Erstellt am: 12. 2. 2011 - 17:18 Uhr
Schöne Fassaden

Ulli Gladik
"Natasha"
ist am 21. Februar, 20 Uhr, Augartenspitz (im Widerstandszelt) zu sehen.
Zwei Jahre lang sitzt Natasha Kirilova vor der Stadtpfarrkirche in der Grazer Herrengasse. Passanten hält sie eine Fleischverpackungsuntertasse hin. "Bitte, Madame". Sie hasst das Betteln, sagt sie Filmemacherin Ulli Gladik, die eine Doku über sie dreht. Heute ist Kirilova nicht mehr in der Stadt. Geht es nach der steirischen ÖVP, sind bald überhaupt keine BettlerInnen mehr in Graz und auch nicht in der Steiermark zu sehen. Für ein generelles Bettelverbot hat die ÖVP vergangenen Mittwoch einen dementsprechenden Gesetzesentwurf vorgelegt, und im Unterausschuss des Landtags hat die SPÖ zugestimmt.
Kommenden Dienstag soll die Gesetzesnovelle zum generellen Bettelverbot im Landtag beschlossen werden. Während sich die Stadt Graz am 8. Februar 2001 zur "Menschenrechtsstadt" erklärte, nimmt sie beinahe exakt zum Zehn-Jahre-Jubiläum ein Stück Abstand.
Aggressives Betteln und das Betteln von Kindern sind bereits verboten, doch immer noch beschäftigt das Thema die Grazer Medien.
In vielen Artikeln wird unterschwellig eine kriminelle Organisation unterstellt, die es laut Polizei weder gab noch gibt. Permanent läuft eine Kampagne, mit verpixelten Gesichtern. Die "Kronen Zeitung" geht in einem Artikel von letzter Woche sogar so weit, die slowakischen Roma, die von Pfarrer Wolfgang Pucher betreut werden, gegen bulgarische Roma auszuspielen: die wären es nämlich, die in der Innenstadt betteln würden.
Für die ÖVP kann eine "sinnvolle und administrierbare Lösung nur ein generelles Bettelverbot sein". Gemeinden können Ausnahmeregelungen verordnen. Soziale Abfederungen für Betroffene würde es geben - welche konkret, ist noch unklar.
Bereits 2006 bemühte sich die ÖVP im Gemeinderat um eine Bettelverbot für Graz. Damals ist man gescheitert.
"Es hat sich durchgesetzt, dass Betteln kein schützenswertes Kulturgut ist", sagt der steirische ÖVP-Klubobmann Christopher Drexler. Ein Kulturgut, ja sogar von der UNESCO als Weltkulturerbe geschätzt, ist hingegen die Grazer Altstadt. Den Anblick eines auf seinen Füßen bei eisiger Kälte knienden Mannes lenkt da ab und ist schwer erträglich. Soll man ihm Geld geben oder nicht?
"Ja, natürlich", findet die Filmemacherin Ulli Gladik. "Das ist die einzige Möglichkeit der Leute, sich selbst zu helfen." Eine, die sich selbst geholfen hat, ist Natasha Kirilova. Heute ist sie 34 und zurück in Bulgarien.
Zurück in einem Zuhause
Natasha Kirilova wohnt in der Kleinstadt Bresnik nahe Sofia. In ihrer Straße wohnen mehrere Roma-Familien. Vor 1989 begann die Familie mit dem Bau eines Hauses, nahm einen Kredit auf. Wie viele verloren sie durch den Transformationsprozess ihre Arbeit und fanden keine neue. "Rund um Sofia habe ich Slums gesehen, wo ganze Familien in kleinsten Behelfnissen wohnen. Bei minus zwanzig Grad im Winter. Sie verbrennen Müll und alte Autoreifen, kaum jemand wird älter als vierzig", erzählt Gladik von ihren Recherchen. Es sind vor allem Roma, die in großer Armut leben. Sie werden extrem drangsaliert, von Sozialleistungen ausgegrenzt, bei Ansuchen schickt man sie oft weg. In Schulen werden die Kinder nicht mehr genommen, wenn sie ungewaschen und medizinisch schlecht versorgt werden. "Da helfen dann auch keine kleinen Sozialprojekte mehr", sagt Gladik.
Sozialprojekten steht die Filmemacherin kritisch gegenüber. Man mache ein Bettelverbot und ein kleines Sozialprojekt, so würden Politiker argumentieren. In Hostice ist sie noch nicht gewesen. Aus dem slowakischen Dorf kommt seit fünfzehn Jahren ein Gutteil der Menschen, die in Graz betteln. Pfarrer Wolfgang Pucher hat erst Schlafstellen geschaffen und bemüht sich um Möglichkeiten, die soziale Lage in Hostice selbst zu verbessern. Es gibt kleine Projekte wie die Produktion von Nudeln, die in österreichischen Supermärkten verkauft werden. Pfarrer Pucher hält von Anfang an die Hand über die Roma aus Hostice. Er war es auch, der letztes Wochenende eine Petition gegen das drohende Bettelverbot ins Netz stellte. Doch die Klick-dabei-und-auch-dagegen-Zivilcourage kommt wohl zu spät.
