Erstellt am: 16. 2. 2011 - 19:00 Uhr
Journal 2011. Eintrag 36.
2011 ist Journal-Jahr wie schon 2003, 2005, 2007 und zuletzt 2009. Wenn man das Fußball-Journal '11 dazurechnet: bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inklusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Exkurs in die eigene Geschichte, mit einem Begräbnis-Anlass und einer Weiterführung in vielleicht zu sorglos verwendete Zitate über die existenziellen Dinge. Tag also under: Johnny Cash.
Heute mittag ist mein Patenonkel begraben worden.
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Die Geschichte von ihm und seiner schon viel früher verstorbenen Frau, der besten Freundin meiner Mutter, der Patentante meiner Schwester, ist eine Geschichte der späten 50er und frühen 60er, des scharf geschnittenen "Rat Pack"-Stils, aber auch einen Geschichte über das, was Österreich mit Russland verbindet, ganz ohne dazu russisch können zu müssen und auch eine Familien-Geschichte und natürlich eine Geschichte über klassische Wiener Orte und ihre Wirkung - und ich werde sie vielleicht einmal andernorts erzählen, all diese Geschichten.
Heute soll es aber um ein Detail gehen.
Die U-Bahn hatte mich direkt nach dem Friedhof-Besuch direkt in díe große Filiale der großen Buchhandelskette hineingespuckt und ich habe dort gemacht, was ich dort immer mache: den Tisch mit den österreichischen Literatur-Neuerscheinungen besuchen, die Klappentexte scannen und etwas mitnehmen.
2
Mir geht es mit österreichischen Romanen wie mit österreichischer Musik: selbst wenn sie nicht Weltspitze sein sollte - sie erzählt mir mehr über mich, uns und unsere Umgehungsräume als der allerbeste David Foster Wallace oder der allerlustigste Rocko Strunk. Weil das Bezugsystem eines ist, das ich von Geburt an kenne und mir nicht erst erarbeiten musste, mit allen kleinen fatalen kulturellen Zuschreibungs-Irrtümern, die dem Zugereisten eben so passieren und die die Erforschung des Neuen, des Unbekannten und des Fremden so spannend machen. Und in diesen schönen Gegensatz zum Gewohnten, desser Erforschung viel weher tut, stellt. Nennt es nativistisch - der evidente Unterschied wird dadurch nicht weggehen.
Zuerst fällt mir da auf, dass die Familiengeschichte, die Aufarbeitung des eigenen Seins und der Herkunft immer noch die konstante Dominante ist. Jan Kossdorff erzählt von Brüdern, Linda Stift gar von Zwillingen, vormals siamesischen zumal.
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Und dann greife ich zu einem seltsam graphisch gestalteten Hardcover mit einem großen AUS vorne drauf. Der Klappentext geht so: Zwei Männer auf dem Heimweg von einem Begräbnis. Der eine, Zeitungsredakteur, hat sein Kind verloren, das nur wenige Tage gelebt hat, der andere, sein bester Freund, von Beruf Theaterdisponent, begleitet ihn. Beide in Gedanken. Ein stummes Zwiegespräch entwickelt sich, bei dem vor allem der Abwesenden gedacht wird: des einen Frau, einer Schauspielerin, die nach einem Unfall im Koma liegt und eines Dichters, der vor einem Jahr ums Leben gekommen ist.
"Aus" ist von Alfred Goubran - später erklärt mir die Expertin, dass ich den doch eh kenne, kennen sollte, gefälligst, hallo Erinnerungsleistung, und es fällt mir wieder ein, ja, Edition Selene, die frühen Sumpf-Bücher, stimmt, genau, der Goubran. In zum-Buch-greif-Momenten denke ich nicht an Realpersonen, mein Fehler.
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In jedem Fall stehe ich gerade auf dem Heimweg (eigentlich in-die-Arbeit-Weg, whatever) von einem Begräbnis mit einem zufällig ergriffenem Buch da, das von Menschen erzählt, die auf dem Heimweg von einem Begräbnis sind. So it goes, um da Kurt Vonnegut zu zitieren, aus seinem Schlachthof 5, der am Montag vor 66 Jahren niedergebombt wurde, zur Beendung eines viel zu lang andauernden Krieges.
So it goes.
Aber, ehrlich, dieser Zufall wäre mir keinen Eintrag wert gewesen - sowas passiert einem doch dauernd. Die verblüffende Koinzidenz, die ist in einem hochvernetzten Alltag aus kulturellem Dauer-Zitat-Feuer und gesellschaftlicher Überlappung ja schon Normalität.
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Mein Trigger war das dem Roman "Aus", von dem selber ich noch kein einziges Wort gelesen habe, vorangestellte Zitat.
Man kennt es gut.
Es stammt aus dem Folsom Prison Blues, dem wichtigen Johnny Cash-Stück, dieser nicht anbiedernden Sozialstudie des müde reflektierenden Gangsters: "I shot a man in Reno just to watch him die".
Im Text steht vor dieser Zeile ein "but" und danach folgt die Antithese - "now every time I hear that whistle I hang my head and cry". Die kennt aber seit jeher, und wie man merkt auch ganz aktuell, keinerlei Konjunktur.
Das Zitat, und zwar das ganze, inklusive dem warnenden vorhergehenden Zweizeiler (When I was just a baby my mama told me: son, always be a good boy, don't ever play with guns) habe ich erst gestern gelesen, in einem ganz anderen Zusammenhang.
6
Und zwar anläßlich des Todes von Peter Alexander.
