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Pia Reiser

Filmflimmern

25. 1. 2011 - 15:52

Könige, Nerds und Cowboys

Jetzt gab es sie also doch noch, die Überraschungen in Sachen Oscar-Nominierungen, an die man nicht mehr so recht geglaubt hat. Und: Die haben doch glatt auf Garfield vergessen!

Alle Nominierungen gibts zB auf der imdb zum Nachlesen

Heute wurden sie bekannt gegeben, die Nominierungen für die Academy Awards, die am 27. Februar 2011 vergeben werden; Mo'Nique and Tom Sherak, Präsident der Academy of Motion Picture Arts and Sciences gaben sich und uns die Ehre.

Wie schon letztes Jahr gehen zehn Filme (zuvor waren es lange nur fünf gewesen) in der Kategorie "Best Picture" ins Rennen, da hat es "Toy Story 3" - nach groß angelegter Kampagne - jetzt tatsächlich hineingeschafft, ist aber natürlich auch als "Best Animated feature" nominiert. Zweite Überraschung in der Kategorie ist "Winter's Bone", der eher kleine Produktion (der u.a. auch auf der Viennale zu sehen war), die in den letzten Wochen vermehrt Aufmerksamkeit bekommen hat. Zwar nicht wirklich überraschend, aber für mich nicht ganz nachvollziehbar ist die Nominierung für "The Kids Are All Right" (will man hier beweisen, dass man eh auch an LGBT-Themen interessiert ist? Ich weiß es nicht).

Mit "Winter's Bone" und "The Kids Are All Right" sind zwei Regisseurinnen hier vertreten, das ist ein kleiner Oscar-Rekord und vielleicht gibt es ihn doch, den Bigelow-Effekt.

Nominierte Filme, die in Österreich schon gelaufen sind und hier rezensiert wurden:
Black Swan: Markus Keuschnigg gefällts nicht
Black Swan:Christian Fuchs ist begeistert
The Social Network
The Kids Are All Right
Inception
A Single Man

Die restlichen Nominierungen in dieser Kategorie waren schon vorher abzusehen: Danny Boyles "127 Hours" (Bergsteigen), Aronofskys "Black Swan" (Ballett und Wahn), David Finchers "The Social Network" (Facebook und Männerwelten), Christopher Nolans "Inception" (Limbo), Tom Hoopers "The King's Speech" (Könige und hartes Sprechtraining) und "True Grit" (Cowboys, Mädchen, Rache) der Coen-Brüder.

Bardem me

David O. Russell, Ethan Coen, David Fincher, Tom Hooper und Darren Afonofksy sind in der Keategorie "Best Achievment in Directing" nominiert. Eine reine Männerriege. Mit Tom Hoopers "The King's Speech" geht eine britische Produktion ins Rennen, in der Kategorie "Best Actor in a Leading Role" rutscht mit der Nominierung von Javier Bardem gar eine mexikanische Produktion hinein. Die Oscars weichen auf, ruft Markus Keuschnigg im Vorbeigehen. Recht hat er. Bei "Best Writing, Screenplay Written Directly for the Screen" finden wir dann auch noch mit einer Nominierung für Mike Leigh ("Another Year") eine weitere britische Produktion.

Bridges vs Firth, die zweite

Wie schon im letzten Jahr treten in "Best Actor in a Leading Role" Jeff Bridges ("True Grit") und Colin Firth ("The King's Speech) gegeneinander an, dieses Jahr wird Bridges das Nachsehen haben und Firth, der schon letztes Jahr für "A Single Man" ausgezeichnet hätte werden sollen, wird den Preis entgegennehmen. Jesse Eisenberg ist für seine Mark-Zuckerberg-Interpretation nominiert und James Franco ist ein weiterer junger Mann, der von Danny Boyle auf eine kleine Odysse geschickt wird, statt zur Millionenshow geht es jetzt in die Wüste und die Berge. Franco, der die Oscars gemeinsam mit Anne Hathaway moderieren wird, hat für den Fall, dass er gewinnt, bereits einen Freund gebeten, den Preis entgegen zu nehmen. "Barry is going to [take it]," he joked. He was referring to his good pal and publicist Barry Johnson. "Remember Marlon Brando had somebody accept it for him, Barry is asked."

James Franco

centfox

Arm dran und Arm ab: James Franco in "127 Hours"

Überraschung bei "Actress in a leading role", hurra, Michelle Williams finden wir hier, nominiert für "Blue Valentine" (ein Favorit beim FM4 Exit Poll 2010), erstaunlich wenig blockbusterisch geht es in dieser Kategorie zu. Man rechnet damit, dass Natalie Portman, wie schon bei den Golden Globes, für ihre Rolle in "Black Swan" ausgezeichnet wird. Auch hier findet sich der Indie-Liebling "The Kids Are All Right", Annette Bening ist nominiert, Julianne Moore allerdings nicht. Da muss jemand eine Münze geworfen haben. Neben der leicht gestressten lesbischen Mutter (Bening) gibt es hier noch eine Mutterrolle: In "Rabbit Hole" spielt Nicole Kidman eine Mutter, deren kleiner Sohn bei einem Unfall stirbt. Vorschusslorbeeren berichten von einer heartwrenching performance. Überraschend ebenso die Nominierung für Jennifer Lawrence in "Winter's Bone".

