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Martina Bauer

Geschriebenes und zu Beschreibendes. Literatur und andere Formate.

4. 2. 2011 - 17:17

Schönheit, Jugend, Liebe, Vergänglichkeit

Michael Cunninghams "In die Nacht hinein" wirft drei Spotlights aus: Auf den midlife-crisis geschüttelten Peter, seinen adonisgleichen Schwager Missy und die schönen Künste.

Michael Cunninghams "In die Nacht hinein" ist in der Übersetzung von Georg Schmidt im Luchterhand Literaturverlag erschienen.
Leseprobe

"The Hours" ("Die Stunden"), Cunninghams pulitzerpreisprämierter Bestseller, konnte mich in Buchform wesentlich weniger begeistern als seine wunderbare Verfilmung mit Meryl Streep, Julianne Moore und Nicole Kidman. Auch die ersten Kritiken, die mich von „In die Nacht hinein“ erreichten, waren durchwachsen. Dennoch - irgendeine Anziehung wirkte das Buch auf mich aus. Und jetzt bin ich Fan.

buchcover in die nacht hinein von michael cunningham schwarze tulpe auf beigem hintergrund

Luchterhand Verlag

Zuerst war es wahrscheinlich nur die Welt, in die der Roman führt. Eine, die ich seit Siri Hustvedts "Was ich liebte" verlassen musste. Die Kunstszene von New York.
Was Hustvedt wie Cunningham zudem wunderbar eint: sie beherrschen es, eine feine zweite, intellektuelle Ebene einzuziehen (was im übrigen auch Anne Rice´ frühe Vampire-Chronicles auszeichnet, wie ich niemals müde werde zu betonen). Dieses Anreißen anderer Themen, die nachgelesen werden wollen. Wenn ein Buch ein Dutzend mehr nach sich zieht.

Standort

"In die Nacht hinein" präsentiert folgende Grundkonstellation: Peter und Rebecca Harris (sie geborene Taylor) sind Mittvierziger, in Soho lebend und Kunstmenschen. Er Galerist, sie Magazinmacherin. Die Tochter hat das Weite gesucht, und so steht ihr Zimmer für Rebeccas Bruder Ethan zur Verfügung, der sich als Besucher ankündigt. Ethan allerdings nennt ihn kaum jemand; man bevorzugt Missy von Missgeschick.

Michael Cunningham, Jahrgang 1952, wuchs in Pasadena, Kalifornien, auf. Er lebt in New York City und unterrichtet Creative Writing an der Columbia University. "In die Nacht hinein" ist sein sechster Roman.
Cunningham lehnt es übrigens ab, als „gay writer“ schubladisiert zu werden; es sei nicht sein einzig bestimmendes „Lebenscharakteristikum“, er sei ebenso "American, white or tall".

Dieser Junge, ein Nachzügler der Taylorschen Familie, ist vielgeliebt, hochbegabt und immer am Rande eines Abgrunds. Ein Adonis und Lebemann, der, nur knapp dem Drogenfiasko entronnen, gerade von Japan zurückgekehrt ist, wo er in einem Heiligtum in den Bergen gewissermaßen Erleuchtung suchte.
Peter und Rebecca soll es nun zufallen, Missy bei der Findung eines neuen, endlich stabilen Lebenswegs behilflich zu sein. Was so leicht nicht ist, denn im Grunde sind sie selbst nicht auf diesem Weg.
Ihre Ehe ähnelt einem gewohnheitsgeprägten Nebeneinanderher, flankiert von Parties, Ausstellungen, Alltag. Tochter Bea treibt sich entgegen aller Hoffnungen als Kellnerin in Boston herum, jegliche Kommunikation mit ihr stellt sich als Drahtseilakt dar und Peter steckt ohnehin mitten in der Alterskrise.

Stimmungslage

Dahinein also platzt Missy und treibt Peter in eine Art Taumel. Erinnert seinen Schwager an Schönheit, Jugend, Begehren, Besitzen-Wollen und Aufregung. Dieses romantisch Große in Leben, in dessen Angesicht alles andere verblasst. Peter verliert und verliebt sich. Nicht zu Missys Unnutzen.

Cunninghams Roman lebt von seinen eindrucksvollen Beschreibungen - allen voran den libido- und rauschmittelgetriebenen - sowie natürlich der Kulisse von New York samt Kunstaspekt. Sehr schön auch, dass Dialoge oftmals mit den darunterliegenden Gedanken Peters gebrochen sind, aus dessen Sicht der Roman ja erzählt ist. Alles in einen weichen und ironischen Stil gepackt.

Nicht ganz so gelungen sind - zumindest in der deutschen Übersetzung - immer wieder auftauchende Schachtelsätze, die ein nochmaliges Lesen erfordern.
Sowie ab und an ein Zuviel des Arty-Name-Droppings; was mitunter ein möglicherweise ärgerliches Nachschauen-Müssen zur Folge hat.
Einige Stellen schienen langgezogen, vielleicht war ich aber auch nur zu ungeduldig in der Erwartung des Ausgangs.

Michael Cunningham portrait foto in weissem hemd

© 2010 Richard Phibbs

Symbolik

Wie schon Virginia Woolf für "Die Stunden" gewissermaßen Patin stand, hat sich Cunningham diesmal Thomas Mann als eine Art Role Model auserkoren. Zum einen dessen Novelle "Tod in Venedig", jene Geschichte eines Künstlers, der dem Bann eines Jungen erliegt.

Zum anderen wird Missy selbst schließlich den "Zauberberg" lesen; nichts beschreibt dieses Bild wahrscheinlich treffender als eine Passage aus Jonathan Franzens „Die Unruhezone“, in der es um Manns Roman geht und über die ich zufällig gestolpert bin.

"Die Unruhezone" ist in der Übersetzung von Eike Schönfeld im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen

Sein junger Held (...) ist ein Argloser (…) und Thomas Mann behandelt ihn mit einer liebenvollen Ironie und monströsen Allwissenheit (…) Jedes Symbol [ist] perfekt ausgearbeitet: das bürgerliche Tiefland als Ort körperlicher und moralischer Gesundheit, die Höhen der Bohème als Schauplatz von Genie und Krankheit, und was (...) von Ersterem hinauf zu Letzterem führt, ist die Macht der Liebe.

Und so führt Cunninghams referenzierende Literatur erneut zur Literaturreferenz.