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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

12. 2. 2011 - 15:06

Genie stiehlt

Mantrahaft heraufbeschworen und dennoch eingetroffen: Wie zu erwarten war, ist das Debütalbum von James Blake eine ziemlich großartige Platte geworden. Das erste - man kann das so sagen - essenzielle Album des Jahres. Das FM4-Album der Woche.

Anmerkung: Philipp L'heritier hat bereits einen Text zum Thema "James Blake" in The Gap veröffentlicht.

"The Wilhelm Scream" ist jetzt also - ähnlich wie Blakes Variante von Leslie Feists "Limit To Your Love" - bloß auch nur eine Art entschlackte und umgebaute Coverversion. Der loophaft wieder und wieder wiederholte Text und die Melodie in der eingängigsten und poppigsten Nummer auf dem Debütalbum von James Blake sind großzügig aus der Anfangspassage des Stücks "Where To Turn" von James Litherland, einst Mitglied der englischen Prog-Rocker Colosseum - nun, ja - übernommen. Ein Song, der übrigens von Blakes Vater produziert wurde und sich so ins Gedächntis des jungen englischen Produzenten eingebrannt hat.

Eingestanden hat James Blake diese - hat man es erst einmal nachgehört - überdeutliche Inspiration zum ersten Mal erst vor wenigen Tagen, in der Radioshow von DJ und Moderator Zane Lowe auf BBC One: Es wäre jetzt schön langsam an der Zeit, dass die Menschen auch den Urprung von "The Wilhelm Scream" zu hören bekommen. Davor war davon noch keine Rede gewesen, obwohl das Stück schon einige Zeit durch die Welt geistert und von Blake - im öffentlichen Rahmen - zur Aufführung gebracht worden ist - in den Linernotes im Booklet sind die Songwriting Credits einzig Blake zugeschrieben. Nun ist "The Wilhelm Scream" die aktuelle Single von James Blake (inklusive wunderbar verhuschtem Video) mit dem Künstler selbst im Zentrum, und man kann auch mit wenig ausgeprägten prophetischen Qualitäten vermuten, dass er seine Quelle jetzt nicht aus purer Lust und Nächstenliebe offengelegt hat, sondern, dass rechtliche Unannehmlichkeiten und die Aufdeckung durch andere Parteien im Raum gestanden sein werden.

JAmes Blake

James Blake

FM4 Album der Woche

Macht das das nach dem Künstler selbst bedeutungsschwanger "James Blake" betitelte Album schlechter? Ein bisschen. Man kann hier sicher wieder mit den schönen Argumenten von Intertextualität, vom Zitieren und Samplen hantieren - hätte der junge Mann verraten, wo er denn sein herrliches Lied zusammengestohlen hat, es hätte ihn sympathischer gemacht. Dennoch ist "The Wilhelm Scream" ein anderes Stück Musik als "Where To Turn" und selbst die Tatsache, dass das Grundmotiv nicht James Blakes Geist entsprungen ist, kann dem merkwürdigen Glanz von "James Blake" - dem Album - nur wenig nehmen. Der Reiz von James Blake und seiner Musik ist auch das Schleierhafte: Da macht der junge englische Produzent, der eigenen Angaben zufolge erst vor rund zweieinhalb Jahren begonnen hat, sich überhaupt für elektronische Musik zu interessieren, innnerhalb von nur einem Jahr vier dezent die Welt umkrempelnde 12"s, die noch irgendwie in der weiten Welt von Dubstep verankert sind, und lässt dann auf seinem Debütalbum den Dubstep so gut wie komplett in der Ecke stehen und versucht sich an Annäherungen an elektronisch unterfütterten Folk und Soul. James Blake jongliert mit Versatzstücken, ist ein Faker, zu geil für diese Welt, man könnte meinen, Malcom McLaren hätte sich diesen schönen Burschen ausgedacht, der alles kann.

James Blake

James Blake

"James Blake" kokettiert damit, dass hier eigentlich "so wenig" geschieht, und nicht die allerorts erwartete Wagenladung Genialität stattfindet. 11 Stücke, die man nicht immer "Song" nennen kann, in weniger als 40 Minuten. Fragmentarisches Piano-Geklimper, die Stimme von Blake steht im Zentrum, meist mit Effekten beladen, einzig auf "Limit To Your Love" und "Give Me Month" tritt sie nackt ans Ohr. Knacksen, Rauschen und Rumpeln, das da und dort dann noch wieder immerhin zaghaft bei Dubstep andockt, immer wieder Stille und Auslassungen. Die Platte zelebriert - ein bisschen eitel - eine Aura des Unperfekten: James Blake, behauptet er immerhin, hat für das Album nur erste Aufnahme-Takes der Stücke verwendet. "Why Don't You Call Me" hat er ins Diktaphon eingesungen.

James Blake

James Blake

"James Blake" von James Blake ist bei Atlas/Polydor/Universal erschienen

Der allerorts heraufbeschworene Crossover zwischen den Kulturen wird mit dieser Platte nicht gelingen. James Blake scheint noch nicht so recht zu mögen. Wieder und wieder hören wollen wird man "James Blake" aber trotzdem. Man sieht sich mit dem süßen Gefühl konfrontiert, dass etwas fehlt. "James Blake" ist Popmusik nicht aus der Zukunft, aber immerhin aus einer schön derangierten Gegenwart, Songwriting als bruchtstückhafte Versuchsanordnung und ein simpel wie neuartig tönendes Sound-Gewand. Aus einem Eisblock ausgesägte Musik in HiFi-LoFi.

Wer durch Blakes Bekenntis über die Herkunft von "The Wilhelm Scream" schon sein Hoffen auf ein neues Genie getrübt sah, konnte nur wenige Minuten später, ebenfalls in der Show von Zane Lowe, zumindest teilweise Versöhnung finden - in Form einer von James Blake allein am Klavier vorgetragenen, markerschütternden Coverversion von Joni Mitchells "A Case Of You", die wohl nur Menschen mit Nerven aus Kalk nicht darüber nachdenken lässt, wie schön es wieder einmal wäre, zu einem Lied eine Träne zu verabschieden. Wo möglicherweise eine Zukunft von James Blake liegen kann: In der Verkörperung eines nach den Vorbildern Elton John/Billy Joel geschnitzten Piano Mans. Ein paar eigene Lieder werden im noch einfallen, Interpret ist er jetzt schon ein außerweltlicher.