Erstellt am: 2. 2. 2011 - 17:51 Uhr
Journal 2011. Eintrag 27.
2011 ist, wie zu erwarten war, wieder ein Journal-Jahr wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
Das bedeutet, wenn man das Fußball-Journal '11 dazurechnet: es gibt wieder einen täglichen Eintrag, Anregungs- und Denkfutter inclusive.
Zumeist werden sich hier Geschichten/Analysen finden, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo finden konnte; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute eine notwendige Selbstgeißelung und ein paar Gedanken zur Bedeutung von Bildern, vor allem dann, wenn es Medien drum geht eine Geschichte zu verkaufen.
Hier alles zum Anlass-Fall.
Gestern, in so einer Alltags-Situation am späten Nachmittag, fällt mir plötzlich auf, dass ich jemanden anglotze. Ich glotze auf das Kopftuch, dass die junge Frau trägt, und ich glotze die junge Frau darunter an, weil die Selbstverständlichkeit, in der sie auftritt, so ungewöhnlich ist. Wie auch die ihrer engeren Umgebung, ihres Umfeld, das so normal und mainstreamig daherkommt wie nur was.
Ich ertappe mich beim Glotzen und muss mich dafür abmahnen - weil es natürlich absurd ist Dinge wie diese noch durch einen "Fremdkultur"-Filter wahrzunehmen.
Next thing I know: meine innere Verwertungs-Logik rattert los, der Denk-Klassiker, wenn man als Medienarbeiter durchs Leben geht. Diese junge Frau und ihre äußerliche Unerschütterlichkeit, ihr losgelöstes Vordringen in einen öffentlichen Raum, der ihr genauso gehört - das wäre doch ein gutes Beispiel für gelebte Integration; als Objekt einer Reportage, als Interview-Gast, als Positiv-Beispiel, wenn man was zum Thema machen will.
Ein paar Minuten später setzt dann das Second-Guessing ein. Nicht nur zur Tatsache, dass dieses ständige Checken auf Verwertbarkeit, dieses andauernde Rating, etwas Seltsames hat; sondern auch die Frage nach dem Warum.
Warum eignet sich das Kopftuch-Mädchen aus der Alltagssituation so gut für eine prototypische Darstellung? Weil sie gut verkaufbar wäre, weil sie ein Gesicht hat, noch dazu eines, das eine Geschichte erzählt.
Das Gesicht erzählt die Geschichte
Und dann fallen mir die Zwillinge mit den traurigen Augen ein; und die forsche Unschuld der Arigona Zogaj, und wie da Gesichter eine Geschichte erzählt haben, die uns auch erreicht hat, in ihrer emotionalen Unmittelbarkeit, und uns etwas über Moral und Ethik erzählt hat.
lagos real estate advisor
Und dann muss ich an diese Geschichte von vor zwei Wochen denken, die umstrittene Abschiebung der jungen Nigerianerin und die Proteste dagegen. Das News hat die Geschichte aufgetan, diverse Medien darüber berichtet, auf Facebook wurde getrommelt/informiert/solidarisiert ...
Nach ein paar Tagen war alles wieder vorbei und vergessen. Auch weil es das Gesicht dazu, das wir brauchen und gewohnt sind, nicht gab. Auch das hier links nicht: die junge Frau, die da zu sehen ist, hat mit der ganzen Sache nichts zu tun - ich hab sie von einer Immobiliensite aus Lagos runtergerippt.
Aber dieses Bild ist vielleicht der Trigger dafür wie das mediale Geschichtenerzählen für ein Massen-Publikum wirklich funktioniert.
Picture this...
Stellt euch vor, sie ist es: die 27jährige, von Menschenhändlern in Nigeria nach Europa, nach Österreich verschleppte junge Frau, die hier zur Prostitution gezwungen wurde.
Stellt euch vor, dass sie den Mut gehabt hat auszubrechen, im fremden Land, um gegen die Gangster, die Verbrecher und Mörder, die ihr Leben zerstört haben, auszusagen.
Stellt euch vor, diesem Mädchen im gestreiften Kleid wird, wie das für Opfer von Menschenhandel vorgesehen wäre, ein humanitäres Bleiberecht in Aussicht gestellt.
Stellt euch vor, sie hat den Prozess und monatelanges Leben ohne jegliche Unterstützung und Mittel durchgestanden, im Schwarzen gegenüber bekannt freundlichen und aufgeschlossenen Österreich.
Und stellt euch dann vor, sie wäre trotz alledem abgeschoben worden - zurück nach Nigeria, wo dieselbe Schlepper-Bande die Behörden schmiert und sie dann am Flughafen in Empfang nimmt, umbringt und in der ölverseuchten Lagos-Lagoon versenkt ohne Spuren zu hinterlassen.
Alles was diese Vorstellung enthält ist passiert oder wird/kann passieren, in all seiner widerwärtigen Ungeheuerlichkeit des angewandten Fekterismus - in Abwesenheit eines Bildes hat es aber die Grenze der Verwertungs-Rechnung der Mainstream-Medien nicht durchbrochen. Es war nicht wichtig genug um nachzugraben und zu insistieren; und es erfüllt die aktuell regierenden Prinzipien der Aufmerksamkeits-Ökonomie unzureichend.
Signalwirkung
Denn es geht im heimischen Journalismus längst nicht mehr darum, was wirklich wichtig oder bedeutsam oder exemplarisch wäre. Die Abschiebung einer Mutigen, die gegen eine der schlimmsten Geiseln der Menschheit aufgestanden ist und ihr Leben eingesetzt hat, ist ein vielfach verheerenderes Zeichen für den moralischen Zustand der österreichischen Asyl-Politik als die Saualm und die Zogajs zusammen. Mit dem geflissentlichen Übergehen dieser Angelegenheit signalisiert Österreichs Mainstream-Media dem politischen System: keine Sorge, so genau schaun wir schon nicht hin; wir sind eh so wie ihr - zuerst schaun wir auf uns und aufs Geschäft, der Rest kommt in die Sonntagsreden.
Und das letztlich nur, weil Kinderaugen und Kopftuch-Beauties deutlich besser zu verkaufen sind als namen- und gesichtslose Huren.