Erstellt am: 12. 2. 2011 - 16:11 Uhr
Schatten und Licht
Sowohl grobe Klötze als auch eingefleischte Softies mögen es nicht wahrhaben wollen. Aber natürlich, wie an dieser Stelle schon öfter gepredigt wurde, liegen das Knallharte und das Hauchzarte eng beieinander.
Nicht zuletzt das Werk des großen David Lynch zehrt in weiten Strecken von brachialen, aufwühlenden, gewalttätigen Momenten und gleichzeitig einer engelshaften Sanftheit.
Bis heute unübertroffen hat der Regiegott diese Gegensätze in seiner legendären TV-Serie "Twin Peaks" vereint. Auf der einen Seite zeigte Lynch das gleichnamige Holzfällerstädtchen als verschlafenes Provinzkaff, wo man sich bei Kirschkuchen und Kaffee im Diner traf, um lokalen Klatsch auszutauschen. Andererseits verwandelte sich das niedliche Örtchen des Nächtens in einen Sündenpfuhl, inklusive käuflichem Sex und florierendem Drogenhandel. Gar nicht zu reden von den Geistern, die draußen in den Wäldern in der schwarzen Hütte hausten.
Die atmosphärische Hohepriesterin dieses Gleichgewichts aus Idylle und Schrecken, Unschuld und Verdorbenheit, das war die wunderbare Julee Cruise. Zu den hypnotischen Klängen von Angelo Badalamenti hauchte die US-Sängerin damals das "Twin Peaks"-Thema und in ihrer extremen Zerbrechlichkeit schon wieder verstörende Sehnsuchts-Hymnen wie "Rockin' Back Inside My Heart" oder "Mysteries Of Love".
ABC
Nachdem sich die produktive Zusammenarbeit mit Lynch und Badalamenti zwischenzeitlich in Streitereien aufgelöst hatte, brachte Cruise mit diversen Kollaborateuren 2002 auch noch ein tolles Soloalbum heraus. Auf "The Art Of Being A Girl" verschmolz ihre Ausnahmestimme mit elektronischem Jazz zu einem fiktiven Neo-Noir-Soundtrack.
Am 21. März kommt Julee Cruise nun live in die Wiener Fluc Wanne, mit dabei ist eine Liveband, die Postpunk-Liebhabern einen Gänsehautschauer bescheren dürfte. Alex Hacke von den Einstürzenden Neubauten, Kid Congo Powers, ehemals Gitarrist bei Nick Cave & The Bad Seeds und den Cramps, aber auch der Berliner Electro-Sleazemeister Khan sind mit dabei.
Es wird ein fantastischer Abend werden, wage ich zu prophezeihen, bei der auch diverse heimische Künstler im Fluc den magischen Lynch-Soundtracks huldigen. Bis dahin summe ich zur Vorbereitung schon mal Julee-Cruise-Songs vor mich hin: "Into the night, I cry out your name, Into the night, I search out your love. Night so dark, where are you? Come back in my heart."
Matador Records
Esben and The Witch
Es ist gar nicht schwer, von Julee Cruise einen Bogen zu einem der aufregenderen Alben der letzten Zeit zu finden. Ätherische und gleichzeitig nachtschwarze Momente finden sich nämlich auch auf "Violet Cries" von Esben and The Witch.
Die britische Band, die sich nach einem dänischen Schauermärchen benannt hat, liebt ähnliche Widersprüche wie Maestro Lynch und kontrastiert eine bestimmte Fragilität mit noisigen Gitarrenwällen und wuchtigen Tribal-Sounds.
Stimmt schon, das frostige Cover mit seiner an die Glanzzeit von Sisters Of Mercy oder Christian Death erinnernden Typografie, die Siouxsie-Sioux-verwandte Stimme von Sängerin Rachel Davies, all das ruft einschlägige Schwarzkittel-Assoziationen wach.
Aber mit der Gruftie-Schublade wird man Esben and the Witch nicht gerecht. Wie die fantastische Zola Jesus arbeiten die Briten, die ihren Style selber vage als "Nightmare Pop" umschreiben, an einer neuen Annäherung an alte Gothic-Schubladen. Es gilt die lust- und lebensfeindlichen und hochgradig peinlichen Sackgassen zu vermeiden, in denen vorsätzlich düstere Musik vor allem im deutschen Sprachraum feststeckt.
