Erstellt am: 14. 2. 2011 - 21:11 Uhr
Journal 2011. Eintrag 34.
Das heutige Journal ist dem Kollegen Hosea Ratschiller zugeeignet der das Thema aufgegriffen, durchgedacht und vorrecherchiert hat, um es dann, in großer Selbstlosigkeit, mir zu übergeben.
2011 ist Journal-Jahr wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Wenn man das Fußball-Journal '11 dazurechnet: bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inklusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute mit einem Themen-Mix aus Fußball und Integration, bei dem das überbleibt, was bei Integrations/Migrations-Themen immer überbleibt: Kopfschütteln über patschertes Verhalten und zunehmende Erschütterung über die Tatsache, dass Nicht-Mitdenken-Wollen (oder, manchmal, -Können) gern schlimmere Auswirkungen hat als falschen Göttern hinterherzuhecheln.
Wenn man die mittlerweile in zumindest sieben einzelne Nationalitäten zerfallenen Ex-Jugoslawen nicht als einheitliche Gruppe betrachtet (und im vorliegenden Fall dürfte man das tatsächlich nicht) dann sind die Herkunftsländer der größten Ausländer/Migrationsgruppe Österreichs... richtig - Deutschland. Knapp dahinter kommt die Türkei.
Just gegen Deutschland und die Türkei ist die heimische Fußball-Nationalmannschaft gelost worden, in der EM-Qualifikation. Und wie es der Zufall weiter so will, sind die beiden letzten verbleibenden Heimspiele dieser Quali-Gruppe A just die gegen Deutschland (am 3.6.) und gegen die Türkei (am 6.9.).
Davor gibts noch das Match gegen Belgien am 25.3. - über diese drei Spiele kann der ÖFB also noch verfügen, verkaufstechnisch.
Und jetzt wird's interessant: Die Tickets für die noch ausstehenden EM-Quali Spiele werden ausschließlich im Abo verkauft. Das ist eine clevere Maßnahme - denn wer das Spiel gegen die deutschen Weltmeister der Herzen oder den Fight gegen die EM-Semifinalisten Türkei sehen wollen muss quasi auch das Belgien-Spiel mitnehmen. Mit solchen Tricks verkauft man seine Spiele schneller und effektiver aus. Legitim.
Türken und Deutsche: draußen bleiben!
Aber: Eine der Voraussetzungen für den Erwerb der aufgelegten Abos ist der Besitz eines gültigen österreichischen Reisepasses. Die Tickets sind personalisiert, ihre Weitergabe ist ausdrücklich nicht möglich - die genau Info findet sich hier.
Das heißt also: Tickets für die Länderspiele nur für Österreicher, die die Heim-Mannschaft supporten. Klar. Der gegnerische Verband erhält ein gewisses schmales Kontingent - aber natürlich muss für eine Heim-Stimmung gesorgt werden.
Das war anlässlich der letzten Wiener Begegnung mit der Türkei nicht der Fall. Die fand nicht während der Euro, da kam Österreich ja nicht aus der Gruppenphase, sondern danach, auf freundschaftlicher Ebene statt und endete nicht so sehr in einer sportlichen als vielmehr in einer fantechnischen Blamage: 70% der Zuschauer schreien für Türkiye.
Wieviel hat diese Ticketing-Politik mit der Tatsache zu tun, dass zwei der Gegner die Herkunftsländer der zweit (Deutschland) und drittgrößten
(Türkei) so genannten Ausländer-Gruppe in Österreich repräsentieren?
Damals waren die Tickets im freien Verkauf - diesmal gilt eben die neue Devise: nur für Paß-Österreicher.
Ein Dreier-Abo des Ausschlusses
Nun ist es so, dass nur etwa (und das ist eh schon gut geschätzt) die Hälfte der in Österreich lebenden Herkunfts-Türken auch über die Staatsbürgerschaft verfügt. Bei den in Österreich lebenden Deutschen, die sich (EU-Bürger und so) ja gar nicht dafür bewerben müssen, sind es deutlich weniger. Die schaun einmal alle durch die Finger.
Deutsche und Türken in Österreich sind also schon einmal ausgesperrt - die müssten sich theoretisch über die Kontingente von DFB oder TFF versorgen - was im Fall der gut vernetzten türkischstämmigen Fußball-Fans sogar möglich ist.
Nächste Frage: Wieviele Abos werden von ÖsterreicherInnen mit türkischem Migrationshintergrund gekauft werden? Vor allem, wenn da die Zwangsbeglückung mit Deutschland und Belgien-Spiel gleich dabei ist. Feuern die türkisch- oder deutschstämmigen Schon-Österreicher mit Abo dann Österreich an oder werden die Sympathien je nach Situation in der Quali-Gruppe verteilt?
