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Markus Keuschnigg

Aus der Welt der Filmfestivals: Von Kino-Buffets und dunklen Sälen.

29. 1. 2011 - 21:15

Fehler im System

Visionäre Unterhaltung oder demente Visionen? In TRON: Legacy stürzt die Zukunft zurück in eine mythische Vergangenheit.

Eigentlich weiß ich gar nicht mehr, wie oft ich TRON schon gesehen habe. Wie vermittels einem dieser bioelektronischen Stecker aus David Cronenbergs eXistenZ ist mir die Geschichte des Kevin Flynn (der immer meisterliche Jeff Bridges), der innerhalb des ENCOM-Hochleistungsrechners gegen das diabolische Master Control Program (MCP) kämpft, in Blut, Fleisch und Knochen übergegangen. Der damalige Regisseur (laut Presseheft „visionary director“) Steven Lisberger hat zuvor unter anderem für den unterschätzten Animationsfilm Animalympics verantwortlich gezeichnet und nach eigenen Angaben seit dem ersten Pong-Turnier in den 70er-Jahren darüber nachgedacht, wie man die Computerrealitäten und die daran angeschlossenen Gefahren am besten ins Erzählmedium Kino transportieren kann.


Mit TRON ist ihm das ziemlich gut gelungen: nicht nur ist die Disneyproduktion (das Maushaus produziert zu dieser Zeit insgesamt großartige Realfilmware; neben TRON lassen noch Das schwarze Loch und Das Böse kommt auf leisen Sohlen meine Augen wässrig werden) der erste Langfilm, der Computeranimationen handlungstragend in insgesamt 15 – 20 Minuten einsetzt; er ist auch in seiner Darstellung einer virtuellen Realität erstaunlich präzise und prophetisch. TRON ist in den frühen Achtziger Jahren, nicht zuletzt aufgrund seiner vom legendären "Industrial Designer" Syd Mead ersonnenen Light-Cycles und den vom französischen Comic-Genie Moebius entworfenen, streng geometrisch angelegten Umgebungen ein It-Movie geworden.

Tron Lightcycle

Disney

Tron Legacy Lightcycle

Disney

Alt und neu: oben Syd Meads Design der Light-Cycles für TRON. Seine eigentlichen Entwürfe sahen kein Cockpit vor, waren aber 1982 unmöglich umzusetzen. 2010 sieht das schon ganz anders aus (Bild unten).

Attack of the Nerd

Als mich vor mehreren Jahren die ersten Gerüchte über eine Fortsetzung erreichen, schüttele ich ungläubig den Kopf. Wie kommt der Disney-Konzern, im Realfilmsektor mittlerweile abonniert auf konsequent blöde Teenagerfranchises oder auf Spektakelkino, plötzlich darauf, diesen heiligen Gral des 80er-Jahre Kinos erneut zu befüllen? Mit ein Grund dafür ist, mittlerweile bin ich mir sicher, dass die Techno-Geeks und SF-Freaks von pubertär verpickelten Sofasurfern zu einer kassenträchtigen und sehr aktiven Zielgruppe aufgestiegen sind; jedenfalls im Kopf der entscheidungsmächtigen Studio Executives. Überhaupt lässt sich seit einem Jahrzehnt schön beobachten, wie Nerd-Sensibilitäten und Fetische in die Traumfabrik einziehen und diese langsam, aber sicher übernehmen: vor wenigen Monaten kämpft Typecasting-Opfer und Sympatho-Nerd Michael Cera in Edgar Wright’s Gemme Scott Pilgrim vs. The World in Videospielmanier gegen die sieben bösen Ex-Freunde und Freundinnen seiner Angebeteten. Und am Flachbildschirm zu Hause diskutieren die hyperintelligenten Jungs von der obszön erfolgreichen Big Bang Theory abwechselnd über Frauen, Quantenphysik und Star Trek. Yes, das Nerdtum inklusive Hornbrillen, Verhaltensauffälligkeiten und sonstigen Obsessionen ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ob das nun ein Grund zum Fürchten oder zum Freuen ist, sei dahin gestellt. Fakt ist, dass Disney nicht ohne Grund 170 Millionen Dollar (!) in die spektakuläre Wiederbelebung einer kultisch verehrten Franchise steckt.

Avatar

Ein Schock gleich zu Beginn von TRON: Legacy: In einer Rückblende begegnet man einem digital verjüngten Avatar von Jeff Bridges (der später auch Clu sein Gesicht gibt!), der mit seinem Sohn Sam plaudert. Auch wenn der angestrebte Fotorealismus nicht wirklich aufgeht und mich immer wieder das gruselige Gefühl durchschüttelt, dass hier ein Geist durchs Bild kriecht, tue ich mir leicht, diese virtuelle Realität zu akzeptieren. Immerhin ist es ein Film, und dann noch TRON: Legacy, in Computerspielen habe ich auch kein Problem damit, Star-Avatare durch Gefahrenzonen zu manövrieren. Insofern schließe ich den digitalen Dude schnell ins Herz. Zwanzig Jahre später: Bruce Boxleitners Alan Bradley informiert den mittlerweile erwachsenen Sam (Garrett Hedlund) über eine Pager-Nachricht (!), die er gerade aus Kevin Flynns Spielhalle erhalten hat. Dazu muss gesagt werden, dass Flynn seit zwei Jahrzehnten verschwunden ist.

