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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

17. 2. 2011 - 19:22

Journal 2011. Eintrag 37.

Wo bleibt der Bradley Manning des Skisports?

2011 ist Journal-Jahr wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Wenn man das Fußball-Journal '11 dazurechnet: bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inklusive.

Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Blick auf ein rigides geschlossenes System, auf den den österreichischen Anteil am alpinen Skisport, und wie er mit einer Technologie-Krise umgeht. Und was das mit Bradley Manning und Norman Bates zu tun hat.

Der Schriftsteller Michael Köhlmeier hat im gestrigen Club 2 ein Bild gebraucht, das zu schön ist, um es nicht als Eingangsstatement zu zitieren. In der Schlussszene von "Psycho" befindet sich Norman Bates, bereits völlig von seinem Mother-Ich überflutet, in seiner Zelle, als sich eine Fliege auf seine Hand setzt. Wir hören dann seinen inneren Monolog, seinen Beschluss, das Insekt nicht zu vertreiben, damit die Polizisten, die ihn beobachten, sehen, welch anständiger Sohn er sei, einer, der eben keiner Fliege was zuleide tun kann.

Dieses Bild gebrauchte Köhlmeier für das Nachkriegs-Österreich und vor allem seine an Blödheit nicht zu überbietenden Filme (Ausgangspunkt war, erraten, Peter Alexander). Mit diesen Filmchen und den anderen bizarren harmlosschlagertrunkenen Kulturäußerungen der späten 40er und 50er-Jahre wollte man der Nachkriegswelt anschaulich machen, dass dieser rührende Menschenschlag niemals fähig gewesen wäre zu den Nazi-Bestien zu gehören - das wären alles die Deutschen gewesen.

Der Trick ging bis zu einem gewissen Grad auf - die Aliierten ließen sich allzugern vom noch dazu lokal diversifizierten Austro-Schmäh einlullen und trugen so auch Mitschuld am Mythos des "ersten Opfers" der Nazis, mit dem die Mit-Täter jede Chance auf eine seriöse Heilung vom heimlichen Faible für den Nazi-Terror verhinderten; ein Fanal, an dem Österreich heute noch kiefelt.

Der Trick mit der Norman-Bates-Fliege

In gewisser Hinsicht ist der ÖSV, vor allem sein Präsident Peter Schröcksnadel, der aktuelle Fackelträger dieser Norman Bates-Geste des Peter Alexander-Nachkriegs-Österreichs. Sein berühmter Turiner Satz dass "Austria a too small country" wäre "to make good doping" weist ihn zumindest als treuen Gefolgsmanns des angesprochenen Musters aus: in Anbetracht der Gefahr aufzufliegen Harmlosigkeit vorschützen.

Der Skisport ist nun eines der wenigen Identifikations-Themen, das die Nation zusammenhält - weshalb sich dann auch anhand eigentlich eindeutiger Sachverhalte plötzlich die vertrotteltsten Diskurse entwickeln. So wie im bereits angesprochenen Club 2, als ein paar Nachdenker, die Denk-Modelle über die österreichische Seele entwickelten, von ein paar Reflexhaften, die meinten eine Einzelperson verteidigen zu müssen, attackiert wurden. Nestbeschmutzung und das alles. So ähnlich ist es der Wiener Gruppe oder den Aktionisten in den 50ern gegangen, als sie aufgestanden waren und der eingangs angesprochenen Fliegen-These widersprachen.

Die Muster gleichen einander also; und der Skisport ist einer der letzten Kulminationspunkte.

Auch seine aktuelle Krise hat damit zu tun.
Wobei - es ist ja eigentlich nur eine österreichische Krise, vielleicht noch eine kanadische; das reicht aber für die hiesige Sicht selbstverständlich schon aus. Und diesmal wahrscheinlich zurecht.

Die Rolle des ÖSV als Fackelträger

Denn die Verletzungs-Misere, die nach Grugger, Scheiber, Streitberger und Hirscher nun auch Raich und Reichelt und sich im kanadischen Team durchaus spiegelt hat natürlich mit überlegener Technik zu tun. Und Austria ist, im Skisport, eben nicht a too small country to make good scientific research, im Gegenteil.

Man ist beim ÖSV vorneweg, was technische und wissenschaftliche Forschung betrifft, gemeinsam mit ein paar Mitbewerbern aus alpinen und nordischen Skiländern. Und, ebenso wie in der Formel I, überholt die radikale innovative und riskante Technik den drinsitzenden Menschen auf das Deutlichste. Der Entwicklungs-Fähigkeit des Athleten sind, auch durch die viel genauere mediale Beobachtung, deutlich engere Grenzen gesetzt.

Also wird der Sportler zunehmend zum Spielball des Materials; und da er sich nicht in derselben Geschwindigkeit strecken und dehnen lässt wie Materialen, Regulative oder Ideen, werden die Körper anfällig und brüchig.

