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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

2. 2. 2011 - 21:12

Funk nach Vorschrift

Soll man vom ersten regulären Album von Gang Of Four seit 15 Jahren etwas erwarten? "Content" ist mittelsolide Werk-Verwaltung, immerhin

Irgendwann wird man dann schon auch ein bisschen müde. So in etwa im Mittelteil der Platte, bei Song Nummer 6, "I Party All The Time". Andy Gill schneidet mit dem Morse Code seiner zickgen Gitarre nach wie vor löschpapierdünne Scheiben in die Luft, Bass und Drums entwickeln einen spröden Funk und Sänger Jon King schenkt der Welt immer noch den einen oder anderen Slogan, der ihm in der Nasenhöhle brennt: "Who Can Steal When Everything Is Free?" Da rumpelt, groovt und rockt sich eine Band souverän durchs eigene Zeichenrepertoire. Man soll es nicht vergessen: Bei allem Anti-Rockismus war/ist Gang Of Four eine Band, die schon auch immer gewusst hat, wie man eine Bühne "rockt": Radikale Form, radikaler Inhalt, aber tanzen kann man auch dazu.

Gang Of Four

Gang Of Four

Gang Of Four, Classic: Clockwise From Top: Gill, Allen, King, Burnham

Kollege Robert Rotifer meint richtigerweise (sinngemäß), dass so etwas wie ein Post-Punk-Revival ja per Definition gar nicht stattfinden kann, weil die Klammer "Post-Punk" nicht nur eine weite, sondern auch eine offene ist, und die Menschen, die dieser Blase zugerechnet wurden und werden, sich vor allem - wie das bei von außen aufgepfropften Genres und "Schulen" prinzipiell ja immer so schön der Fall ist - nicht durch offensichtliche Gemeinsamkeiten, sondern durch die nie totzukriegenden Sehnsucht nach Anders-Sein, nach wildem Austesten und Versuchen, ein imaginäres Geheimbündnis eingehen. Egal, ob da jetzt Dub, frühe Elektronik oder Kraut ausprobiert wurde.

Dennoch sind Gang Of Four vielleicht die Band, von der man behaupten kann, "den" Sound etabliert zu haben, der da neben der Übellaunigkeit von The Fall und dem Gloom von Joy Divsion wohl am häufigsten gemeint wurde, wenn in den Nuller-Jahren von einem Post-Punk-Revival die Rede gewesen ist: Die Übersetzung von Funk in ein Punk-Gewand, eine Glas zersplitternde Gitarre, ein Anspielen gegen Wärme. Der Sound einer Band, aus dem zig Combos halbe Karrieren aufgebaut haben: Die Minutemen, The Rapture, Franz Ferdinand und - nicht zuletzt - die Red Hot Chili Peppers, deren erstes Album - 1984! - Gang Of Fours Andy Gill produziert hat.

Mittlerweile sind Gang Of Four, die Band, die Ende der 70er mit "Entertainment!" und - in etwas geringerem Maße - "Solid Gold" zwei epochemachende, immer noch gültige Alben veröffentllicht hat, nach mehrmaligem Auf- und Wiederabtauchen zu Verwaltern der eigenen Klang-Ästhetik geworden. Es ist ein okayes Altern in Würde, das die verblíebenen Gründungsmitglieder Gill und King hier vorleben. Den brüchigen, nervösen Groove, den Gang Of Four einst perfektioniert haben, hat die Band nach Weggang von Drummer Hugo Burnham und Bassist Dave Allen nie wieder so aufgekratzt elegant hinbekommen, die aktuell geheuerte Rhythmus-Abteilung stellt die Blaupausen des Originals immerhin solide nach - ein Wort, das man im Zusammenhang mit einer Band wie dieser hier nie hat vernehmen wollen. Und so ist "Content" ein etwas schematisch konstruiertes Alterswerk geworden, das so klingt wie man sich das von Gang Of Four eben vorstellt - bloß "moderner" produziert. Was mitunter in einem leicht breitbeinigem, fettem Rock-Sound mündet, der der Band so gar nicht gut zu Gesicht stehen will.

In den Texten von King brennt nach wie vor die Dringlichkeit, ein Annöhlen gegen Konsum und Kapital: Zwar wollen Gang Of Four den Albumtitel "Content" freilich augenzwinkernd verstanden wissen, als Kritik an "Systemen", wo Form und Verpackung vermeintlich sexier funkeln als Inhalt. Der - sicherlich eh schon mitgedachte - Knackpunkt: Mit "Content" sind Gang Of Four selbst zum sich formelhaft auf alte Muster stützenden Container geworden.

Gang of Four

Gang Of Four

Gang Of Four heute: King, McNeice, Heaney, Gill
Gang Of Four Cover

Gang Of Four

"Content" von Gang Of Four ist bei Grönland erschienen

Natürlich war früher nie immer alles besser, im Falle von Gang Of Four - man muss es angesichts von "Content" leider sagen - schon. Man muss sich als Künstler überhaupt nicht ständig neu erfinden und anders parfürmieren oder revolutionär weiterkommen. Nach dem quasi eigenhändig entwickelten Schnittplan ein paar vom Sessel tretende Songs modellieren, die nicht wie beiläufig hingeschmissen klingen, Songs, die den frühen kargen Sound eines mit Fliesen ausgekleideten, sterilen Proberaums atmen, mit scharfen Kanten und vom Ballast von spürbaren "Production Values" befreit - das könnte auch schon einmal genügen. "Content" aber ist eine Platte wie ein zehntes Album von AC/DC, eine Platte mit ein paar guten Songs, die die Beine kribbeln machen, sicher, 0,2 Prozent Überraschung und einigen Verstimmungsmomenten im Magen, die den Legenden-Charakter dieser Band freilich auch nur kaum beschmutzen können. Allzu viele Gründe aber, warum man "Content" möglicherweise öfter als drei, vier fünf Mal wird hören mögen und nicht stattdessen lieber zum gefühlten zweitausendsten Male zu "Entertainment!" oder meinetwegen auch "Solid Gold" greifen sollte, sind kaum auffindbar. Eine ziemlich egale, ein bisschen traurige und geringfügig - weil man sich dann doch vielleicht noch einmal etwas mehr "Statement" denn "Content" gewünscht hätte - ärgerliche Platte, die vermutlich gerade einmal die Aufgabe erfüllen wird können, in neuen Menschen die Neugierde auf das nach wie vor unantastbare Frühwerk von Gang Of Four anzustacheln. Wobei - auch dafür eignen sich die Alben von Franz Ferdinand und den Chili Peppers mittlerweile besser.