Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ein Bulgare in Rumänien"

Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

16. 2. 2011 - 11:51

Ein Bulgare in Rumänien

Ich kenne keinen anderen Bulgaren, der jemals freiwillig Rumänien besucht hat. Für die meisten Leute im Westen iat Bulgarien und Rumänien der gleiche Ort. Der Ort, wo die Verbrecher herkommen.

Mein Opa Dimiter erzählte immer liebevoll von seinem Geburtsdorf in der Nähe von Tulcea in Rumänien. Als kleines Kind ist er ins bulgarische Varna ausgewandert. Oft fuhr er nach Hause und kam immer mit einem Koffer voll mit chinesischem Spielzeug zurück. Damals erschien mir dieses wundervolle Land wie das Paradies auf Erden. Ich hatte es bis letztes Jahr nicht besucht. Ich kenne auch keinen anderen Bulgaren, der jemals dort gewesen ist. Für die meisten Leute im Westen ist Bulgarien und Rumänien der gleiche Ort. Der Ort, wo die Verbrecher herkommen.

Erst dank einer Forschungsreise im Rahmen eines Seminars der Uni Wien kam ich nach Rumänien. Sie begann im Foyer eines 4-Sterne Hotels in Bukarest, wo ich bereits an meinem vierten „Ursus“-Bier nippte. Zwei stark geschminkte Frauen in kurzen Röcken betraten die Lobby durch automatische Glastüren. Sie sagten etwas an der Rezeption und huschten in den Aufzug. Irgendwie müssen ja die ausländischen Geschäftsleute, die ihr Geld in die rumänische Wirtschaft pumpen, unterhalten werden.

Unsere Rumänienführerin ist meine Kollegin Clara. Sie hat in Bukarest ein „freiwilliges soziales Jahr“ gemacht und hat einen Rumänien-Knall. Während der Zugfahrt nach Bukarest bewundert Clara die rumänische Landschaft. „Oh, ein rumänischer Baum!“, schreit sie voller Begeisterung. Wir fahren durch eine Stadt. Clara schüttet Glückshormone aus. „Oh, ein rumänischer Briefkasten!“ In Bukarest verhandelt Clara mit jedem Taxifahrer. Sie zahlt immer das Doppelte.

Wir besuchen ein von Österreich gefördertes Heim für rumänische Straßenkinder. Sie könnten hier schlafen und essen, solange sie sich benehmen, wird uns erklärt. Im Heim gibt es kein einziges Kind. Der jüngste Bewohner ist 17 und der älteste 32. Die „Kinder“ umarmen und küssen meine österreichischen Uni-Kollegen. Zuneigung, wird uns erklärt, sei das Wichtigste für diese Menschen. Darüber hinaus wird ihnen aber ohnehin nicht viel geboten. Zur Ausbildung können sie nicht gezwungen werden. Werden sie zum Arbeiten aufgefordert, fliehen sie. Viktoria, eine hochschwangere Heimbewohnerin, die wie Mitte Dreißig ausschaut, aber erst 19 ist, fragt mich, ob ich sie heiraten will. Mir bleibt keine Zeit zum Überlegen, ob ich ein guter Ehemann für sie wäre, denn wir müssen zum nächsten Wirtschaftstreffen.

Ich treffe in den zehn Tagen so viele wichtige Personen, wie noch nie in meinem Leben. Rumänische Bürgermeister, Bischöfe und Universitätsprofessoren sprechen alle von der historischen Vernetzung mit Österreich. Banken-Direktoren loben, wie gut diese historische Vernetzung in die wirtschaftliche übergegangen ist. Profit – das ist das Wort,das ich ständig und überall höre.

Im Nobelrestaurant, wo sich die „Crème de la Crème“ des Bukarester Business trifft wird keine Kuttelflecksuppe serviert. Dafür geht ein etwa fünfjähriges Roma-Mädchen mit einer Klebstoffplastiktüte in der Hand und einer Zigarette im Mund am Lokal vorbei.

Ich habe rumänische Wurzeln, wusste aber nichts über Rumänien. Ich fuhr hin um zu erfahren, wie wir uns voneinander unterscheiden – was ja auch die Rumänen behaupten. Einen großen Unterschied habe ich aber nicht bemerkt. Sowohl die Bulgaren als auch die Rumänen erwarten, dass sie von der EU aus dem Matsch gezogen werden. Ich dachte, ich sei ins Ausland verreist, kam aber irgendwie zuhause an...