Erstellt am: 31. 1. 2011 - 20:17 Uhr
Journal 2011. Eintrag 26.
Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Dazu komplettieren etliche Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Netz-Präsenz.
Zumeist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.
Heute über den unseligen Fluch-und-Segen-Ansatz von Old Media, speziell dem zunehmend jugendfernem Fernsehen, und der Sinnlosigkeit die dieser Philsophie zutiefst entgegenstehende kumulative Schwarm-Intelligenz der Social Networks reinbringen zu wollen.
Und ein Hinweis auf Die heutige Jugend!.
Ich halte das für einigermaßen seltsam: da laufen tausende selbsternannte Berater, Konsulenten und Gurus zum Thema Neue Medien durch die diversen Bereiche der Wirtschaft, vor allem durch die Medien, um die Wirkungskraft des Webs, vor allem des Web 2.0, also vor allem der Social Networks zu erklären und in die Geschäfts-Modelle zu implementieren.
Und trotzdem sind nicht einmal die grundsätzlichsten Einsichten auch nur ansatzweise durchgedrungen, was Old Media-Proponenten dann scharenweise dazu treibt eckige Bauklötze in runde Löcher stopfen zu wollen.
Den Anlassfall mag ich nicht zitieren - weil off the records und außerdem ungelegte Eier betreffend und in einem Stadium in dem alle Denkfehler auch erlaubt sind.
Es geht aber um die beliebteste und scheinbar auch komplett alternativlose Herangehensweise der Medien an die Debatte an sich. Da gibt's nur eines: die Fluch-oder-Segen-Diskussion. Es ist völlig egal, ob da Im Zentrum oder bei Anne Will zwei Seiten des Podiums mit Befürwortern und Gegner besetzt werden, ob es Am Punkt, Talk of Town oder mitten im Crossfire (gibts das überhaupt noch?) ist. Das alte Medium Fernsehen handelt seine Diskurse mit klarer Schwarz-Weiß/Entweder-Oder/Tod oder Teufel-Mentalität ab. Es wird konfrontiert, zugespitzt, und zwar ums Verrecken. Manchmal sogar mit bewusster Rollenverteilung, nur um ja nicht in den Geruch zu kommen ein Thema differenziert zu betrachten. "Die Leut'", heißt es dann, wollen das nicht.
Das Fluch-oder-Segen-Kasperltheater
Klar, wenn man allen über Jahre ein Fluch-oder-Segen-Kasperltheater bietet, dann ist der Retour-Kultur-Umstieg auf das sinnhaftere Einerseits-Andererseits umso schwerer - bloß ist das nicht die Schuld eines kudernden Publikums, sondern der Medien-Verantwortlichen, die ausschließlich diese Sorte an Herangehensweise anbieten.
Aktuelle TV-Ausnahme wären etwa die arte-Debatten und der Club 2. Radio hat sich auf das rein konfrontative Format auch nur bedingt eingelassen. Selbst die Zweier-Konstellation bei Im Klartext bietet deutlich mehr als bewusste Zuspitzung und hetzt die Kombattanten nicht in ein überzogenes Duell. Ansonsten betrifft diese kleine Seuche aber alle alten Medien, die sich der Falle, die Publikums-Maximierung ihnen stellt, nicht entziehen können und wollen.
Nun ist Old Media natürlich, siehe oben, äußerst bemüht, das jüngere Publikum zurückzuholen. Das hat sich, rein zahlenmäßig, ins Netz, und dort vor allem in die Social Networks verlaufen. Also will Old Media dieses 2.0-Publikum mit irgendwelchen Social-Media-Anbindungen zurückholen. Legitim.
Nur: eine Rückholaktion ins konfrontative Talk-Format wird so nicht klappen. Genausowenig wie in anderen Formaten, in denen es ums Gegenüberstellen von Extremen, gern auch bar jeder Analyse, geht.
Und das, um an die Anfangsfrage anzuschließen, wäre das allererste, was die vielen Web 2.0-Beratungswastln ihren nicht so wenig löhnenden Kunden sagen müssten.
Die Schwarm-Intelligenz des Web 2.0
Das Zweinuller-Web, die Social Networks funktionieren nämlich, und das durchaus bewusst, ganz anders. Nicht konfrontativ, sondern kumulativ. Da geht es um Bestätigung, um eine freundliche Diskussion zwischen Debattierern ähnlicher Herangehensweisen und sozialer Cluster; um die Weitergabe von lebensweltlich gerade relevanter Information jeglicher Gewichtsklasse.
Und eines findet in den Social Networks definitiv nicht statt - schwachbrüstiges Geflame auf Maturareise-Niveau, anonymes Genörgel der 1.0-Abteilung. Einer der Haustrolle des FM4-Forums hat sich nach ein paar Tagen seiner Twitter-Karriere wieder abgemeldet - weil er erst dann mitbekommen hat, dass sich dort kein Mensch für sein Gequengel interessiert.
Facebook und Co arbeiten nach der Philosophie der Schwarm-Intelligenz. Je nach Themengebiet oder Interessenslage verbindet es Menschen, die zusammen mehr können als vereinzelt - ich muss jetzt nicht extra auf die Beispiele Tunesien/Ägypten verweisen.
Old Media kann damit wenig anfangen - dazu sind die Rückkanäle viel zu unterentwickelt, die Angst vor Einwänden von außen zu groß, die Panik der Unkontrollierbarkeit von aus der Hand gegebenen Informationen nicht rückstellbar.
Rückholaktion ins Eindimensionale
Deshalb sind die Versuche die Communities in den seit Jahren unveränderten Medien-Alltag einzubauen, auch von einer so unziemlichen Absurdität, bleiben im Eindimensionalen stecken, oder spielen tatsächliche Beteiligung nur vor.
Dass sich soviele Menschen in die Schwarm-Intelligenz, in die kumulative Kultur, ins (aus dem kalifornischen kommende) Positiv-Bestätigungs-Bild zurückgezogen haben, hat auch mit der Abscheu vor der redundanten und langweiligen Konfrontations-Kultur zu tun. Die nicht nur so vorhersehbar ist wie der Ausgang des Kampfes zwischen dem Kasperl und dem Krokodil, sondern auch die Politiker-Kaste jeglicher Seriosität und Handlungs-Fähigkeit enthoben hat: wer sich und seine Rolle als politischer Akteur an die Medien verkauft, verkommt ganz von selber zur Handpuppe.
Natürlich ist es kein Lapperl sich als Medienmacher zu überlegen wie man die kumulative Intelligenz der Social Networks in sein Programm reinbringt. Bloß: das ist es, was die expertischen Konsulenten leisten sollten, wenn sie im Bereich der Medien den Begriff 2.0 im Mund führen. Dass sie damit ganz nebenbei die politische Kultur reformieren könnten, ist nur ein ethischer Bonus.
PS:
Einer, dem es gelungen ist sehr weit auseinanderliegende Standpunkte nicht künstlich in Konfrontation ausarten zu lassen, sondern sie nebeneinander zu setzen und damit ein dichtes erzählerisches Netz auszuwerfen, ist Christoph Feurstein mit seiner Reportage Die heutige Jugend! - blöder Titel, gute Sendung. Heute, 21 Uhr, ORF2, Wiederholung morgen 9.30, danach auch in der TV-Thek anzuschauen.