Erstellt am: 14. 2. 2011 - 18:42 Uhr
The Beginning Of The End Of The Streets
"Ich glaube die Initialzündung für The Streets war der Wunsch, in der englischen Musiklandschaft eine Lücke zu füllen..." meint Mike Skinner nach längerem Nachdenken zögerlich.
Die Ein-Mann-Sound-und-Raprock-Army, wie The Streets gerne in Musikjournalistenkreisen genannt wird, wirkt etwas müde. Hin und wieder kommt Mike Skinner ein Gähnen aus, wobei er seinen unterbrochenen Satz anschließend wortwörtlich wiederholt. Schließlich ist er Medienprofi. Aber auch eine gewisse Vorfreude, eine Erleichterung und Aufregung schwingen bei seinen Aussagen mit, denn der fünfte Teil seiner Veröffentlichungsserie ist das große Finale des englischen urban musical poet. Und die von ihm angesprochene Lücke, die er zur Jahrtausendwende mit seiner damals außergewöhnlichen und eigenwilligen Mixtur aus Hip Hop und UK Garage zu füllen versuchte, wird trotz einer veränderten und belebteren Clubszene wieder ein wenig aufklaffen. Doch bis dahin wird Mike Skinner mit uns noch einige pints kippen, um uns am Tresen irrwitzige Geschichten seiner Zukunfsvisionen zu erzählen.
Tipp: Eine Listening Session durch das neue The Streets Album "Computers And Blues" kannst du am Dienstag 15.02. ab 15:00 Uhr in FM4 Connected hören.

The Streets
The things that I love most ...
Im Inneren wütet ein Sturm. Mike Skinners Stimme erinnert an den stotternden Cyber-Punk Musikvideoankündiger Max Headroom, während analoge Synhtie-Töne von schwindelnden Frequenzhöhen in tiefe Bandbreiten hinuntermoduliert werden. Aus zischendem, weißem Rauschen schält sich dann der altbekannte, trockene Beat von The Streets. In gewohnt lapidarer und eindringlicher Art rappt Skinner hier zu einem Loop, der eigentlich gratis in jedem Garage-Band-Computerprogramm mitgeliefert wird. Allein dieses Detail zeigt schon, welche Welten "Computers And Blues" zusammenbringen möchte. War das letzte Album "Everything Is Borrowed" von der Produktionsweise her sehr organisch, tauchen The Streets heute erneut in die Klangphase von "Original Pirate Material" ab. Die spröde Reduktion der Tracks auf die ironisch-witzige Erzählweise von Mike Skinner und die verschiedensten Versatzstücke alter und gegenwärtiger Clubstyles bildet das Herzstück von "Computers And Blues", wobei wir mit der Max Headroom Assoziation schon bei einer wesentlichen Referenz angekommen sind: Die Ästhetik der 1980er Jahre.

The Streets
"Going Through Hell" könnte man beispielsweise mit seinen Riffs als eine Art Hommage an "Walk This Way" interpretieren, wobei durch Skinners Liebe zu Soundexperimenten hier sein Feder Rhodes-Piano wie die Gitarre von Joe Perry klingt. Besonderer Beliebtheit erfreut sich auf dieser Platte der Bitcrusher, der durch Reduktion von Audiodaten einen verzerrenden Effekt erzeugt. So ist man bei der Kaugummi-Lollipop-Melodie von "Roof Of Your Car" sofort an die Chiptune-Musik zurückerinnert, die jeder Commodore C-60-Besitzer heute noch liebt. Die Verschränkung in die Gegenwart leisten hier die sanften Gitarrenakkorde und die weiblichen Stimmsamples, die in Richtung Popcharts schielen, während der englische Pubpoet Zukunftsvisionen entspinnt, in denen wir mit Compterchips im Kopf raving sensations implantiert bekommen.
Mike Skinner: "Oft wenn ich an futuristische Dinge denke, erinnere ich mich an die achtziger Jahre. Vielleicht, weil ich in dieser Zeit aufgewachsen bin. Aber auch, weil die Achtziger für mich schon immer ein Jahrzehnt waren, in dem viel Neues passiert ist und es ein Streben Richtung Zukunft gab."

