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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

30. 1. 2011 - 23:16

Journal 2011. Eintrag 25.

Pflichtverteidigungseid. Über Helden, Entschuldiger, Glück, Nörgler, Rechtfertiger, Preisträger, Würdiger, Apotheker und Abonnenten.

Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009. Dazu komplettieren etliche Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Netz-Präsenz.

Zumeist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute über die Tschuldigung-Sager, den Wert, den man seiner Arbeit zumisst und das Schlechtreden.

Wer sich viel in spezialisierten Zirkeln bewegt, der braucht einige Male im Jahr Ausflüge in den Mainstream, auch den krachigen. Meine ich und verordne mir die, auch um ein Gefühl für die Relation zu bekommen; und um der schlimmsten Falle des Alternative-Bereichs zu entgehen: dem Purismus, der reaktionären Krake, die Unachtsame gern zum Frühstück verspeist.

Letzten Freitag etwa gab's so einen Ausflug. Und wie das Amen im Gebet (auch so eine Phrase, die ich selber nie praktisch anwende, aber trotzdem gern verwende, komisch eigentlich...) kamen da Menschen (egal ob man sich in echt kennt, oder "nur" medial) auf mich zu, die Phrase "Ich sag schon nicht mehr Hallo, Ich sag immer erst Entschuldigung" auf der Seele lastend. Als ob es nötig wäre, sich für einen Job oder eine Begeisterung zu rechtfertigen - und sei sie noch so lächerlich. Zudem ist in Zeiten der Minderbeschäftigung Arbeit im Mainstream keine Schande - der Eifer der Kritik sollte denen vorbehalten bleiben, die diese Bedingungen schaffen und die sie durch Borniertheit verstärken.

Außerdem hat diese "Sorry, dass ich in einem Bereich, der mir ja eigentlich nicht taugt, arbeite!"-Haltung auch etwas Ungesundes: genauso wie Selbstliebe dazu nötig ist, um andere lieben zu können, ist Zufriedenheit mit dem eigenen Schaffen wichtig, um auch anderes Schaffen anderer gut finden zu können. Sprich: die Nörgelei, auch die an sich selber, führt indirekt zu Missgunst gegenüber anderen.

Tschuldigung-Sagen und das Streben nach Glück

Dagegen steht etwa auch die überlebensgroße US-Vorlage vom Persuit of Happiness, dem Recht auf das persönliche Glück: eine Gesellschaft, die von jedem Individuum quasi fordert, dass er/sie das Beste aus sich, der jeweiligen Situation, aber vor allem dem Leben macht, und dabei auch ständige Wechsel und hohe inhaltliche Mobilität akzeptiert, existiert hierzulande halt nicht. Der geneigte Österreicher "muss" arbeiten, sehnt schon zu mittag den Feierabend und am Mittwoch das Wochenende herbei und verfängt sich damit in einer Rechtfertigungs-Sprirale. Bessere Bildung, ein besseres Ansehen von Bildung und Ausbildung würden auch da Abhilfe schaffen - aber das ist eine andere Debatte.

Es ist nicht nur im Mainstream Mainstream das, was man tut, irgendwie blöd zu finden, eigentlich ja ein Projekt zu haben und sich für den Broterwerb zu entschuldigen. Das geschieht überall. Wer dreimal laut sagt, dass er seinen Job mag, dass die Firma bei der man das unternimmt schon okay/in dem Bereich die beste ist und anständige Arbeit leistet, da horcht die Umgebung schon auf - was denn das für einer wäre, der nicht im Feierabend/Wochenende-Modus aufgehen würde?

Das gefällt mir bei den "Entschuldigern" nicht: das, was sie sich mit dieser Anzweiflung der eigenen Gegenwart selber antun und auch das, was sie damit bei den anderen auslösen, weil ja das Ausreden-Gemurmel automatisch das Kollektiv nach unten zieht.

Soweit so gut. Schnitt.

Würdige Apotheker und das mit dem Mehr-wissen-wollen

In einer kleinen Eloge würdigte vor ein paar Tagen Standard-Redakteur Fluch den Kollegen Thomas Edlinger, seines Zeichens frisch preisgekrönter Sumpfist (die Übergabe erfolgte letzten Donnerstag); und zwar für seine kleine namenlose Kolumne in Willkommen Österreich, in der die Gäste im Stil der Sendung ohne Namen vorgestellt werden. Vorgestellt wird Edlinger da von Stermann und Grissemann immer als Apotheker, und so nennt ihn die kurze Fluch-Kolumne dann auch; um ihn in seinem Gesamtschaffen zu würdigen. Das ist nicht nur schön, sondern auch richtig und kommt viel zu selten vor.