Die Abos sind laut ÖFB-Auskunft bald ausverkauft. Wird das Stadion tatsächlich immer voll sein, oder bleiben die türkeistämmigen Österreicher beim Spiel gegen Belgien zuhause? Wird tatsächlich kontrolliert ob der Name auf dem personalisierten Ticket stimmt? Wenn passiert, wenn dort Franz steht, der Fan aber ein Üzgür-Gesicht hat?
Murphys Gesetz in der Benachteiligungs-Automatik
Die interessante Frage hinter all dem ist jetzt: wer hat sich das ausgedacht? Und zu welchem Zweck?
Es gibt drei mögliche Antworten.
Idee 1, die FPÖ-Variante: Türken raus aus dem deutschen Stadion, Halbmondland wird abgebrannt, Graf Starhemberg for Teamchef!
Idee 2, die FDP-Variante: symbolische Fortschritte in Punkto Migration sind zwar ur-liberal, aber wichtiger ist, pardon, schon noch der Business-Plan. Deswegen sollen die türkischen Prolos doch bitte ein bissl scheißen gehn.
Idee 3, die ÖFB-Variante: warum bitte sollte sich ein nationaler Fußball-Verband Gedanken über so Themen wie Identitätsstiftung machen? Ist doch echt nicht unser Problem, gell?
Es steht zu fürchten, dass diese in ihrer paternalistischen Wurschtigkeit nicht zu toppende ethische Sorglosigkeit des ÖFB aus reinem Zufall passiert ist.
Obwohl es ja Theorien gibt, dass sowas (wie etwa auch die zufällige Frauenlosigkeit beim PSC-Finale unlängst) nie zufällig geschieht, sondern eine Art Murphy’s Law-Automatik in sich trägt. Also: alles, was in einer gedankenlosen Gesellschaft, die sich ihrer Sex- und Rassismen aus innerer Betriebsblindheit nicht bewußt ist, an unmerklichen Benachteiligungen passieren kann, passiert auch.
Identitätsstiftende Praxis
Dabei kann man dem ÖFB aktuell keinen Vorwurf machen, was faire Aktionen und gezielte Kooperationen und auch gelebte Praxis in der Nachwuchs-Arbeit betrifft.
Im erweiterten Kader stehen 5 Kicker mit Yugo-Roots, 4 mit türkischer Heritage, ein Beute-Deutscher und 2 Burschen mit schwarzer Hautfarbe.
In U21 und U20 sieht es mit 5 Akteuren mit anderen Herkunftsländern schon schwächer aus - detto bei U19 und U17. Aber im 43 Burschen umfassenden Projekt 12, dem Förder-Programm für die besten der besten Jungen finden sich immerhin neun Secondos.
Es geht also durchaus was weiter, in punkto Identitätsstiftung über die Nationalmannschaft stattfindet und auch der lange schwelende ethnische Chauvinismus in der Einberufungspolitik hat sich großteils verflüchtigt.
Bei Marko Arnautovic schwingt in mancher Boulevard-Story immer noch ein wenig Verachtung durch, zuletzt als sich Yasin Pehlivan in eine depperte Disco-Prügelei verlor, waren die Untertöne auch ein wenig grauslich. Und auch Rubin Okotie fand in seinen letzten Tagen bei der Austria entsprechenden Gegenwind vor. Ekrem Dag wird vom Boulevard nicht als Österreicher wahrgenommen. Aber mit Veli Kavlak, Ümit Korkmaz, David Alaba oder zuletzt vor allem Zlatko Junuzovic stricken alle erfreute Erfolgsgeschichten.
Verschenkte Signalwirkung
Hoseas PS führt zwar schon einen Schritt zu weit, aber ich geb es einmal als Nachdenkfutter weiter: Wäre das Modell "Integration über Sport" in Österreich nicht eher über den Wintersport möglich? Warum gibt es keinen einzigen Wintersportler mit Migrationshintergrund? Gibt es in Vorarlberg oder Tirol keinen einzigen türkeistämmigen Buben, der irgendein Skisport-Talent hat? Werden die frühzeitig ausgesiebt?
Und zwar übergreifend - sowohl bei den österreichischen Kids als auch in den jeweiligen Migrations-Communities. Und nur die schwache internationale Erfolgslage der heimischen Kicker verhindert ein großangelegtes Ja zu einer positive Identifikationsfigur für die Mehrheitsbevölkerung, wie es im deutschen Fall von Mesut Özil passiert ist.
Nicht dass die Abo-Maßnahme jetzt ein Fauxpas wäre, der verbrannte Erde hinterlassen würde - bloss: so deutlich signalisieren, dass es einfach nicht nötig ist sich für Begegnungen mit zwei sportlichen Gegnern, die in Wien aufgrund ihrer großen Communities einfach ein Faktor sind, nicht nur in sicherheitstechnischer Hinsicht vorbereiten zu müssen, anstatt das im Gegenteil zum Anlass nimmt, seine gesellschaftspolitische Verantwortung wahrzunehmen... verschenkt.