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Susi Ondrušová

Preview / Review

14. 2. 2011 - 19:51

Randnotizen aus Berlin I

Iron&Wine, PJ Harvey und Noah and the Whale, von Pop, Folk und der Suche nach Perspektiven.

Nicht dass mich Iron&Wine bei seinem WUK-Gastspiel letzte Woche nicht auch ein wenig berührt hätte.
Am Anfang schön Bandmässig an einem pompösen Strang ziehen und zum Schluss entschlackt und nackt quasi also Acapella mit dezentem Schrammeleinschlag - das ist eigentlich eine gute dramaturgische Wahl. Aber fad war es trotzdem.

ondrusova

Nicht das Saxophon, dem einfach zu viel Solospielraum erlaubt wurde. Auch nicht die zwei Perkussionisten, mein Problem ohne Lösungsvorschlag geht so: Perfektion ist auf einer Konzertbühne manchmal genauso faszinierend wie Synchronschwimmen im Fernsehen. Man schaut für die Dauer atemlosen Tauchganges hin und lenkt sich dann mit anderen Notwendigkeiten ab. Wenn man nicht abschaltet, dann dreht man vielleicht "nur" den Ton ab. Und erstellt eine Liste von kreditwürdigen KünstlerInnen, die der emotionalen Stimmung zuträglicher wären als Iron&Wine auf schulmeisterischem Pathosausflug. Das hab ich dann gemacht und im WUK den Anschluss an die euphorischen Zugabenrufe verpasst weil ich mich am Alphabet festhalten musste und alle Oldham Alben im Kopf chronologisch sortiert habe. Mit all den historischen oder tierischen Pseudonymen.

drag city

Urlaub?

Sam Beam von Iron&Win singt "your fake name is good enough for me" und aus meiner Playlist kontert Bonnie Prince Billy mit "sounds are always begging". Das geht so: "Always choose the noise of music...always end the day in singing! ... And bounce and boil and bounce and boil and bounce and boil, and plead and beg to be heard and had and carried on. Without us, song is nothing."

Meine Playlist für die nächsten Tage hört auf den Namen (Big in) Berlin (im Edwyn Collins RMX). Die nächsten Tage verlaufe ich mich nämlich in der schönen Stadt ohne Konzertpause. Der Plan beinhaltet so kleine Schritte wie zum Beispiel im "Das Gift" einkehren und (der Höhepunkt!) PJ Harvey Konzert im Admiralspalast nächste Woche.
So soll es sein.

ondrusova

Bis dahin wird gelesen und ein wenig abgetippt. Im Mojo Magazin, das ich auf der Zugfahrt nach Berlin verschlungen habe, findet sich eine sehr empfehlenswerte Captain Beefheart Geschichte, wo nicht nur ein rührender Nachruf in Gedichtform von Jack White abgedruckt ist sondern auch - schöner Zufall - PJ Harvey, die erklärt, dass die Captain Beefheart Songsammlung ihrer Eltern sie ein wenig verstört hat. Auf Anraten von John Parish hat sie sich Jahre später mit Captain Beefheart`s Musik vertraut gemacht hat: "I would play along with all those spidery guitar lines".
Zum Nachmachen, aber nicht wissen, wo anfangen empfiehlt PJ Harvey das 1970 erschienene Album "Lick My Decals Off, Baby" Es ist ihr favourite. Die beiden haben sich auch persönlich kennengelernt und PJ Harvey hat Telefonkonferenzen mit Don Van Vliet geführt.
"He´d always let me know what he thought. That was extraordinary, almost too much for me to take in. He liked Uh Huh Her a lot. He thought that might have been my best. Hi didn't comment much on Stories From the City but he really really liked this new record. That meant so much to me!"
Zum Nachmachen aber nicht wissen, wo anfangen empfehle auch ich "Uh Huh Her". Das beste Album von PJ Harvey. Vielleicht sage ich dann nächste Woche, wenn ich ihr neues Album "Let England Shake" auswendiggehört habe was anderes, mal sehen. Mal hören. Zum Beispiel hier.

pj harvey

Auf der Suche nach Wahrheiten, die sich in Interviewfragen packen lassen, um mehr über PJ Harvey zu erfahren, hat mir auch dieses Zitat von ihr über Captain Beefheart gefallen:

"For me his music is like listening to the truth - and that's hard to come by: the pure essence of how life is. I think that's what he's left behind and I still go to it to keep me on the right path. When I´m doubting where I´m going or I´m lacking in confidence to keep trying to get somewhere. I´ll play his records or think of him and his conviction about everything he did."

