Erstellt am: 18. 2. 2011 - 20:01 Uhr
Journal 2011. Eintrag 38.
2011 ist Journal-Jahr wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Wenn man das Fußball-Journal '11 dazurechnet: bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inklusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einer Assoziationskette, die in den Medien beginnt und aufhört. Dazwischen steckt das Nicht-Überprüfen von Klischees.
Der neue "Wiener" hat eine große "Wie viel Macht hat Ö3"-Titelstory. Kein uninteressanter Ansatz, auch durchaus okay gelöst, in unaufgeregtem Ton, ohne Sensationalismus, trocken und sauber.
Gleich in der ersten Spalte findet sich zwei Sätze zur Einschätzung der drei Interview-Partner (Programmleiter Georg Spatt, Musikchef Alfred Rosenauer und Wecker-Verantwortlicher Rolf Lehmann): "Alle drei präsentieren sich locker im Interview, wenn auch Oberboss Georg Spatt in der Tonalität an einen Politiker erinnerte. Aber vielleicht muss man für die Schlangengrube Küniglberg so gepolt sein."
So stringent diese beiden Sätze für den Außenstehenden klingen mögen und so gut sie letztlich sogar gemeint sind - viel falscher geht's nicht.
In jeder Hinsicht.
Das Warum würd' ich im Folgenden gern ausbreiten.
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Zum einen: Die angesprochene Tonalität ist keine durch Schulungen erzielte Neuerung, die Führungskräften auch im Medienbereich so angediehen bekommen; das war immer schon so. Georg Spatt ist jemand, der präzise und um die größtmögliche Verständlichkeit bemüht argumentiert - das ist so, seit ich ihn das erste Mal erlebt habe; und auch ein Grund dafür, warum er den Respekt seiner Mannschaft genießt (etwas, was man nicht über jeden seiner Vorgänger behaupten kann).
Genaugenommen sind Spatts Äußerungen, egal ob ich sie bei internen Sitzungen oder öffentlichen Auftritten erlebe, Prototypen dessen, was ich von einem guten Politiker erwarten würde.
Mir fallen jetzt nur eine matte Handvoll öffentliche österreichische Personen ein, die das können: Mit einem Aufmerksam-Macher einsteigen und dann einen ihnen wichtigen Sachverhalt bzw. einen Standpunkt dazu in zwei Sätzen darzulegen. Diese politische Kunst (alten römisch-griechischen Stils) beherrschen nur wenig, und die gehören meist keiner Partei an.
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Deshalb ist es irgendwie seltsam ausgerechnet Georg Spatt mit einem negativen Politiker-Bild zu konnotieren.
Wäre er nicht Ö3-Programmchef, er würde als Volksbildner im Kurt Palmschen Sinn oder als Kommentator der Hugo-Portisch-Schule gute Figur machen. Seine Tonalität der Erklärung hat etwas zutiefst Aufklärerisches - und steht damit in drastischem Widerspruch zur politischen Praxis.
Das wäre die erste Unsinnigkeit in den zwei Zitat-Sätzen, um die es hier gehen soll. Die zweite schließt da direkt an.
Mit einer solchen Spattschen Zugangsweise ist man, entgegen der Behauptung, dass man fürs Überleben in einer Schlangengrube so drauf sein muss, schlecht dran. Der Überzeugungstäter und Argumentierer in der Schlangengrube ist nämlich vor allem eines: gefickt.
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Im Hort der Intrige nämlich geziemt es sich nicht direkt zu sein, und das zu sagen, was man denkt. Dort hat man am allerbesten keine Meinung und sucht sich seinen Weg auf die indirektest mögliche Weise - mittels offensiven Gesüßels, durch implizite Drohungen, Verweise auf gute Kontakte, mit inszenierten Kraftproben und überraschende Allianzen.
Die alte Kunst der Rede, des überzeugenden Auf-den-Punkt-Bringens, auf das die römischen Heldendramen von Shakespeare und Co verweisen, funktioniert in offenen Räumen wie dem Wiener Audimax, dem Tahrir-Platz oder beim Twitter-Eintrag; in der Schlangengrube sind solche volkstribunale Fähigkeiten eher hinderlich.
Diese zwei Denkfehler bitte im Talon behalten - jetzt zum zentralen Punkt: der Küniglberg-Zuschreibung der Schlangengrube.