Und wie geht es Natasha Kirilova? Sie will mit den Frauen ihrer Familie Taschen nähen, wie sie es beim Arbeitsprojekt "Heidenspass" in Graz gelernt hat. Vermittelt hat Ulli Gladik. Noch gibt es Probleme, das richtige Material in Bulgarien zu bekommen. Kirilovas Schwester ist mit einer Arbeitsgenehmigung zurück in Graz, sie lernt das Nähen bei "Heidenspass".
Unbürokratisch umverteilen?

Radio FM4
Betteln will Natasha Kirilova nicht mehr. Die Monate und Wochen, die sie und ihre Familie auf Grazer Straßen verbracht haben, haben die Kreditraten bezahlt. Die Familie ist nicht obdachlos geworden. "Alle GrazerInnen, die Natasha Geld gegeben haben, trugen bei, dass ihr Sohn und ihre Neffen weiterhin die Schule besuchen. Die Familie durfte ihr Häuschen behalten, sie haben jetzt sogar ein Dach", sagt Gladik. Bislang war das Haus nur provisorisch gedeckt. Zwölf Menschen leben darin.
Betteln ist eine einfache und unbürokratische Möglichkeit der Umverteilung, so sieht es die Filmemacherin. Österreich trage Verantwortung: "Österreichische Firmen haben in Osteuropa profitiert und vom Transformationsprozess sehr gewonnen." Die Krise hat sich in Osteuropa viel stärker ausgewirkt. In Rumänien wurde die Sozialhilfe gekürzt, in Bulgarien bekommt ein Langzeitarbeitsloser zwanzig Euro im Monat. Ulli Gladik engagiert sich in der "Bettellobby Wien", die die Berichterstattung zur Thematik hierzulande dokumentiert und die soziale Lage von BettlerInnen recherchiert. "Wenn die Wirtschaft gut geht, sind Roma billige Arbeitskräfte. Sobald es wieder schlechter läuft, werden sie zu Sündenböcken."
Was fehlt, sind vor allem europaweite Sozialstandards. "Die müssten eingeführt werden. Damit ein Behinderter europaweit so viel Geld vom Staat bekommt, so dass er sich nicht auf die Straße setzen muss“, so Gladik. Ein Bettelverbot wird die Armut nur verschieben. Für schöne Fassaden. Lösung ist es keine.
Update: Demo gegen geplantes Bettelverbotsgesetz in Graz
35 Personen aus dem Kunst- und Kulturbereich und aus sozialen Vereinen haben am Samstag Vormittag, den 12.2.2011, eine Spontandemonstration in Graz organisiert, um in letzter Minute Einfluss auf die Entscheidung im Landtag zu nehmen. Für die sogenannte "Niedersetzung" haben sich 124 Vereine und Initiativen zu einer überparteilichen Plattform zusammengeschlossen. Via Facebook rief man zum Sit-In auf. Motto: "Wir setzen uns nieder".
Kalt wurde einem bereits in den zwei Stunden, in denen sich die lose Sitzreihe vom Landhaus bis kurz vor den Hauptplatz bildete und wieder auflöste. Im Nieseln sitzt es sich noch unbequemer auf Pflastersteinen, stellten die Protestierenden schnell fest. Groß war die Bandbreite jener, die sich gegen die zu beschließende Verschärfung des Landessicherheitsgesetzes aussprachen: Von "Pax Christi" bis Lendwirbel schlossen sich Bewegungen und Initiativen dem Protest an. Ein Polizist schätzt die Zahl der demonstrierenden Personen auf 500, die Veranstalter geben 800 und 1000 Demonstrierende bekannt.
So leicht kamen GrazerInnen und einige angereiste SteirerInnen selten ins Gespräch mit BettlerInnen. Einigen DemonstrantInnen ging es um mehr, als um das drohende Bettelverbot, das die BettlerInnen aus der Slowakei und Bulgarien schwer treffen könnte: Sie sprachen sich für einen freien, öffentlichen Raum aus. Manche Demonstranten sorgten sich um die Umsetzung der geplanten Gesetzesnovelle: "Wir wissen ja auch, dass selbst aus einem gut gemeinten Gesetz in der Umsetzung Fehler passieren - das muss man sich bei dem einmal vorstellen. Wenn mein Sohn am Bahnhof jemanden um Geld fragt, um anrufen zu können, bedeutet das, dass er genau genommen bettelt und das strafrechtlich relevant ist", meint ein besorgter Vater.