Wie der ÖSV, wie immer an vorderster Front sein Präsident, der ewige Chefstratege, mit dieser Krise umgeht? Erwartbar. Schuld sind (schließlich muss man sich 70 Jahre danach nicht mehr ducken, sondern kann aus der sicheren Alpenfestung gut feuern) die anderen, konkret die FIS, der Dachverband. Da gerät Schröcksnadel wieder einmal in Rage.

Die bewusst betreibene Unmündigkeit der Sportler

Nun ist die FIS aber letztlich eh er selber und seine Mit-Lobbyisten der anderen großen Verbände und der mit allen gleichermaßen verbandelten Ski- und Sport-Industrie. Gegen die FIS zu greinen ist in etwa so platt wie das Anti-EU-Geheule derer, die das österreichischer Misstrauen in alles nicht am Wirtshaus-Stammtisch persönlich mit dem Bürgermeister Ausgemachte, instrumentalisieren. Und es in Wahrheit besser wissen und eh selber in der Hand hätten.

Ein Wink des ÖSV vor Saisonbeginn hätte genügt, um all die Reformen (vor allem: wieder längere und breitere Ski als die MickyMaus-Staberln, auf denen aktuell gerutscht wird) zu veranlassen - aber da war der mögliche Material-Vorteil, den man angesichts der besseren Ausrüstung hatte, noch ein Stück wichtiger als die Sicherheit der Athleten. Schließlich geht es um Erfolgs-Marktanteile, die dann direkt in Tourismus-Quoten und Skiausrüstungs-Verkäufe münden; und um einen kollektiven Götzen, den man gefahrlos anbeten darf - eben die berühmten 6 Österreicher unter den ersten 5.

All diesem dient der straff organisierte ÖSV, nicht so sehr die Mentalisten und Philosophen bei den Skispringern, auch nicht die Bio-Gurus bei dem Kombinierern, aber vor allem die am straffsten organisierte Abteilung, die der Alpinskifahrer.

Die vergebliche Suche nach Bradley Manning

Interessanterweise werden Ex-Läufer nach der Karriere dort kaum mit Trainerposten versorgt, wie das in anderen Profi-Sportarten Usus ist - allein das (denn Mathias Berthold, das ist die berühmte Ausnahme) weist deutlich darauf hin, wie sehr Läuferkönnen und Coachingwissen hier bereits auseinanderdriften. Die Sportler werden anschließend in die regionalen Tourismus-Verbände integriert, TV-Co-Kommentatoren, Südpolarforscher, Skischulgründer oder Testimonials für sonstwas. Das Trainer-Wissen bleibt aber immer in den Werkstätten der Ski-Firmen und den Labors der Verbände.

Das ist, wenn man sich die völlig gegenläufige Tendenz der Weitergabe von Nichtwissen und Durchmogelei im nepotistisch organisierten Fußball-Bereich ansieht, per se schon stimmig. Solange die Athleten dabei nicht als purer Brennstoff verheizt werden. Genau das passiert aber, zunehmend und, vorsichtig gesagt, unter bewusster Inkaufnahme gewisser steigender Risken.

So ergibt sich der eigenartige Zustand, dass just die ausgeprägtesten und meistangesehensten Individual-Sportler des Landes am allerwenigsten in den Kreislauf ihres Fachgebiets eingebunden sind. Sie geraten dabei allerdings in eine Position, die mich an die Stachanows oder die von Boxer erinnert.

Die ausgestellte Harmlosigkeit

Die Hoffnung aber, dass einer der Publikums-Lieblinge aus seiner Rolle fällt und öffentlich macht, wie es wirklich aussieht, ist gering. Zumal ein rigides System hier ordentlichen Druck macht und dabei inoffizielle Rückendeckung auch der staatlichen Mächte bekommt.

Dann fällt mir aber wieder Bradley Manning ein, der Soldat, der den USA ihr Cablegate besorgte: ein Einzelner, der an einer Offenlegung von Dingen, die schieflaufen, interessiert war. Die Bradley Mannings dieser Welt sind es, die für Aufklärung sorgen, Informationen bereitstellen, die dann in weiterer Konsequenz dazu führen können, dass korrupte Regimes stürzen - um da an arabische Beispiele anzuknüpfen.

Komisch, im globalen Stil, wenn es um wirklich wichtiges und wirklich unerhörtes geht, wenn wirkliches Risiko im Spiel ist, klappt es. Im Kleinen jedoch, wenn es sich um eine Zielgruppe handelt, die gern betrogen werden will, nicht. Auch wenn die Knochen bersten. Und auch weil die Zugpferde im Boxer-Stil mitmachen.

Und auch deshalb, weil sie es von Kindesbeinen an mit auf den Weg bekommen haben - die Sache mit der Norman Bates-Fliege, die ausgestellte Harmlosigkeit, die Unschuldsgeste des Opfers. Und so kiefelt Österreich auch in dieser, im weltweiten Kontext banal aussehenden, fürs Innenklima aber absurd wichtigen Sache, an seinem alten Fanal.