Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "A Tunisian Girl"

Claus Pirschner

Politik im weitesten Sinne, Queer/Gender/Diversity, Sport und Sonstiges.

10. 2. 2011 - 18:50

A Tunisian Girl

Die tunesische Bloggerin Lina Ben Mhenni erzählt über die Revolution, die noch nicht zu Ende ist.

Tunesiens Präsident Ben Ali hat nach wochenlangen Massenunruhen das Land am 14.Jänner verlassen, aber sein Regime ist nun noch Teil der Übergangsregierung. Die bisherige Staatspartei RCD musste ihre Büros schliessen, die Mitglieder dürfen sich nicht mehr versammeln. Das Parlament hat die Gesetzgebungskompetenz an das interimistische Staatsoberhaupt Foued Mebazaa übertragen. Internationale Medien berichten von der neuen Rede- und Pressefreiheit. Das Land scheint den Weg Richtung Neuwahlen eingeschlagen zu haben. Eine der zentralen Bloggerinnen der tunesischen Revolution, Lina Ben Mhenni, warnt allerdings vor voreiligen Jubelmeldungen.

"A Tunisian Girl" - so heißt der Blog der Tunesierin Lina Ben Mhenni. Jahrelang war ihr regimekritischer Blog in Tunesien verboten. Er konnte nur im Ausland gelesen werden. Nun ist er erlaubt. Fast täglich bloggt sie von Demonstrationen und den aktuellen Entwicklungen. Die 27-jährige Lina Ben Mhenni ist Dozentin für Linguistik an der Universität in Tunis. Die Polizei hat sie jahrelang beschattet. In das Haus ihrer Eltern wurde eingebrochen und Linas Computer und Kameras wurden gestohlen. Ein Jahr lang hat man ihr das Gehalt an der Universität nicht ausbezahlt. Unterkriegen hat sie sich nicht lassen: "All das hat mich nur bestärkt, weiterzumachen."

Lina Ben Mhenni

atunisiangirl.blogspot.com

Aktuelle Lage

Ich erreiche Lina Ben Mhenni Dienstag nachmittag am Handy, sie ist auf den Straßen von Tunis unterwegs. Gerade war sie wieder auf einer Demonstration. Erst am Wochenende kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen DemonstrantInnen und Sicherheitskräften in der Stadt Kef. Vier Menschen kamen dabei ums Leben. Wie erlebt Lina Ben Mhenni die aktuelle Lage in Tunesien? Die Lage sei mehr als kritisch, täglich höre sie von Anschlägen, Entführungen und Gewalt gegen unschuldige tunesische BürgerInnen: "Leute von der Partei des ehemaligen Präsidenten versuchen an der Macht zu bleiben. Sie gehen mit Gewalt vor. Sie haben eine Miliz, die Leute überall attackieren."

Konterrevolutionäre Kräfte würden nach wie vor Massenmedien kontrollieren. Es gäbe beispielsweise zwar Debatten mit DissidentInnen, aber Berichte über gewaltttätige Zwischenfälle, wo Polizisten involviert wären, würden zensuriert. Angesichts der vielen Menschenopfer - bislang gibt es mindestens 230 Tote - lehnt Lina den Begriff der Jasminrevolution, benannt nach der in Tunesien wachsenden duftenden Blume, ab: "Es ist nicht die Jasmin Revolution. Es ist die tunesische Revolution. Jasmin hat mit Romantik und Tourismus zu tun, aber das hier ist die Revolution der TunesierInnen, die ihr Leben verloren haben, damit die Revolution ein Erfolg wurde. Jasmin Revolution ist kein passender Name für unsere Revolution."

Lina Ben Mhenni

atunisiangirl.blogspot.com

Frauen in der Revolution

In ihrem Blog schreibt Lina Ben Mhenni: "Jeder, der irgendetwas von Geschichte verstanden hat, weiß, dass große soziale Veränderungen ohne den Aufstand der Frauen unmöglich sind. Sozialer Fortschritt kann an der gesellschaftlichen Position der Frau gemessen werden." Welche Rolle spielen Frauen in der tunesischen Revolution? In Ägypten sieht man hauptsächlich Männer am Tahrir Platz, aber in Tunesien, versichert Lina, machten Frauen die Hälfte der Demonstrierenden aus. Ihre Position sei noch die beste im Vergleich zu anderen arabischen Ländern. Tunesische Frauen hätten viele Rechte am Papier, viel davon sei aber im realen Leben nicht umgesetzt: "Okay, die tunesische Frau arbeitet. Wir haben keine Polygamie und so weiter. Aber die Situation ist nicht so gut wie sie scheint. Nur wenige Frauen sind in in Entscheidungspositionen."

Langer Atem

Es ist noch ein weiter Weg, bis das alte Regime weitgehend entmachtet ist. Lina reist in Tunesien unermüdlich landauf landab, um Demonstrationen und Übergriffe zu dokumentieren. Sie hofft, dass sich auch andere arabische Bevökerungen von ihren Diktaturen befreien. Sie vernetzt sich mit AktivistInnen international und wird nicht müde der Revolution zu einem nachhaltigen Erfolg zu helfen: "Wir müssen aufpassen wegen den konterrevolutionären Kräfte. Wir müssen weiter Druck ausüben, um sie los zu werden."