diese Abcasherei zurückzuführen.

Man könnte also sagen, dass die Musikbranche, besser: die Tonträger-Verkauf-Abteilung, bis Mitte der 70er Businesspläne mit Maß und Ziel verfolgten, während sie danach, durch den CD-Boom ins Irrwitzigste beflügelt, jegliche Bodenhaftung verloren haben - der Bauch in der Grafik weist das auch sichtbar aus.

Und in dieser Phase des glorreichen Aufschwungs, in den 90ern als die CD-Verkäufe ins Unermessliche stiegen, war sich die Branche offenbar sicher, dass diese Entwicklung für immer so bleiben würde - weshalb man sich keinerlei Gedanken um nichts mehr machte.

anti-"hometaping is killing music"-sticker der dead kennedys

dead kennedys

Dabei gab es auch schon in den 80ern eine Gefahr, die - ebenso wie die digitalen Gratissauger heute - als Piraten hingestellt wurden; mitsamt denselben schwachsinnigen Kampagnen. Der Feind damals: das Tape, die Leercasette, auf die der Privatmensch sein Vinyl (später die CD) kopierte, um sie nicht nur auf der heimischen Anlage, sondern auch sonst wo griffbereit zu haben. Letztlich ist das Tape (besser: ihr Einsatz im Walkman) der Vorläufer der digitalen Formate, auf die man per transportablem Musikabspiel-Gerät immer zugreifen kann.

Das Motto damals lautete Hometaping is killing music - sollte heißen: alle, die sich ein Tape ziehen bringen die Musik um. Die Statistik zeigt die Verlogenheit dieser Kampagne auf das Herrlichste auf - nichts wurde gekillt, ganz im Gegenteil.

Der Bauch bringt den Koloss zu Fall

Gekillt hat sich die Musikindustrie selber, mit der dümmlichen Konzentration auf die Monokultur Tonträger, und mit dem sich-drauf-verlassen auf den Ewigkeitswert einer Cashcow, die man in gewissen Rhythmen von anderen Formaten ablösen lassen wollte, um dann wieder die Preise nach oben treiben zu können (altes raubtierkapitalistisches Prinzip). Und auch, weil sie so vorgingen wie die Gekkos in der selberverursachten Krise: ausbluten, aber nicht aufforsten; angesichts des Peaks nur nach mehr gieren, anstatt Rezepte für die Zukunft bereitstellen.

Unter anderem deswegen müssen wir uns seither (nicht nur von der Musik-Industrie, auch von verwandten Bereichen) von Schuldzuweisungen aus dem alten Piraten-Fundus belästigen lassen: Egal ob beim vor zehn Jahren für den Untergang des Musik-Abendlandes gehaltene CD-Brennen oder beim Filesharing oder aktuell bei der Netz-Gratis-Kultur. Die immanente Lächerlichkeit inklusive.

Dass just der graphisch so deutlich erkennbare Fettbauch der sich auf Tonträger-Verkauf fixierenden Musikindustrie sie dann selber in den Untergang getreten hat - ein Treppenwitz der interessanteren Sorte.