Listening to the truth - das wollen wir doch alle. Ich-Perspektive oder Welt-Perspektive. Das einzige Stichwort, das sich auf meinem PJ Harvey Fragebogen vorerst findet, lautet "Eyepennies", ein Song vom Sparklehorse-Album "It´s A Wonderful Life", bei dem PJ Harvey mitsingt.
Ich finde, dass es Mark Linkous immer wieder gelungen ist eine lyrische Perspektive zu finden, ohne gleichzeitig das Klischee des weinenden weißen rockistischen Mannes zu verkörpern.
Diese These muss ich natürlich für die kommende Befragung noch besser ausformulieren und die gender-Brücke aufbauen. Wenn es um Identifikation und in weiterer Hinsicht eben auch um die Fanwerdung geht, ist das wichtigste: die Songtexte müssen clever sein. (Mitunter ein Grund warum ich mich nicht mit der neuen Strokes Nummer auseinandersetzen will.)
Anyways, ich halte die Zeile von Mark Linkous nämlich "Leave me with pennies in my eyes" für die beste "Weinen"-Metapher. Beat that.

Likörchen

Eine Band, die zur Zeit was Neues ausprobiert und zwar von der singenden& schreibenden Ich-Perspektive (Break Up Album und so) in das universale Fach der Zustände beschreibenden Er& Sie-Perspektive zu wandern, sind Noah&The Whale. Heute habe ich in Berlin Charlie Fink zum Interview getroffen um mit ihm über das im April erscheinende neue Album "Last Night On Earth" zu sprechen.

ondrusova

Superchunk, Charlie Fink, Kekse.

Das Album behandelt das emotionale Phänomen sozialer Fortgehverhältnisse. Auch zu Übersetzen mit dem schönen Stichwort "coming of age". Songs, die beschreiben, wie unbesiegbar man sich fühlen kann, wenn man (u.a. im Nachtleben) auf den eigenen Füßen steht. Es klingt wie ein Aufputschmittel und schreit Pop statt Folk. Songtitel wie "Life is Life" und "Tonight´s The Night" verraten schon alles und das meine ich durchaus positiv. Pop ist nämlich ansteckend. Ich hatte heute schon einen About a Boy-Singmoment in der U-Bahn. Believe it.

Dass der neue Albumtitel "Last Night On Earth" eine Referenz an ein Bukowski Gedicht ist, erfreut mich sehr. Weil ich mit 16 alle Bukowski Gedichte und Romane verschlungen habe und es die spätere Riot Grrl-Werdung alles andere als behindert hat. Dass der von mir hoch geschätzte Nick Cave sich mal ein wenig abwertend über Bukowski geäußert hat, ist mir bei aller Grinderman-Liebe bis heute unverständlich. Aber das nur als Randnotiz.

Und das passiert in den nächsten Tagen: Ich tippe eine Mogwai Rezension an der ich seit zwei Monaten sitze zu Ende, werde Tim Kasher treffen und ihm 3Minuten Popsongs vorspielen, werde 12 Stunden lang im Selbstversuch Bright Eyes Hören und Arcade Fire in der kanadischen Botschaft kurzsichtig anstarren.

Das Noah&The Whale Interview (das in kleinen Auszügen am Mittwoch 16.2. in Connected zu hören sein wird) war ein klein wenig ein "The Kings Speech"-Unterfangen von meiner Seite. Das passiert manchmal so bei Interviews. Wie Batterieausfall. Als ich Charlie Fink gegen Ende des Gesprächs versichert habe, dass selbst ich als nicht native speaker eigentlich weiß, dass "ähm" kein Verb ist, das man deklinieren kann, war dieser so höflich aufzuzählen, welche Sprachen er und seine Freunde "fast" sprechen: Französisch und Spanisch zum Beispiel. Ich wusste nicht, was ich mit diesem Small Talk-Aspekt anfangen sollte, habe mir einen Keks vom Interviewgabentisch genommen und ab zum Sprachunterricht. Denn nicht vergessen: L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.