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Johanna Jaufer

Revival of the fittest... aber das war noch nicht alles.

17. 2. 2011 - 13:47

"Sie sind mitverantwortlich"

Menschenrechtsexpertin Simone Troller erklärt, wie die EU-Grenzschützer Frontex vorgehen.

simone troller

simone troller

Anfang der Woche hat die EU entschieden, ihre Grenzschutzagentur "Frontex" nach Italien zu schicken, um tunesische Flüchtlinge von der italienischen Küste fernzuhalten. Wie funktioniert Frontex - wer bezahlt solche Einsätze, und welche Rolle spielen dabei Menschenrechte? Wie sieht die Situation vor Ort aus? Ein Interview mit Menschenrechtsexpertin Simone Troller.

Wem gehört Frontex und was ist der Auftrag dieser Organisation?

Frontex ist eine EU-Agentur, eine EU-Institution. Das Ziel von Frontex ist, den Grenzschutz, besonders an EU-Außengrenzen, zu verstärken. Sie operieren mit einem Budget von ca. 90 Millionen Euro pro Jahr...

... das aus EU-Mitteln bezahlt wird!?

Das wird zum Teil durch die EU finanziert. Für spezielle Einsätze wie zum Beispiel jenen in Nordgriechenland, der gerade stattfindet, zahlen EU-Mitgliedsstaaten einzeln mit. Das war das erste Mal, dass Schnelleinsatzteams zum Einsatz gekommen sind, und zwar aufgrund einer Anfrage von Griechenland: Griechenland sah sich überfordert mit der Ankunft von Flüchtlingen und Migranten im Norden des Landes, und hat die EU-Agentur um Verstärkung für den Grenzschutz angerufen. Die EU-Agentur hat dann die Mitgliedsstaaten aufgefordert, zu diesen Verstärkungen beizutragen. Die anderen Operationen, vor Afrika und auf der Seeenge zwischen der Türkei und Griechenland, sind feste Einsätze, die jedes Jahr geplant werden.

Was tun die EU-Grenzschützer dort?

Ich kann Ihnen Details aus dem Norden von Griechenland liefern, wo ich Anfang Dezember war. Es wäre vielleicht noch wichtig, festzustellen, dass die EU-Grenzschützer die nationalen Grenzschützer nicht ersetzen. Die nationalen Grenzschützer sind also weiterhin im Einsatz, aber Frontex verstärkt und koordiniert diese. Konkret heißt das: Im Norden von Griechenland gibt es griechische Grenzschützer, die mit Frontex-Beamten die Grenzen patroullieren. Prinzipiell heißt das: Die Frontex-Beamten dürfen die Personen, die nach Griechenland gekommen sind, nicht zurückschicken, also nicht sofort wieder abschieben...

... weil sie ja zumindest das Recht haben müssen, einen Asylantrag zu stellen!?

Genau. Griechenland steht seit Jahren unter heftiger Kritik von Organisationen wie unserer und anderen Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl Deutschland, weil Griechenland die Menschenrechte der Migranten, die an den Grenzen aufgegriffen werden, systematisch verletzt: Zur Zeit werden diese Personen in absolut überfüllten Auffanglagern festgehalten, wo die Zustände unmenschlich und inaktzeptabel sind. Das Problem hier: Frontex hat kein Mandat, diese Personen zu inhaftieren – das geschieht unter griechischer Verantwortung. Frontex nimmt allerdings Personen fest und überstellt diese an griechische Behörden, die sie unter unmenschlichen Bedingungen festhalten. Wir sagen: Hier ist Frontex mitverantwortlich. Man kann nicht mehr glaubwürdig behaupten, man wüßte nicht davon. Außerdem gibt es diesen Gerichtsentscheid vom europäischen Menschenrechtsgerichtshof, der besagt, wie katastrophal die Zustände in den Auffanglagern sind, und wie schlecht das Asylsystem funktioniert. Frontex operiert in diesem Kontext – sie möchten sich im Prinzip raushalten, sagen, „wir sind nur da, um zu koordinieren“, aber in der Praxis sieht das eben anders aus. In der Praxis sind sie mitverantwortlich für diese Menschenrechtsverletzungen – sie sind ein Teil des Systems geworden.

