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Robert Zikmund

Wirtschaft und Politik

15. 2. 2011 - 10:49

The People's Key

Eine schwere Platte, verpackt in scheinbare Leichtigkeit. Bright Eyes liefern das FM4 Album der Woche.

Ich könnte an dieser Stelle einen durchdachten und analytischen Diskurs über die Relevanz von Conor Obersts Texten und der ihm zugedachten Nachfolge von Herrn Zimmermann schreiben, ich könnte auch über die Marleyeske Selbstlosigkeit referieren, mit der er seit frühesten Teenager-Jahren seine Berühmtheit und seinen finanziellen Erfolg einsetzt um auch anderen, die nicht so viel Glück haben, einen Platz und eine Platte auf seinem Label Saddle Creek zu geben. Ich könnte mich auch den Mutmaßungen der Fan-Schar anschließen, wann Oberst welche Drogen genommen oder nicht genommen hat, warum er jetzt in eine vermeintlich religiöse Phase eintritt und warum er nicht lieber wieder Rotwein mit selektiven Serotonin Wiederaufnahme-Blockern mixt.

Könnte ich.
Will ich aber nicht.

Ich will und ich muss an dieser Stelle die Geschichte und Würdigung jenes Künstlers schreiben der es als letzter, nach The Cure, Nirvana und Element Of Crime geschafft hat, mein Leben zu verändern. Mit seiner Musik.

Es war 2005 und mein Leben war grade mit überhöhter Geschwindigkeit an die Wand geraten, das schrecklichste Jahr meines Lebens, gleichzeitig aber auch eines der intensivsten. Als spätberufener Nachzügler habe ich damals in einem Alter in dem Andere familientaugliche Ein-Familien-Häuser und Swimmingpools mit Gegenstromanlage bauen, begonnen, die musikalische Medizin der Bright Eyes zu entdecken. Auf viel zu langen Nachhausewegen in einem viel zu verdreckten Zweier Golf, unterwegs "to that coffin you call your apartement" spendete Conor Oberst Mantras und Melodien, die das Tankstellen Tramezzini und den ekelhaften Spritzwein in Vergessenheit senkten. Vor allem die drei epischen Alben "I´m wide awake it´s morning", "Lifted" und "Fevers and Mirrors" begleiteten mich durch einen Sommer ohne Kraft und ohne Hoffnung.

Bright Eyes

Universal

In solchen Phasen will man nichts hören von "Die Zeit heilt alle Wunden" oder "Reiß dich zusammen, mach ma wieder mal Party!", man will Geschichten, die sich mit dem eigenen Selbstmitleid solidarisieren, um die Wette mit dem der da im Autoradio singt und schreit Gänsehäute wachsen lassen. Denn der, der da singt, ist natürlich unendlich jünger, schöner aber auch gewaltiger in seinem Elend. Es ist klar, dass dieser Mensch nie auf Promi-Parties geht, ebenfalls weder Spaß noch Freunde hat und von der Liebe verstoßen wurde. Würde er denn sonst "Now and then it seems worse than it is, but mostly the view it is accurate" singen?

Eben.

Tipp:

  • Bright Eyes im Interview am 16.2. in der FM4 Homebase (19-22)

Conor Oberst litt für uns, nicht wie Jesus am Kreuz, aber zumindest wie der gepeinigte Künstler der dich tröstet und dich vor jedem Dreck verschont, der meint, dass das Leben irgendeinen Sinn ergibt. Noch nie hat jemand das Konzept dessen, was Buddhisten gemeinhin mit "Dhukkha" bezeichnen, besser in vertonte Geschichten gegossen, mit der ganzen egoistischen Pose und Überhöhung des vermeintlichen Selbstmitleids, das in seiner Substanzlosigkeit selbst wieder die Quelle für Leiden ist. Aber dann hat man es wenigstens selbst gemacht, der kalte Schauer ergibt mehr Distinktion wenn man zu seiner selbstgewählten Pose wenigstens laut mitsingen kann.

