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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

3. 2. 2011 - 22:00

Journal 2011. Eintrag 28.

Following the Money Sequence - über die Relationen von Reichtum und den neuen Zeitgeist.

2011 ist, wie zu erwarten war, wieder ein Journal-Jahr wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
Das bedeutet, wenn man das Fußball-Journal '11 dazurechnet: es gibt wieder einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inclusive.

Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Hinweis auf "Zeitgeist; Moving Forward" und einem Zusatz von Paul Krugman.

Es gibt ja wenig, was ich noch mehr verachte als Dummheit und Wurschtigkeit: das Spinnen von geistlosen Verschwörungstheorie-Fäden gehört aber eindeutig dazu. Deshalb gehen mir die zahllosen, vor allem im Netz kursierenden Clips, die diverse finstere Mächte für alles, was gut und teuer ist, verantwortlich machen, auch ordentlich am Arsch vorbei.

Die diffuse, mittlerweile auch großteils inhaltliche widerlegte 08er Netz-Doku Zeitgeist von Peter Joseph etwa. Die beschreibt zuerst, dass Jesus keine historische Person ist (oh, nein!), erklärt dann dass die katholische Amtskirche einem beinharten Geschäftsmodell folgt (was, wirklich?!), und erklärt danach, dass sämtlich Kriege der letzten hundert Jahre (und natürlich auch 9/11) allesamt vom internationalen Bankierswesen losgetreten wurden.
Nun kann man derlei Halbgares im in diesen Hinsichten (religiöser Fundamentalismus, das Lostreten von Weltkriegen) alles gelassener sehenden Europa natürlich schwerer loswerden - trotzdem reichte es für einige schlackende Ohren im Subproletariat der Aufmerksamkeits-Ökonomie.

Zeitgeist: Moving Forward

Im Jänner hat Joseph wieder einen Film veröffentlicht, wieder nur im Netz, und wieder greift er eines der Themen an, die sich deshalb mit bald zwei Millionen Zugriffen brüsten können, weil sie im Mainstream nicht ernsthaft genug besprochen werden: in Zeitgeist: Moving Forward geht es um die Unsinnigkeit unseres derzeitigen ökonomischen Systems, der "money sequence", und plädiert für eine ressourcenbasierte Wirtschaft, die auf Basis einer sozialen Organisation funktionieren soll, also nach einer life sequence funktionieren soll.

In vielleicht interessantesten Teil des Film, seiner sehr langen und ausführlichen Einleitung lässt Joseph etliche Experten den Menschen als soziales Wesen erklären und da vor allem den Mythos vom kriegs- und konfliktlüsternen Wilden zugunsten eines nach Gemeinschaft dürstenden Friedliebers ausräumen. Der Schmäh von der "human nature", das legt dann der Rest des Films auch recht schlüssig dar, dient hauptsächlich dazu aus den dadurch entstandenen Problemen Profite zu schlagen.

Doku-Denklego auf der Meta-Ebene

Das ist nun von mir aus auch ein wenig naiv im Grundansatz, aber durchaus vergnüglich argumentiert und in schlauen Denk-Kaskaden arrangiert; und es vermeidet auch die platten, von virtuellen Fledermausflügelschlägen untermalten Verschwörungs-Theorien seiner Vorgänger, verzichtet auf plakative Rundumschläge, sondern verlegt sich aufs Nachdenken auf einer Meta-Ebene.

Damit fiele eigentlich auch die bislang vielleicht sogar legitime Ausrede der Mainstream-Media, sich nicht mit den Zeitgeist-Filmen auseinanderzusetzen, weg. Trotzdem passiert es wieder: die Blogosphere diskutiert, Mainstream-Media schaut weg. In Österreich sowieso, aber auch weltweit.

Dass die Mainstream Medien mit ihrer idiotischen Nichtbeschäftigung mit den interessanten Netz-Phänomenen und dort kursieredem Denkfutter dem Verschwörungstheorientum Vorschub leisten, fällt letztlich wieder auf sie zurück - bleibt also in seiner Schuldhaftigkeit unverständlich

Dabei sind die Erkenntnisse von Peter Joseph nichts, was man verschweigen müsste und auch nichts, was sonst nicht auftaucht - es kann also nur am Medium oder an der michaelmooresken Umsetzung liegen; so eine Art Penis-Neid im Wikileaks-Format.

Paul Krugmans Ökonomie-Vergleich

Am selben Tag, an dem mich ein wenig verschwörerisches Mail mit dem Link zum Zeitgeist-Film erreicht, erzählt mir der Newsletter eines Blogs von einer hübschen Analyse von Paul Krugman, dem George Clooney der US-Ökonomen. Krugman relativiert in einem Blogeintrag für die NYT da die Schmäh-Daten, mit denen sich die US-Wirtschaft über die der Europäer stellt; und zwar so elegant, dass die Milchmädchen blass werden.
Sowohl die Arbeitsmarktpartizipation im Kernerwerbsalter als auch der Beitrag zum BIP pro Arbeiter pro geleisteter Arbeitsstunde unterscheidet Europa nicht von den USA. Den Unterschied machen die Randzonen: die Jungen studieren und lernen länger anstatt früh in den Arbeitsprozess einzusteigen; die Tagesarbeitszeit ist ein wenig kürzer, es gibt etwas längeren Urlaub und ein paar Jahre früher Rente.

Fazit: die Leistungsfähigkeit ist diesselbe - durch den Verzicht auf die paar Prozent, die durch die erwähnten Maßnahmen zusammenkommen, nimmt aber die Lebensqualität unverhältnismäßig zu. Das äußert sich dann in Faktoren wie den deutlich geringeren sozialen Unterschieden, der besseren Gesundheits-Vorsorge, besseren sozialen Netzen, schwächerer Konkurrenzierung und deutlich geringerer Kriminalität.

Innen-Diskurs vs. Außen-Attacke

Krugman argumentiert damit wie "Zeitgeist; Moving Forward" in der Light-Version. Während dort gleich der gesamte Mess-Apparat und die (von Locke und Adam Smith vorbereitete) Philosophie der Gottgegebenheit von Besitz in Frage gestellt wird, kratzt Krugman dezent an den goldenen Kälbern der zeitgenössischen Ökonomie-Diskussion. Er bewegt sich damit innerhalb des Systems und geht den Diskurs von innen an - während Josephs Zeitgeist-Projekt es von außen attackiert.

Beide Positionen sind legitim - beide sind aber auch einer Darstellung würdig, und zwar in den dafür zuständigen Wirtschafts-Medien oder in den Feuilletons. Da beides in Österreich nicht existiert, fällt natürlich auch diese Debatte wieder einmal flach.