Erstellt am: 16. 2. 2011 - 18:13 Uhr
Eintragung Ins Nichts
Das Nicolas Jaar-Album zum Nachhören gibt es Sonntag Früh in der Wiederholung von Liquid Radio
Dass mittlerweile immer mehr Produzenten, die sich im Brotjob mit dem Erstellen von elektronischer Tanzmusik verdingen, dann, wenn es nach einigen 12"s an die Fertigung eines ganzen Albums geht, den Longplayer nicht bloß als eine Abfolge geiler Bomben für den Dancefloor verstehen wollen, sondern das "Album" als "Album" als Kunstform begreifen, als ineinanderverfugte Einheit mit Dramaturgie und Raum für Experiment, als offenen Abenteuerspielplatz und Versuchsballon, gehört zu den schöneren Entwicklungen der letzten Jahre. Ist in jüngerer Vergangenheit sehr gut beispielsweise auf den Alben von Efdemin oder John Roberts nachzuhören gewesen, den beiden Herren aus dem Hamburger DIAL-Camp, wo U und E in melancholischem Schwarz-Grau ineinander aufgehen. Als Moment der Erweckung und Anstoß zum Umdenken darf hier für nicht wenige Produzenten "Alcachofa", das Jahrhundert-Album von Ricardo Villalobos aus dem Jahr 2003, gelten.

Nicolas Jaar
Wie weit sich Nicolas Jaar aber mit seinem Debüt-Album nun endgültig vom Dance-Floor verabschiedet hat, kommt dann doch unerwartet - und, wie man so hört, für nicht wenige auch als kleine Enttäuschung. Der 21-jährige, in New York und Chile aufgewachsene Jaar, der neben diesem einen anderen englischen jungen, ebenso gerne als "Wunderknaben" apostrophierten Produzenten, von dem in den letzten Wochen immer soviel zu hören war, auf ähnliche Weise als eine Art Hoffungsträger der Elektronik und als junges Genie gehandelt worden ist und dessen Debüt-Album nicht weniger als absolute Meisterschaft und Welterschütterung blind versprechen musste, nimmt all den hochgesexten Erwartungshaltungen mit der beiläufigen Lässigkeit eines wohlerzogenen Schnösels den Wind aus den Mühlen.
Nicolas Jaar hat seinem Debüt-Album den aussagekräftigen Titel "Space Is Only Noise" gegeben, wenn er von seiner Musik spricht, tut er das mit einer großen Ernsthaftigkeit und Selbstsicherheit, "Honesty" ist ein Wort, das er gerne verwendet: Nein, bloß die Maschine des Hype zu füttern, das wäre seine Sache nicht.

Nicolas Jaar
Was nicht selten als leere Floskel der Selbstvergewisserung daherkommt, ist im Falle von "Space Is Only Noise" aber tatsächlich aufsehenerregend durchexerziert - mit grandioser Unaufgeregtheit. Nun waren die paar Tracks, die Nicolas Jaar für Brooklyns heißestes House-Label, Wolf + Lamb, und die Pariser Schabernack-Agentur Circus Company in den letzten zwei Jahren gebaut hat, mit all ihren Auslassungen, abrupten Wendungen und ihren mit zähflüssigem Genuss betriebenen Tempo-Verschiebungen für bloß auf den ewiggleichen Beat als Taktgeber einer stumpfen Nacht eingeschossene Rave People mit kurzer Aufmerksamkeitsspanne schon eine relative Geduldprobe.
Selbst wenn man aber alles zwischen HipHop, Industrial und Indie Rock, zwischen Techno und Soul noch als Pop verstehen will, steht "Space Is Only Noise" mit magischer Aura weit draußen. Tanzen findet nicht statt, da und dort ein bisschen Wippen und mit einer Hand Klatschen. Nicolas Jaar, der in Providence, Rhode Island, vergleichende Literturwissenschaft studiert, gibt zu Protokoll, er sähe das Musikmachen nach wie vor bloß als Hobby - ausschließlich in den Ferien wird die Welt umflogen und werden die Clubs zwischen Berlin, Tel Aviv und Tokio mit Konzerten zu sachtem Vibrieren gebracht - Plattenauflegen, das macht Nicolas Jaar nicht.
Glaubwürdiger Legende nach hat Nicolas Jaar seine Jugend mit experimentellem HipHop, Minimal Music, äthiopischem Jazz und konfuser Elektronik verbracht, mit 14 haben ihm die Eltern Villalobos unter den Weihnachtsbaum gelegt. Und so ist "Space Is Only Noise" ein narzistisch konstruiertes Wurzelwerk aus Codes, Styles und Bildung geworden, das sich sehr gut in seiner Andershaftigkeit gefällt. In Interviews bemüht Jaar gerne das etwas abgegriffene Gegensatzpaar American Way/European Way und sagt: Justin Bieber hier, da der traurige französische Klavier-Minimalist Erik Satie.

Nicolas Jaar
"Space Is Only Noise" ist ein weiter Raum, einmal Leerstelle, einmal Auslassung, einmal Stille, ab und zu passiert etwas. Verhuschte Sprachsamples, einsam tropfen einzelne Noten aus dem Piano, dann und wann taucht ein müder Beat auf, pocht leise und verhallt im Nichts. Gespenstisch flackernde Gesangs-Splitter, fallendes Wasser, spielende Kinder, Field Recordings. Die Stücke stützen sich auf Jazz, die allerletzten Reste eines französischen Chansons und eine verbogene Vorstellung von Soul. Was hier programmiert ist und was mit echt anfassbaren Instrumenten eingespielt, bleibt im Vagen, die Platte ist ein Schleier, in dem die Stücke ineinander verschwinden und man ständig Angst haben muss, das ganze filigran zusammengedrechselte Kunsthandwerk könnte gleich in sich zusammenbrechen. Eine "schönere" Platte wird man dieses Jahr möglicherweise nicht mehr zu hören bekommen.
Ein New Yorker Literaturstudent, der Teile seiner Jugend in Chile verbracht hat, mit Künstler-Eltern, vertont eine romantisch-verklärte Vorstellung von Europa, so darf man sich dieses wunderbare Design-Produkt vorstellen, das seinen Tiefgang schon auch nur ein bisschen vorgaukelt. Der Film kommt von Godard und Jarmusch. Oh, Geschmack.