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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

10. 2. 2011 - 20:55

Journal 2011. Eintrag 31.

Warum es ungünstig ist am Abend des großen Teilerfolgs des ägyptischen Aufstands vom Internet als Eliten-Medium zu sprechen.

... und 2011 ist wieder ein Journal-Jahr wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Wenn man das Fußball-Journal '11 dazurechnet: bedeutet das einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inclusive.

Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem absurden Gegensatz - denn die immer noch gern erhobene Behauptung das Internet wäre eine Angelegenheit einer Elite trifft heute abend auf ein unerhörtes Resultat einer ganz und gar nicht elitären Massen-Verabredung des Web 2.0, den Abgang von Hosni Mubarak.

Natürlich hat Georg Markus Kainz Pech. Zum einen das Pech, dass ich die vorgestern eingelangte Nummer der gutgemachten österreichischen Hochschülerinnenschaft ausgerechnet heute durchblättere. Dann das Pech, dass er da in einem Interview, das eindeutig vor den Ereignissen von Tunesien und Ägypten geführt wurde, ausführlich zu den davor brennenden Themen (Wikileaks, Transparenz etc.) Stellung nimmt, ohne zu wissen, was da noch kommen würde. So ist das, wenn man sich mit langsamen Medien einlässt - die Wirklichkeit kann einen brutal ausbremsen.

Trotzdem: der Obmann von "Quintessenz", dem heimischen Watchdog in Sachen "Digitale Bürgerrechte", ist ja jemand, der weiß wovon er spricht - ein Cyber-Experte. Und der sagt da: "Der Zugang zum Internet hat gewisse Voraussetzungen, wie Geld oder Bildung. Es kommt zu einer gewissen Vorselektion. Das Internet ist ein Eliten-Medium."

Das hier und heute zu lesen ist schlicht und ergreifend absurd. Die Millionen vom Tahrir-Platz etwa mögen eine philosophische Elite sein, weil sie eine Konsequenz ziehen, die Milliarden weltweit nicht schaffen - zur gesellschaftlichen Elite zählen sie nicht. Sie repräsentieren - ebenso wie die großen Teile der revoltierenden Bevölkerung in Tunesien vor ein paar Wochen - einen breiten Querschnitt der Bevölkerung, aller Schichten, bunt gemischt. Die digitale Durchdringung der arabischen Welt ist, das belegen die im Gefolge der Revolten plötzlich interessant gewordenen Wirtschaftsdaten über Handy-Marktsättigungen (in Ägypten ging das von 3% rund um 2000 auf aktuelle 70% rauf) oder Facebook-Accounts (immerhin 15% der Tunesier), alles andere als rückständig, dockt an europäische Niveaus an, wesentlich schneller, als in unseren westlichen Zuschreibungen angenommen.

Das antielitäre Medium schlechthin

Noch ein wenig elitärer Aspekt: die ägyptische Revolution ist, was die Beteiligung der Menschen betrifft, eine der drei meistunterstützten der Weltgeschichte (neben der russischen Oktober-Revolution von 1917 und der iranische Revolution, die den schah aus dem Land trieb, von 1979).

Und weil sich mir heute alles Erlesene in ein- und denselben Kontext drängt: auch die Zahlen der eben veröffentlichten Jugend 2.0-Studie über das Verhalten der deutschen 10 - 18jährigen hat nicht gerade elitären Charakter. Deren Web-Affinität toppt prozentuell gesehen selbst Fidel Castros Wahlergebnisse - bei den Mädchen sind es gar 99%.

Das ist nun ziemlich deutlich keine Elite. Das ist und war auch schon vor Tunesien und Ägypten klar. Der Satz vom Eliten-Medium entstammt aber einem Denken, das tief in vielen Prä-Digitalen drinsitzt. Dabei geht es nicht so sehr um die Verwendung, sondern die Kontrolle.