Tron

Disney

Tron Legacy

Disney

Dudes, now and then, oder: the ageless Jeff Bridges

Einen Laserstrahl später findet sich Sam in "The Grid" wieder: Das virtuelle Königreich, von seinem Vater designt, erstrahlt in neuem Glanz, wird allerdings von einem diktatorischen Programm namens Clu unterjocht. Aufmüpfige und/oder beschädigte Programme (die ein wenig an Barbarenkrieger erinnern) müssen in einer Kampfarena gegeneinander in mehreren Disziplinen antreten: neben dem Disc-Fight ist das noch das Light-Cycle-Rennen; und das bietet Regisseur Joseph Kosinski und seiner Armada von Designern eine erste Gelegenheit, den 3D-Effekt spektakulär in Szene zu setzen. Überhaupt wirkt das labyrinthisch angelegte, in Neonfarben leuchtende TRON-Universum wie aus einem Guß: Das Original wird hinreichend verehrt, gleichzeitig entwickeln sich die Ideen und Designs allerdings auch weiter, hin zu einer breit angelegten Fantasy-Welt.

The Lord of the Discs

Tatsächlich kokettiert TRON: Legacy nämlich nur mehr an den Oberflächen mit retrofuturistischen Artefakten; tief im Kern der virtuellen Realität pumpt ein altmodisches Herz, das die Geschichte einer Heldenreise mit Energie versorgt. Kevin Flynn hat sich aufgrund des zivilisatorischen Kollaps seiner humanoiden Ersatzwelt in eine tempelartige Struktur in den so genannten "Outlands" (wieder eine Erweiterung zum ersten Film) zurück gezogen. Dort praktiziert er Zen-Meditation, isst digitale Spanferkel (!) und überlegt eine Strategie, um das Amok laufende Clu-Programm zu stoppen. Unterstützt wird er dabei von Quorra (Olivia Wilde), einem isomorphen Algorithmus (ISO) und nach dem mythischen Überbau dieses Films zufolge ein selbstgeneriertes Programm mit der Fähigkeit wissenschaftliche und spirituelle Mysterien der virtuellen Welt zu entschlüsseln. Alles klar? Auch egal. Nach der erfolgreichen Zusammenführung von Vater und Sohn, macht sich das Dreigespann auf, die Tyrannei zu beenden. Was folgt, ist ein bis zum Synapsenkollaps beschleunigtes Effektegewitter, das sich irgendwo zwischen Techniken des strukturalistischen Avantgardekinos mit all seinen fliegenden Linien und abstrakten Mustern und dem populistischen Spektakelkino der Gegenwart mit seinen Nonsens-Erzählungen und generischen Handlungsfäden eingenistet hat.

Mann und Frau

Disney

Sam und Quorra bereiten sich auf die Revolution vor.

Derezzed & Demented

Die Einflussgrößen, die TRON: Legacy bestimmen, sind so vielfältig wie die Wirkungsweisen dieses außergewöhnlichen Films. Einerseits pulsiert natürlich TRON durch die Strukturen, andererseits findet man darin auch Elemente von apokalyptischen Zukunftsfilmen wie Mad Max sowie Teilstücke von esoterisch geschmückten SF-Filmen aus den 70er-Jahren. All das führt Kosinski in einem Hochkonzept-Spaßbomber zusammen, der in seinem geballten Unsinn und inszenatorischen Wahnsinn mit zum Dementesten gehört, was die Traumfabrik seit dem erhabenen Speed Racer ausgespuckt hat. Meine persönliche Lieblingssequenz spielt in der "End of Line"-Bar, die wiederum von Michael Sheen betrieben wird: Die Daft Punker, die ja auch für den insgesamt superen Soundtrack verantwortlich zeichnen, schicken brutzelige Neuwelt-Symphonien (darunter der Tanz-Mit-Hit „Derezzed“) durch den Milk Bar-artigen Raum, während Zen-Dude Bridges mit Bagage faschistische Programme zerlegt und dann konkludiert: "Don’t mess with my Zen".

Männer in Bar

Disney

DAft Punk

Disney

Oben: Castor und Sam in der "End of Line"-Bar, die von Daft Punk (unten) beschallt wird.

The (next) last frontier

TRON: Legacy ist vielleicht kein guter, aber gewisslich ein großartiger Film. Eine gewaltige, perfektionistische High-End-Vision, die mich noch Stunden danach in einen Rauschzustand, unterbrochen nur von ungläubigem Kopfschütteln, versetzt hat. Das, was mich daran am meisten begeistert, ist die vollkommene Ironiefreiheit der erzählten Geschichte und ihrer Inszenierung: nichts finde ich anziehender, als wie wenn ein Film so wahnwitzig und verstiegen wie TRON: Legacy so unbedingt und leidenschaftlich an die eigene Vernunft glaubt. Am Ende sehe ich dann nur mehr den digitalen Ozean (den gibt's wirklich!), wage zu träumen, was hinter dieser digitalen "Frontier" liegen mag und freue mich, dass es im gemaßregelten, durchanalysierten und durch und durch vermarkteten Hollywood noch solche Ausrutscher wie TRON: Legacy geben darf. Ein Fehler im System. Ein Bug in der perfekten Maschine. Ich kann die kommenden Teile schon gar nicht mehr erwarten.