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Das ist ja eine recht bequeme Sache. Und ich weiß wovon ich da spreche, weil ich ja durchaus Mittäter bin.
Es gibt wenig Einfacheres als den Küniglberg, das ORF-Zentrum, als Todesplaneten abzutun. Dazu tragen seit Generationen praktisch alle, die mit Medien, Macht oder Politik zu tun haben bei. Und natürlich auch die Außenstellen: das Funkhaus, die Landesstudios, Heiligenstadt, wir also.
Die Geschichten, die wir ORF-Mitarbeiter, die nicht im Moloch KüBerg werken, einander erzählen, basieren seit Jahrzehnten auf demselben Mythos: Gute Menschen, bei uns in den Niederungen gehegt, umsorgt und gut ausgebildet, wandern hinauf auf den Berg des Unheils, werden gebrainwasht und gebärden sich nach kurzer Zeit als schurkenhafte Widergänger ihrer selbst.
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Mit diesen Geschichten versuchen wir, die Nicht-Küniglberger, uns von dem Schmutz freizuwaschen, mit dem eine klassenübergreifende Neidgesellschaft "den ORF" als Gesamtes überfrachtet - der zweifelhafte Versuch einer Abgrenzung der "guten" Teile des ORF (die Radios, Online...) von Reich des Bösen (Fernsehen, der Berg eben); der natürlich seine Geschichte und wahren Kerne hat.
In bestimmten Phasen besonders verknöcherter Führungs-Konservativität wurden tatsächlich Pfründe begründet, die heute noch ausstrahlen und Teile des Bergs zu tatsächlichem Waste Land gemacht haben.
In Zeiten wie diesen, und die letzte schlimme Phase ist ja noch nicht sooo lange her, treffen sich dann diese Zuschreibungen und verdichten sich zu einem untoten Mythos. Die "die-da-oben"-Zuschreibung der an politischer Dauerpackelei denkenden Medienkonsumenten trifft die "die-da-oben"-Zuschreibung der an der strukturellen Undurchdringlichkeit scheiternden Medienmacher, vor allem die der restlichen ORF-Mitarbeiter, die von den anderen Medien dann gern als Zeugen angeführt werden. Dazu kommen noch die Masochisten, die sich selber und den eigenen Arbeitsplatz niedermachen müssen um den Erwartungen der Kleingeist-Abteilung zu entsprechen.
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Eine unheilige Allianz - deren Outcome dann dafür sorgt, dass dann im Synonym-Lexikon neben Küniglberg automatisch "Schlangengrube" oder "Intrigenstadl" steht. Und dieses im kollektiven Bewusstsein Festgeschriebene braucht dann keinerlei neugierige Neu-Überprüfung; es reicht die Übernahme altbackener Klischees; mit der schieren Rechtfertigung, dass es die anderen doch auch immer verwendet haben und weiter verwenden.
Das ist (um ein harmloses Beispiel zu bringen) in etwa so originell wie eine Protestsongcontest-Zwischen-Moderation zum Thema "Blumenau isst so viele Nachspeisen". Das war in den 90ern so (und als hochstilisierter Gag originell), hat aber mit dem 21. Jahrhundert nichts mehr zu tun. Es geht ausschließlich um die billigen Lacher, die auf alten Klischees fußen, und was für die Satire gut funktioniert, muss für die heimische Variante von Journalismus nur billig sein.
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Die Schlangengruben-Mentalität, die ich aus meinen persönlichen medialen Erfahrungen kenne, die mit Herrenwitzen garnierten Möchtegern-Machtspielereien, die mit der Nähe zu politischen und ökonomischen Playern prahlende Aufgeblasenheit, die mit den Mitteln eines Bürokratie-Apparats jongliernden Ablenkungs-Manöver von Nichtfachleuten, die habe ich eigentlich immer bei anderen Medien kennengelernt, manchmal sogar bei kleinen, nach außen hin irre lässig Dastehenden.
Das, was den Küniglberg so anstrengend macht, das, was ihm das beschriebene Image eingebrockt hat, ist seine geringe Beweglichkeit, sind die (teilweise unabsichtlichen) Blockierungen, die durch Abteilungs-Kämpfe, Kompetenz-Streitereien oder schlichtes Nichtwissen verursacht werden und durch übergroße Ängstlichkeit derer, die sich was trauen könnten.
