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Johanna Jaufer

Revival of the fittest... aber das war noch nicht alles.

17. 2. 2011 - 11:56

"Alle waren furchtbar"

Nick McDonell hat sich als "embedded journalist" unter amerikanische Soldaten im Irak gemischt.

buchcover zu "das ende aller kampfhandlungen"

berlin verlag

"Das Ende aller Kampfhandlungen" ist in der Übersetzung von Heike Schlatterer im Berlin Verlag erschienen.

AO, FOB, MRAP. Area of Operation. Forward Operating Base. Mine-Resistant Ambush-Protected Vehicle.

Solche Abkürzungen sind die Haltegriffe im Alltag eines Soldaten. In zig Kurzkapiteln betrachtet Nick McDonell diesen Alltag. Hitze, Überfälle, Langeweile kommen zum Vorschein. Eine Charakterstudie zum prototypischen Soldaten nicht – keine Heldensagen, keine moralischen Anwürfe, nur die simple Erkenntnis:

Wirklich jeder, mit dem ich sprach, hatte etwas zu erzählen. Jeder hatte eine oder mehrere Geschichten, und alle waren furchtbar.

Der Autor lebt für einige Zeit an der Seite der Soldaten. Ist dabei, wenn die mit ihren Freundinnen zu Hause skypen und über ihre Beweggründe Auskunft geben: weil es der eigene Vater auch getan hat, weil man eine Familie durchbringen muss oder weil es das einzige ist, was man glaubt zu können. Die einen rauchen hektisch Kette, während sie am Gittertor vor dem Stützpunkt Wache schieben, die anderen rasten aus, umstellen mal lieber ein Haus zu viel – und alle müssen jederzeit mit dem Tod rechnen.

Eine Geschichte handelte von einem Sergeant, der durch einen Palmenhain ging, als plötzlich ein Aufständischer auftauchte, vielleicht knappe fünf Meter vor ihm, und eine Salve auf ihn abfeuerte, direkt auf seine Brust. Der Sergeant ging zu Boden, ihm blieb die Luft weg, aber die Schutzweste stoppte die Kugeln.

Über die Jahre haben sich die hermetisch abgeschirmten Militärstützpunkte zu Kleinstädten gewandelt. Die Infrastruktur ist enorm. Trucks führen das dreckige Toilettenwasser weg, internationale Fastfoodketten bieten die gleichen Hamburger an wie in Minnesota oder Rhode Island. Irakische Friseure sind eingemeindet und betreiben ihr Geschäft am Stützpunkt. Man hat sich an den Ausnahmezustand gewöhnt.

Wie groß die Gefahr für Leib und Leben dennoch jederzeit ist, flicht Nick McDonell unprätentiös in seine Alltagsgeschichten. Manche Reporterin verbringt problemlos sechzig Stunden die Woche in Bagdads gefährlichsten Gegenden, traut sich aber nicht in den Hinterhof ihres Hotels – das Geräusch der Generatoren dort erinnert zu stark an etwas, worüber sie kein Wort verliert. Externe Dolmetscher lassen sich lieber in der Wüste absetzen als vor die Haustüre zurückchauffieren – damit niemand mitbekommt, für wen sie arbeiten.

Die Dolmetscher stiegen schnell aus, luden die Sachen in ihre Autos und fuhren rasch weiter. Für die GIs war das Absetzen einfach und langweilig, doch für die Dolmetscher war es wichtiger als fast alles andere. Es war ein Wechsel von einer Welt in die andere.

Nick McDonell dringt behände ins Innere der brandgefährlichen Kulisse. Er selbst bleibt dabei unsichtbar, macht sich weder Hoffnungen noch Sorgen. Die gesamte Palette an emotionalen Schattierungen stellen die Soldaten, wenn sie mit speziell angefertigten Messern ihr Revier durchwandern, und später bei einer Schale Cornflakes und Kautabak abschalten. Bitter schmeckt diese Melange aus Alarmstimmung und Abenteuerspielplatz – doch das Leben geht weiter...

Während der Zeit des Irakkriegs führten wir auch einen Krieg in Afghanistan. Wie viele Journalisten und Soldaten zog ich von Bagdad weiter nach Kabul, um mir den Kriegsschauplatz anzusehen, der inzwischen im Mittelpunkt der Berichterstattung stand.