Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Vom Überleben in der Metropole"

Andreas Spechtl

Ist Sänger der Band "Ja, Panik" und lebt in Berlin.

5. 2. 2011 - 12:35

Vom Überleben in der Metropole

VI. Der Tratsch und das Gelächter

Die Bodenlosigkeit des Geredes versperrt ihm nicht den Eingang in die Öffentlichkeit, sondern begünstigt ihn. Das Gerede ist die Möglichkeit, alles zu verstehen ohne vorgängige Zueignung der Sache. Das Gerede behütet schon vor der Gefahr, bei einer solchen Zueignung zu scheitern. Das Gerede, das jeder aufraffen kann, entbindet nicht nur von der Aufgabe echten Verstehens, sondern bildet eine indifferente Verständlichkeit aus, der nichts mehr verschlossen ist. Martin Heidegger, Sein und Zeit

Es gibt Dinge, die liegen unserer Heldin am Herzen, Dinge die sie beschäftigen und ihre Gestimmtheit beeinflussen. Sie hat versucht davon zu erzählen, hat versucht zu erzählen, wie es ihr wann wo ging. Sie wollte mit jemandem reden und schweigen, also reden und zuhören. Doch das Geredete hat sich verselbstständigt. Es ist ihr aus dem Mund gepurzelt und anstatt dass ihr Gegenüber es aufgefangen, abgeputzt und ihr wieder in den Mund geschoben hätte, hat er es heimlich eingesteckt. Sie hat dann lange danach gesucht, im Wohnzimmer, im Flur, beim Bäcker und an der Bar, aber es war nicht mehr aufzufinden. Und dann plötzlich, es war schon späte Nacht, klopft es an ihrer Tür. Zögerlich öffnet sie, vor ihr steht zerlumpt: der Sinn ihrer Rede zum Tratsch amputiert. MAN hatte ihn in der Mangel und ihr nun vor die Haustür gekotzt.

Schockiert und etwas angeekelt betrachtet sie ihre verstümmelte Herzensangelegenheit von oben bis unten und weiß beim besten Willen nicht, wie sie mit dieser, für beide Seiten unangenehmen Situation umgehen soll. Sie beschließt ihn hereinzubitten und sagt: "Na kommt halt rein, Tratsch, ich mach uns eine Kanne Tee und dann reden wir über alles. Du hast mir doch bestimmt einiges zu erzählen." Und so trollt sich das kleine Häufchen Elend unsicher auf ihr Fauteuil und schlürft unappetitlich an dem noch viel zu heißen Tee.

zwei tratschende Frauen

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Wer im Miteinanderreden schweigt, kann eigentlicher "zu verstehen geben", d.h. das Verständnis ausbilden, als der, dem das Wort nicht ausgeht.

"Ich muss dir was sagen", meint der Tratsch nach einer Weile, "ich würde gerne schweigen, aber ich habe aufgehört es zu probieren". "Ich weiß", antwortet unsere Heldin, "mach dir keinen Kopf, ich weiß es schon, du hast mich betrogen, du hast mit MAN geschlafen und meine Liebe zu dir verraten. Aber du siehst ja, was aus dir geworden ist. Du warst einmal ein schöner und anmutiger Gedanke, eine Geschichte, an der mir so viel lag, dass sie eigentlich zu schade war, um erzählt zu werden, eine unerzählbare Geschichte warst du, das habe ich zu spät bemerkt. Ich wollte dich teilen und habe dich verloren. Ich hab dich selbst in seine Arme getrieben. Jetzt stehst du vor mir und ich tu mir schwer dich nicht aus dem Haus zu jagen. Ich kann sein Eau de toilette noch riechen. Es ist ein scheußlich billiger Duft, den MAN trägt."

Das bodenlose Gesagtsein und Weitergesagtwerden reicht hin, dass sich das Erschließen verkehrt zu einem Verschließen.

Sprechblase mit Text: Bla, bla

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Beschämt sieht der Tratsch sie an und sagt, "ich habe den Boden unter den Füßen verloren, ich weiß gar nicht mehr, wo ich herkomme, bitte hilf mir. Ich weiß, wir zwei, wir gehören zusammen, wir sind füreinander bestimmt". Aber sie kann es spüren, da wird nichts mehr gehen. Er hat sich der Welt hingegeben und zwar keiner bestimmten, sondern der allerdurchschnittlichsten. Damit ist das von ihm abgefallen, was sie an ihm geliebt hat, das Besondere, das "In-ihren-Augen", es gibt jetzt nichts mehr über ihn zu sagen, denn es wird von ihm gesprochen. Von dem, was sie so nur in diesem einen Moment sagen konnte, spricht MAN nun in der ganzen Stadt. Und sie weiß, erst jetzt ist ihre Geschichte wirklich unerzählbar geworden, aber dafür, quasi zum Trost, kennt MAN sie von nun an in- und auswendig.

Noch während sie mit den Tränen kämpft und nach einer passenden Antwort sucht, schaltet Tratsch den Fernseher ein und sagt, "guck mal, ich bin heute sogar in der Tagesschau". Sie schluchzt, "und wer ist die Göre da neben dir?" "Eine alte Freundin, sie nennt sich Gelächter."

MAN spricht darüber: noch 70 Tage bis DMD KIU LIDT