Das ist nun alles Mögliche, und alles mögliche Unerfreuliche - "Schlangengrube" ist aber einer der falscheren Begriffe, um diese Gefühligkeit zu beschreiben. Schon gar nicht in der aktuellen Situation, schon gar nicht 2011, im Jahr nach dem Abgang einiger gewiefter Machtspieler, in einer Phase strukturell vergleichsweise sinnvoll gesetzter Maßnahmen.
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Um jetzt auf die - überlegungstechnisch doch schon recht weit entfernt liegende - Spatt/Ö3/Küniglberg/Schlangengrube-Sache zurückzukommen: Wenn etwa eine Kooperation zwischen Radio und TV knirscht, dann wird es so angesprochen, in einer ganz ohne giftige Minenfelder auskommenden Offenheit.
Eine Sache steckt aber noch hinter dieser ganzen altbackenen und denkarm übernommenen Zuschreibungs-Sache; und die ist relevanter als alles bisher Besprochene.
Durch die Fortschreibung von Klischees, das Nichtüberprüfen von als-selbstverständlich-Angenommenem und seit-jeher-Bestehendem auf seine tatsächliche Aktualität lähmt sich die Öffentlichkeit auf eine unerträgliche Weise selber.
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Sie schreibt damit Dinge fest, die sie beklagt, anstatt sie mit ein paar neugierigen Fragen aufzubrechen. Das österreichische daran: Man gefällt sich in dieser Form der Hoffnungslosigkeit jeglichen Handelns - der Hinweis auf vormalige Gruben reicht völlig, um sich kopfschüttelnd in die leise Beleidigtheit zurückzuziehen.
Das jedoch ist fatal.
Wenn etwas oft genug behauptet wird, glaubt man selber dran. Wenn der Küniglberg, auch von interner Seite, als Synonym für "sinnlos was zu probieren" dasteht, dann wird sich niemand was trauen.
Und die Schuld liegt zunehmend nicht mehr bei denen, die einmal für dieses Image gesorgt haben (man kann Gerd Bacher nicht für alles, was heute noch schiefläuft verantwortlich machen, so einfach und schön das auch wäre), sondern bald schon überwiegend bei jenen, die dieses Bild weiter und weiter nähren. Damit meine ich nicht in erster Linie jene, die - ohne böse Absicht - Begriffe übernehmen ohne den Hintersinn zu bedenken, wie die Wiener-Autorin. Das ist ein guter Anlass, über diese Unsitten nachzudenken.
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Entscheidender sind diejenigen, die sich völlig im Klaren über ihr mediales Trommelfeuer sind, über die permanente Verwendung von bewusst falschen Begriffen, mit denen sie bei den Mediennutzern bestimmte Haltungen festigen wollen: Also jene Medien-Player, die ein gezieltes Interesse an ökonomischer Destabilisierung noch halbwegs verantwortungsvoller Medienarbeit haben - und das geht über das dauernde Anpatzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weit hinaus, das betrifft kleine und freie Medien, den gesamten Bereich der Social Media bis hin zu Freiheitsbeschneidungen von öffentlichen Äußerungen.
Entscheidender sind die Campaigner, die ihre Medienkraft einsetzen um ihr Publikum zielgerichtet zu instrumentalisieren. Und warum sich etwa Ö3 so sehr und so gern im Zentrum von Angriffen dieser Sorte sieht, beantwortet indirekt eine der Side-Kolumnen der angesprochenen Cover-Story. Da sagt der Journalismusforscher Hannes Haas auf die Frage nach der medialen Macht von Ö3 (und die könnte ja weit über den sonst hauptsächlichen Einsatz von Musik hinausgehen): Im Vergleich zur Krone kampagnisiert Ö3 nicht um ein politisches Anliegen durchzubringen. Und er verweist auf die Social Campaigns wie Team Österreich oder die Wundertüte.
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Vor diesem Potential, vor diesem Reservoir haben einige Angst. Wer um die Möglichkeit der Macht einer politisierten Medien-Campaign weiß, fürchtet Player, die das könnten. Und Ö3 oder das ORF-Fernsehen könnten das.
Weshalb die mit der Redundanz eines Scooter-Songs vorgetragene Punzierung (der Marke Schlangengrube) dann auch Sinn ergibt. Wenn man willens ist, sich das gesamte Bild anzusehen.