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Maria Motter Graz

Bücher, Bilder, Kritzeleien. Und die Menschen dazu.

31. 1. 2011 - 13:19

Popcorn und Propaganda

Der teuerste türkische Film aller Zeiten spielt derzeit in österreichischen Kinos mit ganz anderen Superlativen: "Tal der Wölfe" ist zu allererst antiisraelisch und subtil antisemitisch.

Für eine deutsche Synchronisation wollte man offensichtlich keine Zeit verschwenden. Mit dem Originaltitel "Kurtlar Vadisi - Filistin" läuft der bereits vor seinem Start umstrittene Film "Tal der Wölfe - Palästina" derzeit in türkischer Sprache und mit deutschen Untertiteln in österreichischen Kino-Ketten. Mit einem Produktionsbudget von angeblich zehn Millionen Dollar ist er der bisher teuerste türkische Film.

Gestartet ist "Tal der Wölfe - Palästina" hierzulande am 27. Jänner, der international als Gedenktag für die Opfer des Holocaust gilt. In Deutschland wurde der Kinostart von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) erst gestoppt, schließlich gab die Organisation den Spielfilm ab achtzehn Jahren frei.

Noch vor dem Kinostart, der zugleich in der Türkei erfolgt ist, erregte die Produktion mit dem ersten Trailer Aufsehen. Schließlich ist "Tal der Wölfe - Palästina" bereits der vierte Spielfilm einer losen Reihe, mit der die türkische Produktionsfirma Pana Film an ihre äußerst erfolgreiche, gleichnamige TV-Serie anschließt. "Kurtlar Vadisi" - deutsch: "Tal der Wölfe" - erreichte nach Angaben von Pana Film 2004 und 2005 die höchsten Einschaltsquoten in der Türkei. Sharon Stone und Andy Garcia hatten in den letzten Episoden Gastauftritte.

Filmcover: Pakt der Wölfe

Pera Film

Die Fortsetzung folgte im Kino: 2006 zieht "Tal der Wölfe - Irak" über drei Millionen Zuschauer an und Kontroversen nach sich. Denn bereits für diesen Blockbuster bedient man sich eines realen Ereignisses, um zu einem fiktiven Rachefeldzug anzusetzen, begleitet von haarsträubenden Vorurteilen, antiamerikanischen Ressentiments und der Fortschreibung jahrhundertelang traditierter Diffamierung von Juden. Nachdem im Norden des Iraks amerikanische Besatzungstruppen türkische Armeeangehörige festnahmen, ihnen Säcke über ihre Köpfe zogen, sie demütigten und verhörten. Die Figur des Geheimagenten Polat Alemdar hat in diesem Film ihren ersten cineastischen Einsatz.

Stimmungsmache

Nun ist Polat Alemdar, gespielt von Necati Şaşmaz, mit einem neuen Auftrag zurück. Erneut strickt "Tal der Wölfe" ausgehend von einem realen Ereignis eine fiktive Geschichte. Der Kurs der Inszenierung ist von Anfang an klar: "Selbst wenn wir sterben, sterben wir als Märtyrer für den Frieden" lautet die Ansage noch vor dem Titel-Insert.

Ein eigenes Expertenteam des UNO-
Menschenrechtsrats beurteilte das Vorgehen des israelischen Militärs und die gewaltsame Erstürmung des Schiffes mit Hilfsgütern als "völlig unnötigen und unglaublichen Grad von Gewalt". Die Aktivistin und Dokumentarfilmerin Iara Lee war mit der Flotte unterwegs und schilderte die Geschehnisse vor den Vereinten Nationen.

Die deutsche Nachrichtenagentur Reuters kam aufgrund veröffentlichter Fotos des Überfalls auf das Schiff in die Schlagzeilen: die Bilder wurden "zugeschnitten". Erst zwei Jahre zuvor erließ Reuters neue Photoshop-Richtlinien.

Im Vorspann wird der historische Anlassfall in schnellen Schnitten abgehandelt: die israelische Armee stürmte am 31. Mai 2010 in einem gewalttätigen Angriff auf eine Gaza-Hilfsflotte das Schiff "Mavi Marmara" und tötete neun türkische Aktivisten. Schnitt. Jerusalems Dachlandschaft um den Felsendom mit seiner goldenen Kuppel füllt das Bild. Durch ein Tor in Jerusalems Altstadt spazieren gutgelaunte Touristen, angeführt von einer jungen Frau. Die erweist sich als Figur der schönen Jüdin, wie sie seit dem 17. Jahrhundert in der deutschsprachigen Literatur vorkommt, und die alle ins Verderben führt. Die Wege der Schönen mit amerikanischem Pass und jene des Geheimagenten Polat Amedar kreuzen sich vor einem israelischen Soldaten, der ihnen großkotzig den Weg versperrt. Der Held Almedar, in blütenweißem Hemd und Anzug, provoziert den Soldaten mit der Ansage, nicht nach Israel eingereist zu sein, sondern nach Palästina. Und schon ballert sich der Geheimagent mit seinen Gefährten durch den Basar in Jerusalems Altstadt. Minutenlang. Im Fluchtauto sinkt die Schöne ohnmächtig auf die Schulter Almedars.

