Erstellt am: 20. 2. 2011 - 06:00 Uhr
Voll provo, ey
* Anm.: Angaben ohne Quellen stammen vom Pressetext der Kunstgruppe.
Vor einem Monat habe ich über Twitter etwas über eine Plakatwand gehört. Auf dieser steht in riesigen Goldlettern das englische Wort "Food". Sie wurde in Burundi aufgestellt, dem laut Welthungerindex 2010 nach der Demokratischen Republik Kongo vom Hunger am meisten betroffenen Land der Welt. 63% der Bevölkerung sind unterernährt. Das Plakat der Kunstgruppe wurde durch öffentliche Förderungsmittel in Höhe von EUR 150.000,- finanziert. *
Catch 22 - Der Hund jagt den eigenen Schwanz
Wer über so ein Projekt erfährt, ist empört. Ich bin empört. Man ist sprachlos, fragt sich, wer so etwas denn finanziert, ob man das "darf", wie man nur die Frechheit und Blasiertheit besitzen kann, so ein Projekt durchzuführen.
Und das ist genau die Reaktion, die diese Kunstgruppe hören wollte. Die Tatsache, dass ich hier sitze und darüber schreibe, macht mich äußerst unwillig zum Teil dieser ganzen Sache. Die Künstlergruppe wird sich sehr darüber freuen. Doch so einfach mache ich es ihnen nicht.
Ich bezweifle nämlich, dass dieses Plakat überhaupt existiert. Es gibt nur Pressetexte und einen Blogeintrag zu dieser Aktion. Wenn sie's doch wenigstens wirklich gemacht hätten! Auf meine Frage via E-Mail, ob das Ding wirklich steht, bekam ich keine Antwort. Auf die Frage, ob sie Pressematerial haben, bekam ich eine, und dazu 7 Attachments. Man beginnt zu erkennen, worum es hier eigentlich geht.
Kunst als Provokation
Es geht um Provokation, noch dazu ein fiktives "Was wäre wenn!"-Provokationsspielchen. Das ist bei Weitem kein Beweis der moralistischen Zivilcourage und kein politisches Statement. Kein Handeln. Von mir aus Zynismus, aber was nutzt der, wenn er nicht einmal jemandem den Spiegel vorhalten will.
Johannes Grenzfurthner erklärte den Umstand mit sehr ähnlichen Worten bei seinem wunderbaren TEDx-Talk im vergangenen Oktober, treffender kann man es nicht beschreiben.
Wer mit Hilfe einer voll argen Kunstaktion ein politisches Statement abgeben und die Gesellschaft wachrütteln will, lebt leider im falschen Jahrzehnt und im falschen Jahrhundert. Das funktionierte in den 60er Jahren, wo man aufs Titelblatt der Krone kam, wenn man auf einen Tisch im Audimax geschissen hat. Heute muss man froh sein, wenn jemand überhaupt ein Foto davon auf Flickr stellt und es mehr als 7 Views bekommt.
Preaching to the converted
Die gesellschaftlichen Regeln und Grenzen sind verschoben. Diejenigen, die von "Kunst" heute noch empört sind/würden/sein könnten, wissen das, und schauen einfach nicht mehr hin.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der jedes Denkmodell sein eigenes Medium bedient und vom Medium seiner Wahl bedient wird. Jedes Denkmodell weiß vom anderen Denkmodell bescheid, und lässt es einfach zu. Sollen die machen was sie wollen, ich tu es auch. Ich Standard, du Krone; ich TechCrunch, du Heise; ich Bill O'Reilly, du Jon Stewart. It's OK!
Die Kunst wird heute von willigen Opfern (das meine ich nicht negativ) konsumiert, die wissen, worauf sie sich einlassen. Die wissen, dass sie provoziert werden könnten. So wie FM4-HörerInnen wissen, dass sie Arcade Fire hören könnten, wenn sie FM4 aufdrehen. Die eigentliche Kunst besteht doch darin, eine Überraschung und einen Denkanstoß an einem Ort zu bringen, wo man nicht damit rechnet, gedanklich anders angeregt zu werden. Und das ist heutzutage recht schwer. Die Frage bleibt nach wie vor: Wer will schon provozieren und warum überhaupt?
Das letzte Mal, als ein schockierendes Ereignis mit einem Kunstwerk in einen Zusammengang gebracht wurde, und eine Aussage mit diesem Vergleich wirkliches Aufsehen erregte, war Karl-Heinz Stockhausens Anmerkung, ein Flugzeug ins World-Trade-Center zu fliegen sei das größte Kunstwerk der Geschichte. Ob richtig oder falsch ist nebensächlich, eine hitzige Aussage fünf Tage nach dem 11. September 2001 im Rahmen einer Diskussion, ja, aber Stockhausen wollte nicht provozieren. Aufsehen erregt hat er aber.
Kicking the converted
Wer denkt, dass mit einer Kunstaktion wie "nur drüber nachdenken, Kohle in Afrika zu verprassen", noch etwas ausgelöst werden kann, beleidigt die Intelligenz des Publikums. Das ist so, als würde der Künstler dem Publikum mutwillig den Milchmädchentaschenrechner in die Gesichter schleudern, und sich freuen, dass jemand blutet.
Ist halt nicht so. Es blutet niemand. Es gibt kein Medienecho, niemand ist empört. Das liegt daran, dass man mit fiktiven Plakaten und fiktiven Gegenständen nichts auslösen kann, aber rein gar nichts. Nicht einmal Provokation. Nicht einmal einen Artikel, in dem der Name der Künstlergruppe genannt wird. Peinlich, nicht?