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Boris Jordan

Maßgebliche Musiken, merkwürdige Bücher und mühevolle Spiele - nutzloses Wissen für ermattete Bildungsbürger.

30. 1. 2011 - 17:27

Song Zum Sonntag: Anna Calvi

Sehnsucht, Schreien und Harmonium: Desire

Düster röhrt das Harmonium der Minimalband Anna Calvis, dazu kommt ein typischer 80er- Stadionbeat. Mächtig erklingt das alte katholische Lied von Schuld und Sühne, Begehren und Kasteiung, Sünde und Vergebung.

"Begehren ist das Tor durch das der Teufel in mir heraustritt" Dazu zitiert Anna Calvis Stimme Elvis Presley (von dessen "Surrender" sie eine hübsche Kellerversion gemacht hat) und Roy Orbison und ihre alte Telecaster kracht dazu.

Anna Calvi Portrait

myspace.com

Klar, Anna Calvi scheint sich nicht vor Klischees zu fürchten (aber das hat man Nick Cave auch immer hoch angerechnet). Sie ist so etwas wie ein Feuilleton Liebling und sitzt schon vor ihrer Debutplatte in einem komischen Eck: Fesche, feurige Italienerin, die "zufällig" von einer Produzentenlegende "entdeckt" wird - welche sabbernden Musikjournalisten sitzen da nicht in ihren Kämmerlein und haben sofort die blöde Schublade der sich nach oben schlafenden Frau im Kopf. Und sie ist tatsächlich Protege von älteren Herren mit fliehenden Haaransätzen (Lawrence Bell, Nick Cave, Brian Eno), aber so etwas bringt sie höchstens ein bißchen ins Gespräch - aber noch nicht zu Domino Records oder ins Vorprogramm von Grinderman.

Cover vom Debutalbum von Anna Calvi

laut.de

Das schafft die für ein Debutalbum ziemlich ausgereifte Soundvision, eine Art bombastischer Minimalismus, in dem jeder Gesangston, jeder Drumroll und jede Nuance dieser karg besetzten Band (außer Calvi noch ein Schlagzeuger, der oft mit den Händen spielt und eine kongeniale Harmoniumspielerin) genau gesetzt und von viel Raum umgeben sind. Wie PJ Harvey ist Anna Calvi eine versierte Bluesgitarristin, dazu versteht sie etwas vom Songschreiben und ist eine experimentelle Arrangeurin, was ihre Platte ziemlich einzigartig klingen läßt.

Über Anna Calvi macht sich auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar in der Presse am Sonntag seine Gedanken.

Die "Attic Sessions" von Anna Calvi sind unbedingt zu empfehlen,unter anderm mit Covers von Elvis Presley, David Bowie und TV on the Radio

Anna Calvi wird am 7. April in der Szene Wien spielen

Und über allem diese eigentlich lästige voluminöse Rockröhren-Stimme, bei der man sofort denkt: Ironiefrei so singen, so knödeln und rausphrasieren, das macht außerhalb von Castingshows doch niemand mehr. Doch es ist mehr an dieser Stimme, am Gesang, einer Stimme, die im Fado und im Chanson eher zuhause ist, als im Pop. Sie knödelt eben nicht irgendwelche Liebesschmachten, sondern sie erzählt, bläht sich auf, schlüpft durch, versteckt sich, nimmt sich zurück und kommt dann wieder mächtig hervor - und
erreicht im Kontext von Anna Calvis' Platte so eine Lässigkeit und Versatilität, die anfängliche Erinnerungen an Joan Osbourne oder Melissa Etheridge sogleich verblassen lässt.