Selbstverständlich wurden und werden Medien (auch schon vor Gutenberg, Edison und Murdoch) immer von Eliten produziert und kontrolliert. Die spezifischen Eigenheiten des Internets, seine Talkback-Funktion (1.0) und seine Verknüpfungs-Fähigkeit (2.0) haben das alte Weltbild der Kontrollierbarkeit von Aussage und Wirkung niedergerissen. Und zwar mit einer derartigen Wucht, dass der Staub dieser Zerstörung sich selbst für digitale Experten als undurchblickbare Nebelsuppe übers Geschehen legt.

Und diese wenig klare Sicht unterstützt dann die Mär vom Eliten-Medium; das ist das Netz tatsächlich: für große Teile der Alten, für die Unterprivilegierten in den Least Developed Countries, der neuen vierten Welt. Das, was wir aber noch als Dritte Welt und technologisch hintendran eingebläut bekommen haben, steht in der Zwischenzeit in Greifweite: egal ob Schwellenländer oder die mit Unterhaltungs-Industrie gut versorgten Abgehängten des Westens. Vor allem die jüngeren Alterskohorten sind und leben bereits flächendeckend online, ganz egalitär und ganz ohne Berührungsängste

Die Dynamik der Gleichmacherei

Die Elite zeigt sich auch hier, wenn es um Einflussnahme, Zensurmaßnahmen und Content-Bestimmungen, also um Versuche der Strukturierung geht.

Dagegen sträubt sich (philosophisch gesehen) das - wie so oft versehentlich so entwickelte - Medium nicht aus reiner Renitenz, sondern weil es seine Natur ist, weil es gar nicht anders kann. Es ist per se antielitär, und (theoretisch) unglaublich gleichmachend, ganz tausendblumenblühen-maomäßig. Social Networks sind nur eine Ebene, aber eine folgerichtige und logische, weil sie die Dynamik der Netz-Kommunikation nutzen und deshalb aktuell die Pionier-Rolle einnehmen, mit der eine politische Nomenklatura der ganz alten Schule nicht zurechtkommt.

Ich würde nicht so weit gehen, die Zukunft der Demokratie an der Partizipation der Web-Bürger festzumachen - aber demokratiepolitisch ist das, was das Schwarm-Verhalten der Benutzer aktuell auslöst, ein wunderbares "Zurück in die Zukunft", eine seriöse Beteiligung am Geschehen, das für längere Zeit irgendwie ausgesetzt war.

Also auch wieder: das Gegenteil von elitär.

Hier ein Link zu einer Analyse einer durchaus glaubwürdigen Dystopie.

Die Rest-Angst die bleibt, ist durchaus verständlich: natürlich kann auch die weltweite Unterdrücker/Verkäufer/Kriegstreiber/Geschäftemacher-Fraktion, die sich alles untertan macht, irgendwie auch das Netz greifen und darüber dann erst recht wieder alle manipulieren - ich wüßte aktuell zwar nicht, wie das gehen sollte, aber bitte, Dystopia rules.

Eliten-Angst revisited

Nur: die Möglichkeiten des Mediums jetzt schon am worst case zu messen, finde ich ein wenig feige. Schließlich ist das Netz kein Atomkraftwerk, das im Kaputt-Fall ganze Landstriche entvölkert.

Die aktuellen Entwicklungen in Kairo verfolgt der Europäer im Netz am besten hier.

Das Netz hat erst angefangen, seine Strahlkraft zu entwickeln. Die Herstellung der Gutenberg-Bibel, die Mitte des 15. Jahrhundert die Weltordnung auf den Kopf stellte, Schismen und die Entdeckung der Welt nach sich zog und das Mittelalter beendete, dauerte drei Jahre und dann brauchte der Buchdruck noch einige Jahrzehnte um seine Wirkung zu entfalten. Ungeduldige Forderungen sind also unangebracht. Genauso wie unvorsichtige rückwärtsgewandte Ansagen - auch weil sie sich im digitalen Medienzeitalter innerhalb von Stunden selber lächerlich machen können.