I´m a waste.
Of breath.
Of space.
Of time.

Bright Eyes

Bright Eyes

Knappe sechs Jahre später ist mein Leben nicht wieder zu erkennen, und als einer mit Job, Frau und Dach über dem Kopf verbiete ich mir das Selbstmitleid des satten weißen Mannes, der nicht erkennt, dass sein Jammer nur ein Zeichen seiner Verblendung und seiner unerfüllbaren Träume ist. Dennoch kann man, wie wenn man im Fotoalbum blättert, die alten Gefühle noch spüren, identifizieren und nachahmen.
Doch das Leben geht weiter, auch für Conor Oberst, das hat er sowohl mit "Cassadaga" als auch mit den beiden Soloplatten bewiesen, auf denen er wie eine lustige Honigbiene durch Mexiko summt und so tut, als könnte man das Leben wirklich genießen. Für ein paar Tage in einer Hängematte am Strand nehme ich ihm das mittlerweile sogar ab.

Und nun also diese neue Platte, vor der ich plötzlich keine Angst mehr habe, Conor Oberst ist erwachsen, ich bin erwachsen, und zusammen machen wir halt so Erwachsenen-Sachen. Bei Menschen mit erhöhtem Leidensdruck, ob künstlich inszeniert oder nicht, gibt es da immer auch diese kurze Phase wo eben die Religion dazu kommt. Ob Conor da jetzt wirklich voll drinnen steckt kann ich aus der Ferne schwer diagnostizieren, fest steht jedenfalls, dass er Spaß dran mit der Schwere religiöser Semiotik zu hantieren.

Denn "The People's Key" ist eine schwere Platte, verpackt in scheinbare musikalische Leichtigkeit bei der man sich manchmal fragt, ob die Scheibe nicht auch ganz gut im Prater Autodrome kommen würde, haut er mit dem poetischen Holzhammer spirituelle Fassaden um, und erklärt so nebenbei, warum Jesus und Buddha sicher gute Spezis gewesen wären, hätten sie zur selben Zeit im selben Land gewohnt.

Warum auch nicht.

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Auf einer anderen Stelle, just auf der Single die wir schon seit ein paar Wochen spielen, erschlägt er die Horden des "dhukkha" wieder mit Faustwatschen an Liebe, und auch das kommt gut. Und die Nummer, die das Gefühl der einzige Mensch auf der Welt der nicht funktioniert zu sein am besten vermittelt, ist das großartige "Ladder Song", auf Anhieb. Für Menschen, die sich am liebsten bis zur WM im mittleren Osten weiter Versionen von "Fevers and mirrors" wünschen, dürfte die Platte wohl eine Enttäuschung sein, aber solche Menschen sind ja ohnehin vom gleichen Schlag wie jene, die etwa am Burgtheater "nicht so viele moderne" Sachen sehen wollen, als Korrektiv also schwer zu gebrauchen, und in ihrer Ignoranz auch ein Ärgernis für jeden innovativen Künstler.
Diese Platte kann man erschließen, muss man aber nicht, deswegen ist es ja Popmusik.

Zu entdecken gibt es jedenfalls genug, auch wenn ich nicht immer sicher bin wie es gemeint ist, aber erstens möchte ich hier keine Spoiler-Maschine für die wirklich Interessierten sein und zweitens ist der Konstruktivismus ja ohnehin die Antwort auf unsere Zeit.

Erwischt hat mich "The People's Key" jedenfalls schon jetzt, auch wenn ich das mit dem Tankstellen Futter und Wein-Stifterln diesmal wohl auslassen muss – schließlich bin ich jetzt erwachsen und möchte, dass mein neues Auto schön sauber bleibt.

TIPP: Am 5. Juli spielen die Bright Eyes in der Wiener Sommerarena, bis dann!