Der Text ist nicht wirklich journalistisch, als solches versteht sich die TV-Kolumne nicht. Er erklärt etwa nicht, warum der Edlinger als Apotheker angekündigt wird (gut, das ist nicht spektakulär, es ist ein alter "Magister"-Witz zwischen Grissemann und Edlinger); er lässt auch die fast tagesaktuelle Preisauszeichnung aus; er schafft es auch nicht, die Sendung ohne Namen, deren Machart hier fortgesetzt wird (Bild-Text-Schere und so: man hört "Reise" und sieht den knieenden JP2), zu erwähnen; von der Möglichkeit ihrer Wiedererstehung im Herbst, an der auch der Apotheker, der Magister, der Edlinger eben, beteiligt sein könnte, gar nicht zu reden. Für all das hätte man nachfragen (recherchieren) müssen. Und natürlich muss man nichts wissen um eine kleine Kolumne zu schreiben. Manchmal steht zuviel Recherche, zuviel Wissen dem zentralen Grundgedanken im Weg - kenne ich, mach ich manchmal auch so, ist legitim. Auch wenn es nicht schadet, das, was man in Erfahrung bringt, mit denen zu teilen (deshalb gibt es heuer im Journal auch mehr Links und Verweise als je zuvor; heute absichtlich kaum), für die man es macht - also das Publikum - anstatt sich im Herrschaftswissen-Turm zu verschanzen. Aber das ist eine andere Debatte.

Pflicht-Verteidigung und Umkehrmodelle

In der nämlichen Kolumne nun findet sich ein Halbsatz, der gut zu dem eingangs Besprochenen passt: Edlinger, steht da, zähle zum einen zu jenen, "deren Eitelkeit wohltuend verkümmert ist" (right!), und zum anderen zu jenen FM4-Menschen, "die den Pflichtverteidigungseid auf den Sender verweigert haben".

Was Fluch mit dieser Formulierung meint ist klar: wer ihm gegenüber die oben besprochene "Tschulligung, dass ich dort arbeite!"-Haltung nicht pflegt, ist suspekt. Da der uneitle Edlinger auch ein sehr höflicher Mensch ist, wird er Fluch gegenüber, der sein Anti ja unübersehbar auf der Stirn trägt, nicht in eine Rechtfertigungs-Haltung verfallen. Wozu auch?

Drehen wir es einmal um. Wenn ich jetzt herginge und Fluch mit Sätzen wie "Der Standard war auch schon deutlich besser. Eigentlich eine Schande dort zu arbeiten, wo es in allen Belangen abwärts geht. Und das dann auch noch zu verteidigen, meingotterl, peinlich!" belästigen würde (was mir als Abonnent nie in den Sinn kommen würde), dann würde ich, an seiner Stelle den Kopf schief legen und vielleicht folgendes sagen: "Kann man so sehen. Ich sehe aber, dass der Standard immer noch die interessanteste heimische Tageszeitung jenseits des Mainstreams ist, auch weil sie das Gigerlhafte der Presse und die zu deutliche Punzierung des Kurier vermeidet, und immer noch das meiste Denkfutter aller vergleichbaren Medien bietet; was auch auf das interessante Personal zurückzuführen ist. Und das, denke ich, überwiegt die sicher berechtigten Bedenken."
Sowas in der Art würde ich sagen - weil ich's glaube.
Und genauso wär's, ohne dieses einfache Umkehrdenkmodell, auch andersrum.

Argumentations-Übernahme aus dem Kleingeist

Nun, wenn ich so argumentiere wie hier (und es ist eine Paraphrase meiner Argumentation, was FM4 betrifft, seit Jahr und Tag), leiste ich dann einen "Pflichtverteidigungseid"?
Und wenn ja, und wenn das ein Pfuigack ist, was wäre denn dann eine stimmige Herangehensweise an das, was man macht?

Gibt es Leben zwischen der Pflichtverteidigung, dem Tschuldigung und dem Is-mir-eigentlich-eh-wurscht-Genörgel? Ist die Medienwelt derart schwarz-weiß, dass der Einsatz von Farbe verboten ist? Ist die Orientierung am Persuit-of-Happiness-Ideal und dessen deutliches Ausstrahlen so unerhört, weil es die Umgebung noch ein Stück mehr an ihren eigenen Mainstream-Zugang, die Dauer-Entschuldigung erinnert?

Ich kann mich (aufgrund meiner persönlichen Anwesenheit in den 70ern und 80ern) noch an eine Zeit erinnern, als das Werken und Wirken abseits der klar vorgezeichneten Strecken mehr oder weniger per se Glückshormone ausschüttete. Klar geht sich das heute, in der Falle des alles verschlingenden kapitalistischen Systems, das sich längst auch in die noch so diversifizierten Bereiche hineingekrochen hat, nicht mehr aus.

Aber: muss ich deshalb den Kleingeist, der im muffigen Mainstream beim Thema "Zustand zu seiner Arbeit" herrscht, so österreichisch übernehmen? Nein, muss ich nicht.