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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

9. 2. 2011 - 12:02

Regeln sind für Weicheier

Es ist mir unerklärlich, wieso es meinen Freunden so schwer fällt, sich in Österreich an Regeln zu halten. Sie gehen bei Rot über die Straße, schnallen sich nie im Auto an und ich kenne keinen, der seinen Müll trennt.

"Regeln sind für Weicheier", meint mein Freund Emil – ein Bildhauereistudent auf der Angewandten. Jeder, der sich in seinem Auto anschnallt, wird ausgelacht. Nicht nur das – Emil fährt immer halbnackt, trinkt dabei gerne Whiskey und wenn er an einer Kreuzung hält und neben ihm ein Auto mit einer schönen Fahrerin steht, lehnt er sich aus dem Fenster und schreit kräftig mit einem starken slawischen Akzent: "Ich mache dir drei Kinder!".

Da Emil für eine Weile ziemlich knapp bei Kasse war und mit 30 bis 40 Euro im Monat leben musste, hat er den Supermarkt nebenan jeden Tag beklaut – in seinem Hosenbund verschwanden Kaviar, der teuerste Gouda und Meeresfrüchte. Ohne Geld ernährte er sich wie ein König. Nur einmal geriet er in Schwierigkeiten – am 6. Dezember, dem Nikolaustag. Der Heilige Nikolaus ist, anders als der österreichische Nikolo, in Bulgarien der Beschützer der Fischer. Deswegen isst man am 6. Dezember immer Fisch – einen gefüllten Karpfen mit Reis und Walnüssen. Da es aber in den österreichischen Supermärkten keinen Karpfen gab, nahm sich Emil eine Forelle und steckte sie schnell in seine Hose.

Irgendjemand vom Personal hat ihn gesehen und so packte ihn ein Sicherheitsangestellter unter dem Arm und brachte ihn ins dunkle Zimmer hinter der Feinkostabteilung. Da rief er mich an, ich sollte so schnell wie möglich kommen, um die Situation zu klären. Ich kam zur gleichen Zeit wie die Polizei. "Was ist das Problem?", fragte der Beamte. "Eine Forelle im Hosenbund", erwiderte die Supermarkt-Security. Der nette Polizist brach in Lachen aus und riet Emil, sich selber welche aus der Donau zu fischen.

Das zweite Mal als ich mit der Wiener Polizei zu tun hatte, war nach einer Schlägerei auf einer Bulgarenparty in einem Studentenheim. Der geeignete Zeitpunkt bei solchen Partys nach Hause zu gehen, liegt zwischen der Turbofolkmusik und der Schlägerei. Auf der Party war ziemlich viel los – während sich zwei Freunde von mir mit dem Feuerlöscher besprühten, versuchte ein dritter, den Bierautomaten im Gang mit einem Einkaufswagen zu hacken, indem er den Wagen mit aller Kraft gegen den Automaten prallen ließ. Irgendwann geriet alles außer Kontrolle und die Party verwandelte sich in eine Massenschlägerei. Am nächsten Tag, als die Beteiligten eine Erklärung bei der Polizei abgeben sollten, war ich wieder als Dolmetscher im Einsatz – alle wollten so schnell wie möglich die Schlägerei und die Gründe dafür vergessen, alle waren wieder Freunde, bis zur nächsten Party.

Bulgaren fahren immer schwarz, zahlen keinen Eintritt für Events und stehen dabei immer direkt vor der Bühne. So zum Beispiel beim Novarock, zu dem wir zu dritt fahren wollten und insgesamt 3 Euro besaßen. Durch eine Cowboy-Strategie kann man den Schaffner im zweistöckigen Zug immer ausschalten – wenn er im ersten Stock die Fahrkarten kontrolliert, sind wir im zweiten und umgekehrt. Einen Weg über den Zaun auf dem Festival findet man immer und so konnten wir mühelos mit Eddie Vedder (der sich übrigens '94 eine Kugel in den Kopf jagen sollte) und seiner Band abrocken.

"Regeln sind für Weicheier", meint mein Feund Emil und ich stimme ihm manchmal zu. Durch Regeln wird die Zivilisation aufgebaut, von der wir uns im Osten immer noch ganz weit weg befinden. Der russische Filmregisseur Nikita Michalkow sagte neulich in einem Interview: "Die Zivilisation hat den Menschen dazu gebracht, nicht mehr das Leben und den Tod zu respektieren. Alles was wir früher aus unserem Herzen gemacht haben, wird heutzutage durch eine kalte Höflichkeit und eine Handvoll Regeln ersetzt. Wir haben vergessen, dass menschliche Gefühle und Spontanität das Wichtigste auf der Welt sind."