Matador Records
Weit weg von all den belämmerten Formationen, die sich in Magazinen wie "Zillo" oder "Orkus" tummeln, stelle ich mir Rachel Davies und ihre Jungs wie adoleszente, hübsche Nomaden vor, die in nebeligen britischen Wäldern leben, sich von Beeren und Wild ernähren, sich ab und zu mit Soap & Skin oder Nika Roza am Lagerfeuer treffen und dem sozialen Chaos und der hirntötenden Banalität der Gegenwart den Rücken zukehren.
Ja, Esben and the Witch machen Fluchtmusik, die gar nichts über die Welt und alles über das eigene Herz aussagen will.
Aber, und das muss auch mal all jenen gesagt werden, die von blutjungen Bands ständig eine politische Dringlichkeit einfordern: Wer aus ganz persönlichen Gründen an innerer Zerrüttung leidet, wer gerade von widersprüchlichen Gefühlen auseinandergezerrt wird, dem kann das Schicksal des restlichen Planeten wahrscheinlich einen Augenblick lang den Buckel runterrutschen.
Marflow
Marflow aka Diskokaine
Noch entschieden weiter hinein in die Eskapismuszone bewegt sich eines der zentralsten Alben heimischer Herkunft, das demnächst sämtliche verschärften Blogs und Magazine aufrollen wird und bei mir seit geraumer Zeit schon auf und ab läuft.
Marflow aka Diskokaine, einer der größten DJ-Sympathieträger des Landes und Co-Veranstalter des e-nix Clubs, Italo-Disco-Spezialist, Oldschool-Electro-Kenner und Träger einer fantastischen Frisur, hat sich mit seinem Longplayer-Debüt "Wolfram" selbst übertroffen. Bei seinen Reisen um den Globus knüpfte der charmante, unaufdringliche Netzwerker beim Schnitzelessen und Backstage-Plaudern diverse Kontakte, die er nun auf euphorisierende Weise ausspielt.
Von den DFA-Shootingstars Holy Ghost! über die gerade omnipräsenten Hercules and Love Affair hin zu Patrick Pulsinger, Sally Shapiro, Legowelt und, Trommelwirbel, Mr. Haddaway himself, wird der Exil-Kärntner von einer ausnehmend schmucken Gästeliste unterstützt. Das Schöne ist, dass hinter diesen Namen keine bloßen Gimmickauftritte stecken, ganz im Gegenteil, die Herrschaften sind in Topform.
Irgendwo zwischen dem zuckersüßen Rausch des Eurodance und dem gerade explodierenden 90ies-Revival (das uns wohl die nächsten Jahre begleiten wird), gleichzeitigen Referenzen an die Clubklänge des Hier und Jetzt, viel Maschinensoul und einer essentiellen Portion Abstraktheit und Irritation ist Marflow das Pop-Meisterwerk dieses Frühlings gelungen.
Domino Records
The Kills
Während Marflow das Lächeln auf dem Dancefloor der zynischen David-Guetta-Schlagerfraktion entreißt, bemühen sich The Kills seit jeher darum, die entleerte Mythenwelt des Rock'n'Roll wieder sexy aufzuladen.
Drohte mein allerliebstes Duo schon im Nirvana aus Celebrity-Unsinn (ja, Jamie Hince hat eine prominente Freundin, und sie planen eventuell zu heiraten) und musikalischen Abseits-Aktivitäten (zugegeben, The Dead Weather sind phänomenal, und der Jack White passt auch gut zu Alison Mosshart) zu verschwinden, melden sie sich jetzt endlich gemeinsam zurück.
"Blood Pressures", das gerade bei mir als Plattenfirmenstream im Hintergrund läuft und in ein paar Wochen erscheint, nimmt die Tanzbarkeit des grandiosen 2008er-Albums "Midnight Boom" ebenso eine Spur zurück wie dessen transparente Poppigkeit. Etwas wilder, räudiger, back to the early days wirkt das in Michigan aufgenommene und in London abgemischte Werk, der charakteristische Drumcomputer wurde durch Liveschlagzeug ergänzt, die Gitarren krachen.
All das ändert nichts an dem, was The Kills zu einer lebensrettenden Band macht: Schon der Opener "Future Starts Slow" vibriert mit einer fiebrigen Energie, einer Leidenschaftlichkeit, die einen gleichzeitig zum Weinen bringt, unanständige Gedanken evoziert, gesunde Aggressionen provoziert und an innige Umarmungen denken lässt.
Es ist die Macht der Romantik, die so unterschiedliche Artists wie Julee Cruise, Esben and the Witch, Marflow und The Kills eint, der Frühling kommt bestimmt.
Domino Records