Familienunternehmen

Verantwortlich für "Tal der Wölfe - Palästina" sind drei Brüder: Hauptdarsteller Necati Şaşmaz, Regisseur Zübeyer Şaşmaz und Produzent Raci Şaşmaz, der am Drehbuch mitgeschrieben hat. Einige Kritiker betonen die Verwandtschaft der Brüder zu einem ehemaligen Abgeordneten der türkisch-nationalistischen und als extremistisch eingestuften "Partei der nationalistischen Bewegung" ("Milliyetçi Hareket Partisi", kurz MHP). Gedreht wurde im Südosten der Türkei.

Die Siedlungspolitik Israels, Schikanen der arabischen Bevölkerung gegenüber, willkürliche Übergriffe und Straßensperren packt das Drehbuch und holt zu minutenlangen Gewaltakten aus. Dabei wiederholen sich die Actionszenen renitent. Wenn sich nach dutzenden zu Boden gesunkenen Erschossenen und aus Rucksäcken gezückten Sprengsätzen der Showdown auf der israelischen Kommandobrücke einstellt, hat sich längst Langeweile breit gemacht. Die Ausstattung hat die Militärbasis gebaut, als wollte sie darin demnächst Raumschiff Enterprise kostensparend fortsetzen. Ich beginne die Davidsterne zu zählen, die permanent in Verbindung mit willkürlicher, tödlicher Gewalt in Szene gesetzt werden (einmal sogar als Schattenspiel) und verliere schnell den Überblick. Jetzt noch palästinensische Häftlinge befreien, befiehlt der Rächer. Packend ist was anderes.

Unterschwellig antisemitisch

Bis zum ersten längeren Auftritt des israelischen Gegenspielers, dem erbarmungslosen Kommandanten Moshe Ben Eliezer, geht die Darstellung noch als "allein" anti-israelisch durch. Die Rolle des Moshe hat übrigens
Erdal Beşikçioğlu angenommen, den man aus "Bal" kennen könnte. Auch nicht zu übersehen: Palästinenser werden als ärmliche, jederzeit zum Äußersten bereite Menschen gezeichnet, die in ihrem Schlafzimmer Waffenarsenale horten.

Der bereits vor dem Kinostart geäußerte Vorwurf des Antisemitismus erweist sich rasch als berechtigt. "Die Gründung Groß-Israels, vom Euphrat bis zum Nil" gibt ein weißhaariger und -bärtiger Machthaber im Hintergrund als Devise aus. Eine neue Patrone wird am nächsten vorbeifahrenden Zivilisten erprobt. Es ist - der Logik des Drehbuchs folgend - ein vorbeifahrender Palästinenser. Rein geographisch müsste die Szene in Ostjerusalem oder den Palästinensischen Autonomiegebieten im Westjordanland spielen - denn von Jerusalem schießt man mit dem Auto nicht zack durch einen Checkpoint nach Gaza. Doch Fakten interessieren in "Tal der Wölfe" niemanden. Gaza ist auch nicht Thema, die Produktionsfirma Pana holt in ihrem propagandistischen Werk weiter aus. "Wo immer Krieg herrscht, sind es die Muslime, die darunter leiden", lautet die zentrale Botschaft.

Würde mich interessieren, was die arabischen Schriftzeichen an diversen Mauern im Film bedeuten. Nicht untertitelt ist eine lange Gesangs- und Gebetsszene einer Zusammenkunft arabischer Männer.

Israelis ist gleich Juden ist gleich extrem rechts, schließt die Darstellung kurz. Durchschnittliche Israelis kommen den Şaşmaz-Brüdern nicht ins Bild. Es dominiert der Militärmob mit Maschinengewehrsalven. "Sag mal, ist Palästina kein eigenständiger Staat? Was haben die Israelis hier zu tun?", fragt einer der türkischen Mitstreiter den sleeken Polat Alemdar, der sämtliche Kampfhandlungen ohne einen Kratzer übersteht. Tragischkomisch ist dieses Blödstellen nicht. Es ist vielmehr die bewusste Strategie des Films.

Knapp und plakativ wie Parolen sind die Dialoge. "Wenn man den Widerstand aufgibt, lässt Israel keinen von uns am Leben", sagt da etwa eine palästinensische Mutter. Nur eine Oma schlägt gemäßigte Töne an: "Unsere Feinde sind nicht die Juden, sondern die Tyrannen". Soviel Weitblick wird unmittelbar geahndet: mit einem Bagger fährt israelisches Militär den Rohbau der Palästinenserfamilie, bei der die Schöne und die Rächer Zuflucht nahmen, zu Schutt, während der gelähmte Sohn, zuvor von Soldaten aus dem Rollstuhl gezerrt und zurückgelassen, am Boden um sein Leben robbt. Plötzlich ist es still. Die Filmmusiksauce, die sich wie Ketchup aus einer gierig gedrückten Flasche über Pommes ergießt, stoppt. Eingebettet in ein "Tal der Wölfe" ist das Propaganda.