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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

25. 1. 2011 - 15:39

Journal 2011. Eintrag 22.

U wie 'tainment. Da nicht das Sachthema, sondern seine kluge Dramatisierung die Agenda setzt, muss künftig der stärkste journalistische Ausbildungs-Input in diesen Bereich.

Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
Dazu komplettieren etliche Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Netz-Präsenz.

Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute mit einem Exkurs in die Ausbildung, die TV-Unterhaltung und die neue Bedeutung des 'tainment-Redakteurs. Unter Berücksichtigung des Palmer-Effekts, der Soap-These und der Armin Wolf-Masterthese.

Heute vormittag war ich bei einer Vorbesprechung zu einer Personalförderungs-Initiative in der Unternehmens-Zentrale: Ablaufpläne, Trainingseinheiten, Terminabstimmung etc. Und wie immer, wenn ein Medien-Konzern so etwas angeht, steht der klassische Bereich im Mittelpunkt: die journalistische Praxis. Natürlich haben wir auch über formgerechte Gestaltung, den Unterhaltungs-Faktor und sowas wie eine Fachphilosophie, also die Erläuterung der Bedeutung von Formaten und Strategien gesprochen - aber all das ist weitaus schwieriger in Lehrpläne und Unterrichtseinheiten zu gießen.

All das wäre wohl keine öffentliche Erwähnung wert, wenn mir nicht bei der U-Bahn-Rückfahrt ins Funkhaus zufällig etwas aus dem FAZ-Feuilleton (nein, das ist im Netz nicht nachlesbar) entgegengesprungen wäre. Zentraler Satz dort: "Unterhaltende Programme werden in ihrer gesellschaftlichen und politischen Wirkung unterschätzt. Und es geht uns gar nicht darum, ob wir uns diesen Einfluss wünschen sollten. Er ist Realität." - das sagt Wolf Bauer Vorsitzender der Ufa Film&TV-Produktion (Bertelsmann Group).

Damit trifft der Herstellungs-Profi einen zentralen wunden Punkt. Und sagt damit nicht so sehr etwas Neues über Zuschauergewohnheiten und Rezeption, aber indirekt etwas über Ausbildungs-Strukturen.

Der Palmer-Effekt und die Soap-These

Sein Lieblingsbeispiel macht das deutlich: Die Figur des David Palmer in der Fox-Reihe "24", sagt Wolf, habe Barack Obama den Weg geebnet (eine auch in der black community durchaus gängige These, auch wenn Palmer nicht der erste der Black Presidents in Pop-Culture war). Das, was tausende Reden, jahrzehntelange Erziehungs- und Bildungs-Maßnahmen letztlich nicht bewirkt hätten, wäre über den Weg der Unterhaltung an die Adressaten, the people, gekommen. An "die Menschen da draußen" eben. Und hätte gewirkt. Weil das, was man lange und intensiv genug behauptet oder vorlebt, egal wie fiktiv es ist, irgendwann real wird.

Links:
Das System Haider, die Hoffnung und die Soap. Anlässlich des Todes von Jörg Haider, 11.10.2008.

Journal '09: 16.12. Unification. Zur Teil-Fusion FPÖ-BZÖ und der popkulturellen Lustbarkeit der politisch inszenierten Serien-Soap.

Orange Patzer - Die Strukturen der Soap in Datum 1/10.

In diesem Zusammenhang ist mir dann eine andere These (eine eigene) eingefallen - wo nämlich der Kern der Kommunikationsstrategie der österreichischen Rechtspopulisten zu finden wäre: bei der Soap.
Hier bei Haider taucht dieses Thema erstmals auf, dann da anlässlich der FPK-Rückholung und hier am deutlichsten in einem Text fürs Datum.

Auch im Verhalten von Haider/Strache nämlich werden die Botschaften (ausschließlich) über die Unterhaltungs-Abteilung gesetzt. Und es funktioniert genauso, wie Herr Bauer das im Fall von 24 oder dem als aktueller Anlass dienenden Dschungelcamp darstellt: nicht das Sachthema setzt die Agenda, sondern seine Dramatisierung.

Von Info-, Edu- und Dokutainment

Dieses mittlerweile recht gesicherte Wissen wird in der Medien-Ausbildung nicht umgesetzt: immer noch sind Hochschulen und Medien-Schmieden jeglicher Art auf das Ideal konditioniert: auf den hochwertigen Nachrichten-Journalismus. Dass der in Zeiten wirtschaftlicher Nöte, personeller Überbesetzung, flächendeckender PR-Durchdringung, peinlicher Copy-Paste-Ethik und sinkender Aufnahmefähigkeiten rein gar nicht mehr hochwertig ist - das ist eine andere Frage; hier geht es um ein anzustrebendes Ausbildungs-Ideal und die Beschränkung auf den Core-Bereich.

Solange nämlich die, die die Weitergabe politischer Informationen als zentrale Aufgabe ihrer staatsbürgerlichen Pflicht betrachten, das in einem mittlerweile hermetischen Bereich, wo man ausschließlich zu den Konvertiten predigt, tun und sich weiterhin nur darauf beschränken, wird ihre Wertigkeit und auch Bedeutung rasch und massiv sinken.

Gleichzeitig wird und muss die Bedeutung derer, die sich in der aktuell noch allzu diffus definierten Grauzone zwischen Infotainment, Edutainment und Dokutainment bewegen, steigen. Armin Wolfs Master-Thesis behandelt diese Entwicklung mit schneidender Logik.

Nur: niemand in der Branche handelt danach. Und, keine Sorge, ich nehme mich/uns da gar nicht aus. Auch, weil ich mich frage, ob nicht allzuviel Rücksichtnahme auf ein zunehmend illiterates, rein an optischen Reizen interessiertes Publikum für ein Audio/Text/Musik-Medium wie FM4 nicht recht idiotisch wäre; und weil es letztlich unsere/meine Aufgabe ist, die letzten Outposts zu versorgen.

Das Ende der Old School, der Aufstieg des Tainment-Faktors

Im Mainstream aber wird sich diese Verlagerung des gesellschaftlichen Diskurses in die Unterhaltung schnellstens niederschlagen müssen. Letztlich werden es die "Tainment"-Redakteure der diversen Sparten sein, die die bestmögliche Ausbildung brauchen, handwerklich, aber auch ethisch. Dass man die "Lustigen", die "Kreativen", die Spinner und Spielerfinder, die Autoren und Programmgestalter, die alle Medien aufpeppen (denn das ist keine reine Spielweise der audiovisuellen Medien mehr, für den Print-Bereich gilt längst Ähnliches) bislang aus irgendwelchen Randbereichen reingeholt und dann auch kaum weitergebildet hat, mag ein Versäumnis der Vergangenheit sein - das gegenwärtige Wissen entschuldigt eine künftige Schludrigkeit jetzt aber nicht.

Der herkömmliche Journalist wird weiter ein spezielles Publikum, einen hübschen Core- oder Spezial-Bereich bedienen - die wirklich User-relevante Arbeit wird aber dem 'tainment-Redakteur zufallen. Der muss dann dafür sorgen, dass die Palmer-Effekte zustandekommen.
Die entsprechende Ausbildung dazu müssen wir jetzt einfordern und/oder erfinden - was natürlich nicht ohne einen gewaltigen Sprung über ganz viele Distinktions-Schatten und eine ganze Latte aufgeplusterte Journalisten-Egos der alten Schule geht.