Erstellt am: 11. 5. 2011 - 19:02 Uhr
Austra: "Feel it Break"
Bestimmten Menschen scheint der berufliche Werdegang in die Wiege gelegt worden zu sein und so mancher weiß schon als Fünfjähriger, dass er später einmal Obsthändler, Doktor oder Superstar wird. Und neidvoll blickt man auf die, deren Träume tatsächlich in Erfüllung gehen. So wie bei Katie Stelmanis.
Schon als kleines Mädchen beherrscht sie die Kunst des Piano- und der Violine-Spielens. Und während andere Teenager nach der Schule irgendeiner pickelverseuchten Popgroup in irgendeinem Kaufhaus bei der Autogrammstunde auflauern, brütet Katie Stelmanis über den Notenblättern von Mozart, Bach und Pucchini. Mit nicht einmal zehn Lenzen zählt sie zum Ensamble des Kanadischen Opern-Kinderchors.
Die weitere Karriere an den Opernhäusern dieser Welt scheint besiegelt. Die Zusage für einen Studienplatz an der renommierten McGill Universität in Montréal - "Canada's Harvard" - ist die logische Konsequenz eines über die Jahre täglich vollzogenen Ausdauerprogramms in Stimmtechnik und Instrumentenkunde.
Doch anstatt an der Karriere weiter zu feilen, entscheidet sich Katie Stelmanis dafür, an der Weggabelung des Lebens in eine ganz andere Richtung abzubiegen: Sie bleibt in Toronto, sucht sich einen x-beliebigen Studentenjob, beginnt eigene Lieder zu schreiben und heuert in unbekannten Indiebands als Sängerin an. Nein, die Klassik kann noch nicht alles gewesen sein, wenn da draußen so tolle Musikerinnen wie Björk und PJ Harvey unterwegs sind. Mit diesen Vorbildern im Kopf, macht sich Katie Stelmanis auf ihren ganz eigenen musikalischen Weg.
Hässliches Entlein...
kate young
Doch Katie Stelmanis ist eine von diesen typischen, hochtalentieren Künstlerseelen, die immer ein bischen zu schlau für den Mainstreampop sind. Durchaus interessant, aber leider auch ein bisschen zu unscheinbar, eigenwillig und nicht unbedingt mit den gängigen, vermarktbaren Popattributen gesegnet: Sie ist leicht pummelig, hat einen raspelkurzen, dunklen Haarschnitt am Kopf sitzen und ist am liebsten in Jeans und Labbershirts unterwegs.
Doch mit ihrer ganz eigenen Stimme wird sie trotzdem im Indie-Untergrund schnell bekannt: Hörbar geformt, glas- und glockenklar. Und dann ist da natürlich ihr Verständnis und Wissen um Musik jeglicher Art, dass in ihren Kompositionen immer wieder hervorsticht. Egal ob bei spontanen Konzerten in kleinen Clubs oder in der Bücherei von Toronto: Da ist etwas, dass einen unweigerlich fesselt beim Hören. Trotzdem: Das Solodebüt
Join Us von 2008 erreicht höchstens im kleinen Kreis die gebührende Aufmerksamkeit. Aber ein Stein kommt ins Rollen: Katie sucht sich Musiker, bastelt aus dem Soloprojekt eine Band namens Austra und beginnt damit, sich für elektronische Popelemente zu begeistern. Und nun, knapp drei Jahre später, ist nichts mehr so, wie es vorher war.
Stolzer Schwan...
Die Geschichte erinnert an Zeitgenossen wie Beth Dito und Lady Gaga, die sich von langweiligen 0815-Sängerinnen zu Weltstars transformiert haben und mit ihrem Erfolg in so vielen MusikerInnen einen ansteckenden "alles ist möglich"-Vibe geweckt haben. Denn die Geschichte der unheimlichen Transformation vom unscheinbaren Entlein zum schönen Schwan, sie wird einfach nie alt uind funktioniert in der Popwelt immer:
Auch Katie Stelmanis scheint eine gewaltige Metamorphose hinter sich zu haben und ihr Wesen, ihr Wissen, ihre gesamte musikalische Erfahrung und ihre musikalischen Visionen nun zu einem sinnvollen Ganzen zu bündeln.
Die Haare nun lang und auffällig blondiert, von Hamsterbäckchen keine Spur mehr und das langweilige Jeans und Tshirt-Outfit ist den fließenden Zügen einer schwarzen Yamamoto-Schneiderei gewichen. Katie scheint nicht nur ihre Opernpassagen, sondern auch ihre Poplektion gelernt zu haben.
Das Ergebnis sind düstere, verspielte Tracks, die in vielen Momenten an den verstörenden, prickelnden Dark Wave und Synthie Pop der 80er Jahre erinnern. Oder an finstere Zeitgenossen wie The Knife. Vom kreativen und kunstvollen Grund-Charakter in den Stücken fühlt man sich wirklich sehr an die Kompromisslosigkeit einer Karin Dreijer Andersson erinnert. Das alles passt somit perfekt in die aktuell golden glänzende Goth-Chic Revival-Ära. Und wie hatte die allbekannte Musikgazette Pitchfork vor kurzem schon treffend über die erste Singleauskopplung Beat and The Pulse geschrieben:
"This is the song that plays in the last act when the poltergeists finally figure out how to get to you through a social networking site".
kate young
Neben dem schönen Gesang und den hübschen Melodien spielt aber auch ein gewisser gesellschaftspolitischer Auftrag bei Austra eine Rolle: Dass Katie Stelmanis mit ihrer langjährigen Musikerkollegin Maya Postepski auch sonst ihr Leben teilt, daraus macht sie kein Geheimnis. Eine extra Portion queeres Gedankengut wird bewusst und ganz selbstverständlich in die Musikstücke gestreut, ohne dass die Band in jedem Interview oder bei Konzerten die Missionarsrolle einnehmen will. Aber jeder, der schon einmal in Toronto war, weiß, dass die queere Kultur dort ganz unspektakulär in den Alltag integriert ist. Ein bisschen mehr wie in anderen großen Städten. Und das ist etwas, dass sich im Wesen der Band eben wiederspiegelt.
Und so tragen die Lieder von Austra Titel wie "Young & Gay" und die Band coverte auch schon auf wunderbare Weise den Aretha Franklin-Gassenhauer "Natural Woman":
katie stelmanis
Der Markt für Musik, wie sie Austra machen, ist (noch) klein in Kanada und nicht jeder hat das Glück, wie ein Owen Palett zur richitgen Zeit am richtigen Ort zu sein. But who needs Canada wenn er die ganze Welt haben kann? Es war ein glücklicher Zufall, dass die Band dem Londoner Elektronik-Produzenten Damien Taylor vor einiger Zeit in Montréal in die Arme gelaufen ist, der für Austra das Debüt "Feel it Break" produziert hat. Und dieser Mann hatte seine Finger schon an den Reglern für Björk, Unkle und The Prodigy.
Dank des professionellen Feinschliffs ist "Feel it Break" ein beachtliches Gesamtwerk geworden, dass aus den Produktionen, die in der letzten Zeit aus der kanadischen Ecke entsprungen sind, heraussticht. Und die Platte erfreut Klassikfanatiker und Popbanausen sicherlich genauso, wie sie auf der Tanzfläche funktioniert. Katie Stelmanis könnte also das nächste kanadische Wunderwutzi werden. Die alten, schwarzen Fetzen aus dem hintersten Winkel des Kastens hervorzuholen und einmal gescheit auszubeuteln, zahlt sich im Moment aber auf jeden Fall aus.