In einem Standard-Gastkommentar greift sich der Multimediakünstler Klaus Karlbauer einen der vielen aktuell über Facebook und Co verströmten Youtube-Clips des vom kollektiven Nachkriegsschwiegersohn zum kollektiven fröhlichen Onkel mutierten Entertainers, nämlich eines der immer durchaus peinlichen, für seine Show in plumpes Playback gehüllten Duette mit internationalen Superstars.
Das mit Johnny Cash.
Warum in dieser an Alexander aufgehängten und Gottschalk streifenden Geschichte mit essayistischem Charakter genau dieses Cash-Zitat auftaucht - es hat sich mir nicht erschlossen.
Genauso wie ich die Voranstellung des Zitats vor einen Text, in dem es zwar um Tod und die Konfrontation damit, aber nicht um die Tötung geht verstehen mag.
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Die Reno-Zeile gehört zum Existenzialistischten, was der Mann in Schwarz je gemacht hat, und zwar in seiner Blütezeit, lang vor den von Düsterkeiten und Wahrheiten nur so strotzenden American Recordings. Und im Gegenteil zu den meisten dort vonnur Cash interpretierten Stücken gehört der Tote in Reno ihm ganz allein.
Die Zeile ist ein Symbol für das Schwärzeste und Dunkelste in uns, die eigene und tief drin innewohnende Widerwärtigkeit, der wir uns bewußt sind, und von der wir hoffen, dass wir sie nie ausleben; und für den Fall, dass das doch passiert, wird Buße getan; so wie es der Cash-Held im Folsom-Gefängnis dann letztlich auch tut, in einer Mischung aus Achselzucken, Bedauern, Schicksalshörigkeit, Resignation und Wut, leiser Wut.
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Mich berührt die Verwendung dieses schlimmstmöglichen Zitats meistens unangenehm.
Vor allem, wenn es aus der österreichischen Position, dieser allumfassenden Sicherheit heraus kommt. Die Handvoll Morde, die hierzulande jährlich so passiert - das sind (ich hab das einmal vor ein paar Jahren rausgesucht, die Statistik stimmt ungefähr) aus dem Ruder gelaufene Familien-Wickel, Streitereien unter Freunden, ein paar ganz wenige Auftrags-Gschichtln (auch da gern schiefgelaufene Einbrüche oder Räube). Maximal ein Fall pro Jahr hat keine solche Ursache und damit potentiell überhaupt die Chance so ein Johnny Cash-Reno-Ding sein zu können.
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Mit anderen Worten: diese Grenzsituation existiert in Österreich nicht. Damit zu spielen empfinde ich so wie den Einsatz von Wasserwerfern und Reizgas gegen Pensionisten.
Der Verwender hat sich damit in die Falle begeben, die ich oben, da noch zusammenhanglos, schon ausgehoben habe: wer glaubt sich in der anderen Kultur mit genau derselben Sicherheit bewegen zu können wie im von Geburt an bekannten Bezugssystem, der hat ein Wahrnehmungs-Problem und wird an seiner anmaßenden Vereinnahmung scheitern, wie jeder gewöhnliche Exotisierer.
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Der Chronist einer Nation, die einen Gutteil ihrer lebendigen Geschichte auf die Ambivalenz von Verdrängung und damit begründete Tötung stellt, kann auf andere Emotions-Reservoirs zurückgreifen als die lokalen Chronisten einer Gesellschaft, die ihrer tiefschwarzen Triebhaftigkeit nur in einem historisch einzigartigen, besonders fatalen Moment freien Lauf hat lassen können, sich sonst aber im Innersten eines überaus wattigen Sicherheits-Cocoons befindet.
Die letzten Österreicher, die dem Reno-Impuls ohne Bedenken gefolgt sind, das war die Generation Landa. Seitdem ist diese Bestialität wieder verschüttet, steckt wieder tief drin in den subkutanen Hallräumen menschlicher Fantasien.
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Und der Vergleich mit einer Kultur, die sich ein Ventil bewahrt hat, vielleicht um nicht alle paar Jahrzehnte wie ein aus außerirdischen Elementen bestehender Klumpen aus der Erde rausschießen zu müssen, einer Kultur, die sich mit Tod, dem Todes-Satz, dem Todes-Freistoß so intensiv auseinandersetzt, ist blanker Irrwitz. Und irgendwie auch ordentlich blöd.
Das sage ich jetzt nicht aus Betroffenheit über den toten Patenonkel - jeder, der das Ritual des Leichenschmauses kennt, weiß: danach ist sie für die meisten vorbei.
Das sage ich in vollem Bewußtsein der Tatsache, dass ich selber, vor allem bei der unvorsichtigen Verwendung von Dylan-Zitaten ähnliche Fehler begangen habe, wieder und wieder.
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Das sage ich, weil ich nicht will, dass die voreilige Verwendung der bestmöglichen Waffe die zu bebildernde Sache entwertet; oder besser - nachdem diese übertriebene Zitierung in an Harmlosigkeit schwer zu überbietenden Umfeldern ja kein Einzelfall, sondern mittlerweile zur Regel geworden ist, nicht nur bei den Boulevardisten-Schlagzeilern, sondern bei allen - dauerentwertet.
Wenn die Zeiten wüster werden und die Jahre dir Sand ins Gesicht werfen, werden wir die harten Formulierungen und die tiefestgehend-möglichen Vergleiche noch bitter brauchen.
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Das Johnny-Cash-Reno-Zitat für einen Nachruf auf Peter Alexander oder einen Text über von Schicksalsschlägen Getriebene zu verprassen - das ist Verschwendung.
Keine der neuen Todsünden, aber vermeidbar genug.