Wenn wir uns der Lage vor Lampedusa in Italien widmen – sind es tatsächlich so viele Flüchtlinge, die jetzt dort aus Tunesien ankommen, oder ist das ein medial inszenierter Flüchtlingskollaps?

Wir können uns auch nur auf Presseberichte stützen, weil wir nicht vor Ort gewesen sind. Scheinbar sind es ungefähr 5000 Personen - das ist ungefähr die Anzahl der Einwohner auf der Insel. Natürlich hat die Insel nicht die Infrastruktur, um diese Leute erst mal zu beherbergen. Deshalb wäre es wichtig, dass Italien diese Leute aufs Festland transferiert, wo die Infrastruktur vorhanden ist. Das ist absolut machbar.

Flüchtlinge auf Lampedusa

EPA/Ciro Fusco

Vor ein paar Tagen hat Frontex-Direktor Ilkka Laitinen angekündigt, dass es in Kürze einen Einsatz vor Italien geben wird, um die italienischen Behörden bei der Flüchtlingsabwehr zu unterstützen. Man liest immer wieder von Booten, die zur Umkehr gezwungen werden und Menschen, die im Mittelmeer ertrinken. Wenn man das Seerecht, die Menschenrechtskonvention, die Flüchtlingskonvention, die Völkerrechte bedenkt: Darf Frontex Boote zum Umkehren zwingen? Und - geschieht das?

Es ist schwierig zu sagen, was es tut. Es gibt sehr wenige unabhängige Beobachter in diesen Momenten. Natürlich sind wir auch hier besorgt, dass gewisse Dinge geschehen, von denen wir nicht erfahren. In der Vergangenheit haben wir dokumentiert, dass Frontex an einem Einsatz beteiligt war, im Zuge dessen ein Boot vor Malta zur Umkehr gezwungen wurde und gekentert ist, was rechtlich nicht vertretbar ist. Frontex hat den Fall abgestritten; die maltesischen Behörden haben gesagt, dass Frontex beteiligt war.

Frontex darf eine abschreckende Wirkung zeigen. Frontex hat auch eine Verpflichtung: die Leute, die in Seenot sind, zu retten, kann also die Augen nicht verschließen. Die Frage, ob und wo Personen Zugang zu Asyl erhalten, kann nicht auf offener See entschieden werden – Boote, die abgefangen werden, dürften also eigentlich nicht zur Umkehr gezwungen werden.

Kann eine Verschärfung von Grenzpolitik, egal ob Frontex-Einsätze geplant oder Zäunge gebaut werden, überhaupt verhindern, dass Flüchtlinge nach Europa kommen?

Das ist eine gute Frage. Laut Frontex ja – verständlicherweise, das ganze kostet einen Haufen Geld, sie müssen sich ja ihre Effizienz bestätigen. Ich bin ein bisschen skeptischer. Ein Beispiel: In Nordgriechenland, wo diese Schnelleinsatzteams seit Anfang November im Einsatz sind, hat Frontex gesagt, dass die Flüchtlingsströme in der obersten Zone dieser gemeinsamen Landgrenze mit der Türkei gesunken sind – seit ihrem Einsatz um 44 Prozent. Ich habe auch mit Polizeidirektoren, die etwas weiter südlich stationiert sind, gesprochen – die fanden keinen Unterschied. Frontex hat natürlich ein Interesse daran, zu sagen, dass sie effizient sind, ich denke, was am ehesten geschieht, ist eine Verlagerung der Flüchtlingsströme.

Ich denke, Frontex hat bis zu einem gewissen Grad eine abschreckende Wirkung – aber nicht auf Personen, die keine Wahl mehr haben, die in ihren Heimatländern Verfolgung ausgesetzt sind, Personen, die Krieg und Gewalt fliehen - die werden sich nicht abschrecken lassen und einen neuen Weg finden.