The Streets
Es scheint ganz so, als ob sich Mike Skinner mit dem letzten Streets-Album alles erlaubt, wozu er in den letzten zehn Jahren Lust gehabt hat. Mit "Puzzled By People" setzt er sich erneut die Philosophenbrille auf, diesmal jedoch mit leicht zugänglichen Phrasen wie puzzled by people, loving isn't easy, you can't google the solution to peoples feelings. Musikalisch wird hier der flauschige Keyboardteppich unter die schnellen Beats gelegt, mit verhalltem Fingerschnippen und Backgroundchor ein ganzes Break, nur um dann gleich einen perfekten Ohrwurmrefrain anzuhängen. Vor allem "Soldiers" besitzt diese wundervollen, Sehnsuchtsgefühl erzeugenden Harmonien und einen Chorus, den man vom ersten Moment mitsingen kann. Wie bei "Going Through Hell" bringt auch hier die Stimme von Rob Harvey von The Music einen ganz eigenen, frischen Farbton für den Song. Manche mögen die Nase rümpfen und viele dieser Songs gleich in die Kitsch-, Kommerz- und "Sowas-darf-ich-ja-gar-nicht-gut-finden"-Ecke stellen, doch The Streets haben sich immer schon im großen Populärmusikuniversum bedient und Elemente daraus in ihren eigenen, tief urbanen Undergroundkontext gestellt. Man denke nur an die wabernden Keyboards vom großartigen Stück "Blinded By The Lights". Oder an die Akustikgitarrenballade "Dry Your Eyes", wobei 2011 die Entprechung dazu der fast schon schnulzige Song "We Can Never Be Friends" ist, inklusive "hair metal"-Gitarrensolo zum Abschluss.
... are trying to kill me!
"Computers And Blues" ist auf vielen Ebenen ein paradoxes Werk. Nachdenkliche Stücke wechseln sich ab mit alsoluten Partycrasher-Nummern, digitaler Blues trifft auf live eingespielte Dancemusik. Der Standort der textlicher Ebene ist dabei in der Gegenwart angesiedelt, mit Blickrichtung in die Zukunft. Überlegungen, wie unsere Gesellschaft mit technologischen Neuerungen wie sozialen Netzwerken umgeht und wohin wir uns als Menschen entwickeln, stehen neben massiven, persönlichen Erlebnissen. "Trying To Kill M.E." ist dabei ein zentraler Song, erzählt Mike Skinner doch davon, dass er durch ständige Überlastung nicht mehr arbeiten konnte. Die geliebte Nachtzeit wird zum durchwachten Horror, unsicher zwischen Wahrnehmungsvirus und Depression hin- und herschwankend ist das Ergebnis eine sechsmonatige "Auszeit" und die Diagnose chronisches Erschöpfungssyndrom.

The Streets
Mike Skinner: "Mich hat es sehr frustriert, dass ich nicht mehr arbeiten konnte. Aber ich würde nicht sagen, dass ich wirklich krank war. Ich habe mich durch meine Arbeit selbst krank gemacht. Das Positive daran war, dass es mir viel Zeit und Raum gebracht hat. Es hat mich dazu gezwungen, mehr Abstand zu meiner Arbeit zu bekommen. Nach dieser Auszeit bin ich viel fokussierte an die Aufnahmen gegangen und mein Instinkt war geschärft dafür, was gut funktioniert und was nicht."
Vielleicht hat das chronische Erschöpfungssyndrom dazu beigetragen, dass Mike Skinner der Abeschied von The Streets nicht schwer fällt. Andererseits war der Entschluss, The Streets als Serie zu begreifen, die irgendwann ein Ende haben muss, schon vor geraumer Zeit gefällt.
Mike Skinner: "Als ich das zweite Album A Grand Don't Come for Free geschrieben habe, kam mir die Idee, eine Reihe zu machen. Als diese Entscheidung getroffen war, kam die Frage, wie lange mache ich diese Serie? Als ich dann mit meinem Label einen Vertrag über fünf Platten unterzeichnet habe, fühlte sich dieser Rahmen perfekt an. Im Moment jedoch fühlt es sich für mich so an, dass dieses Ende erst begonnen hat. Denn im kommenden Jahr wird es eine lange Tour geben und viele Konzerte. Also das alles ist erst der Anfang..."
... vom Ende. Was nach den Streets kommt? Ein Filmprojekt, das ist für Mike Skinner schon sicher. Und wenn man sich die Ausschnitte aus dem neuen interaktiven Video zu "Computers And Blues" ansieht, dann kann man sich gut vorstellen, wie so ein britischer Vorstadtstreifen aussehen könnte. Doch bis dahin feiern wir The Streets und ihr neues Album, machen die Party-Nacht zum Alltag, auch wenn der Blues danach schon vorprogrammiert ist.