Erstellt am: 11. 2. 2011 - 11:43 Uhr
Quo vadis Ägypten?
Achtung: Diese Geschichte wurde vor Mubaraks Rücktritt verfasst.
Alle versammeln sich um den Fernseher. Alle schauen, was in Ägypten passiert. Meine Mutter geht irgendwann zum bügeln und guckt Wintersport. Meine Schwester ist halb beteiligt. Mein Vater und ich streiten (sehr ägyptisch) über Nichtigkeiten, während wir erwarten, dass Mubarak endlich hört, was sein Volk ihm seit fast drei Wochen in das anscheinend taube Ohr schreit: AR7l, geh, tritt ab, schleich dich.
Woher die Euphorie? Keiner hat mehr damit gerechnet. Also so wirklich. Alle dachten, dass vielleicht ein bisschen arbeiten und Freitags demonstrieren ausreichen, um dem Regime zu sagen: Jungs, wenn ihr nicht sofort anfangt, dann hauen wir Euch auf die Finger. Gut, das ist mein Standpunkt. Die Ägypter selbst sehen, welche Probleme sich vor ihnen auftürmen. Sie sehen, welche Energie es brauchen wird, um sich für die Zukunft zu wappnen. Sie sehen aber auch, dass der Architekt Mubarak und die Arbeiter seine Mitläufer sind.
Gestern heißt es dann er wird sprechen, und er wird abtreten. Wer sagt das? Die CIA hat eigentlich keine Pressestelle, die die Putsche des Tage ankündigt, oder? Der Generalsekretär der Partei? Vor sechs Tagen als Marionette installiert. Der darf also reden?
Gut, Gründe warum Mubarak abtreten kann: Er hat Ehre (aus Sicht eines Nicht-Diktators). Sein Sohn hat ihn angerufen und gesagt, dass er nicht mehr durch die Innenstadt zur Arbeit (Parteigebäude) fahren kann, weil zum einen die Verkehrslage irgendwie kompliziert (Tahrir ist gesperrt) und das Haus wenig bewohnbar sei (angezündet von Mubarak-Unterstützern am 28. Jan). Gamal geht dann nach London, Familie und Geld sind schon dort. Um Mubarak wird es rein verwandschaftsmäßig einsam. Vielleicht tritt er deshalb ab.
Aber im Ernst: er könnte von der Partei geopfert worden sein. In 60 Tagen Neuwahlen, ohne neue Verfassung. Daraus kann nur eine Partei hervorgehen, nämlich seine NDP. Ein Bruch mit der Person Mubarak, um hunderttausenden Parteimitgliedern und Beamten das Einkommen und Weiterleben durch Staatsmittel zu garantieren. Eine Bewegung, die ihre Leitfigur köpft, nicht aber die Idee der Patronage weiter als System abarbeitet, weiter Geld absaugt und stiehlt. Möglich, sehr möglich. Die Aussicht auf Macht lässt die Loyalität hintanstehen.
FT LB/EPA
Und dann immer noch das Militär. Vielleicht einigt man sich dort darauf, dass Mubarak geht und gegangen wird.
Und dann spricht er. Im deutschen Fernsehen, mit Übersetzung und sagt …nichts. Und spricht wieder so, dass er ein Blutvergießen für jeden Satz, der über seine Lippen kommt, in Kauf nimmt. Die Anspannung, die Vorfreude, die Erleichterung, die Freude die Zuversicht. Alles weg. Erst mal. Er spricht von seiner Jugend, von seinem Volk, aber er spricht an ihnen vorbei. Mit der Konsequenz eines blinden Panzerfahrers, der in seiner Naivität alles zerstört, was vor ihm steht.
FM4 Reality Check hat sich heute mittag den neuesten Entwicklungen in Ägypten gewidmet: Hier gibt's die Sendung zum Nachhören (und hier als Podcast.)
- Topics: Live from Cairo, our correspondent Abdel-Rahman Hussein; Egypt's army: pro-Mubarak or pro-protesters?; Saudi Arabia--how much oil does it really have?; A report from the World Social Forum in Senegal
Gewissheit kann ernüchternd sein. Gewissheit kann auch eine Schlampe sein. Er wird bleiben und die Änderungen durchsetzen. Welche Änderungen? Der Präsidentschaftswahlkampf wird mehr als einen Kandidaten haben. Die Notstandsgesetze werden abgeschafft, und die Gerichtsbarkeit transparenter. Immerhin. Ich werde diese Befugnisse an meinen Stellvertreter weitergeben. Nur die Befugnisse zur Verfassungsänderung! Nicht alle. Er bleibt, und wacht weiter über „sein“ Volk. Er bleibt und mit ihm die Demonstranten. Aber habe ich es richtig verstanden: All das wird durchgesetzt, wenn die Leute nach Hause gehen? Er stellt Konditionen? Ihr geht, und mit Euch der Notstand? Im Ernst?
Die Leute, wie ich, wie mein Vater, wie meine Schwester, wie meine Mutter sind voll von Wut!
Die Sachen, die er ankündigt, sind Schritte, die er nach seinen letzten Reden gehen musste, um die in Aussicht gestellten Veränderungen einzuleiten. Also ein schlüssiger und unumgänglicher Teil der Entwicklung zur Demokratie. Bei uns höchstens eine Pressemitteilung gegen 10 Uhr vormittags. Aber in seinem diktatorischen Habitus braucht er weiterhin die große Bühne. Jedes Zugeständnis nach 30 Jahren ist, als würde er sich eine Rippe heraustrennen und zum Wiederaufbau Ägyptens spenden. Welch Großmut. Unter wem ist Ägypten untergegangen? Wieso stellt sich Mubarak naheliegende Fragen nicht? Er ist 82 und den einzig internationalen Rat, den er anzunehmen scheint ist der von Silvio Berlusconis Friseur. Keinen einzigen Rat nimmt er von der Straße an. Kein einziges Mal wacht er auf und weiß, es ist sein letzter Tag.
Vielmehr schickt er „seine Leute“, ein friedliches Volk, auf die Straße, gegen seinen Palast, gegen das Staatsfernsehen, und drängt sie zum Äußersten.
Jede Enttäuschung, jedes Warten, jeder Verletzte und jeder Tote in Ägypten hat eine dafür verantwortliche Person: Hosni Mubarak. Und in seinem Starrsinn erkennt er das nicht.
Ra7 fen ya masr? Quo vadis Ägypten? In die Freiheit, in die Selbstbestimmung, in die Zukunft. Aber heute noch mit dem Anker Mubarak.