The Kids Are All Right

UIP

Anette Bening und Juliane Moore in "The Kids Are All Right"

Viel gerätselt wurde im Vorfeld, ob die erst 14-jährige Hailee Steinfeld wohl für ihre Rolle der den Tod des Vaters rächenden Tochter in "True Grit" nominiert werden würde, nun es ist passiert. "The Fighter" ist hier gleich zweimal vertreten, mit Amy Adams und Melissa Leo. Amy Adams ist in jedem ihrer Filme derart präszise und überwältigend und zurückhaltend zugleich, dass man es schon gar nicht mehr wahrnimmt (der Alan-Rickman-Effekt). Helena Bonham Carter ist zur Abwechslung mal wieder frisiert in einem Film und prompt gibts eine Nominierung, sie spielt in "The King's Speech" die Frau des stotternden Königs. Jacki Weaver führt momentan alle Ranglisten der schrecklichsten Filmmütter an, zu sehen in "Animal Kingdom". (Generell ist böse Mutter ein gutes Omen, letztes Jahr gabs den Oscar für Mo'nique in "Precious").

Jeremy Renner, letztes Jahr im "Best Picture" "The Hurt Locker" zu sehen, taucht heuer in der Kategorie "Best Supporting Actor" auf, nominiert für seine Rolle in Ben Afflecks Bankräuberthriller "The Town". Mark Ruffalos Darstellung des sympathischen down-to-earth-Kerls in "The Kids Are Allright" wurde mit einer Nominierung belohnt. Der im Vorfeld als großer Favorit geltende "The King's Speech" ist auch hier vertreten: Geoffrey Rush gibt den Sprachtherapeuten.Weiters dabei: John Hawkes für "Winter's Bone" und Christian Bale für "The Fighter": Wer fehlt? ANDREW GARFIELD, um Himmels Willen. Vielleicht hat der nahende Spider-Man Ruhm ihm hier die Chancen geraubt. Ich fand ihn in "The Social Network" ganz großartig.

Kein "Wir sind Oscar" gibts dieses Jahr für Österreich und Deutschland, weder "La Pivelinha" noch "Die Fremde" wurden in dieser Kategorie nominiert. Dafür der oben bereits erwähnte Biutiful von Alejandro González Iñárritu, "Kynodontas" von Giorgos Lanthimos, "Hævnen" von Susanne Bier, "Incendies" von Denis Villeneuve und "Hors-la-loi" von Rachid Bouchareb.

Der stammelnde König

"The King's Speech" hat sich laut und unheimlich zum geherzten Liebling der Filmwelt gemausert und geht mit 12 Nominierungen ins Rennen. Ohne den Film noch gesehen zu haben, riecht die ganze Produktion nach Oscar-Kalkül. Colin Firth spielt König George VI, der nach Training mit einem Sprachtherapeuten sein Stottern überwindet und sich in einer aufsehenerregenden Rede an die Nation wendet. Geschichten vom Überwinden einer Schwäche durch harte Arbeit mag Tinseltown genausogern wie Filme, die auf wahren Begebenheiten beruhen und wo man ausstattungstechnisch ein wenig auftrumpfen kann. Yay: "The King's Speech" erfüllt gleich all diese Anforderungen.

Drehbuchautor David Seidler litt selbst unter seinem Stottern, das, wie er meint, eine Reaktion auf u.a. die Flucht seiner Familie von England in die USA während des zweiten Weltkriegs gewesen sei. “I’m pretty sure I left England speaking normally. But I arrived in America as a stutterer.", so Seidler hier.

Clin Firth und Helena Bonham Carter in dem Film "The King's Speech"

Constantin Film

Ich würde ja "The Fighter" ganz genau im Auge behalten. Das Schöne am Film ist unter anderem, dass Desinteresse für Themen ausgehebelt wird durch z.B. einen Regisseur, der sich dieses Themas annimmt. Einen Aronofsky-Wrestler-Film will ich mir natürlich anschauen. Genauso wie ein Boxfilm plötzlich mein Interesse weckt, weil er von David O. Russell ist. Russell, der mit seinem Haus- und Hofschauspieler Wahlberg wohl eine de Niro bzw. diCaprio/Scorsese-Beziehung anstrebt, hat bis jetzt sehr wenige, dafür umso verschiedenere und überaus interessante, Genregrenzen übertretende, Filme gemacht. Von "Three Kings" - Clooney, Ice Cube und Spike Jonze in einem Film - über die existentialistische Komödie "I heart Huckabees" und nicht zu vergessen sein Frühwerk "Flirting with Disaster". Womit wir wieder bei Ben Stiller wären. Mit dem Boxerdrama "The Fighter" geht Russell ins Oscarrennen und Christian Bale macht wieder die Zellweger-Routine und zeigt uns, dass ihm kilohaushaltstechnisch keiner was vormachen kann. Bale ist der Defibrillator, der das method acting am Leben hält. Er und Wahlberg spielen in "The Fighter" boxende Halbbrüder, die Geschichte basiert auf dem Leben von Micky Ward und Dicky Eklund. Aronofsky hat hier übrigens als executive producer seine Hände im Spiel.

Weinstein COmpany

The Machinist und Marky Mark

Nolans "Inception" hat zwar ebenfalls acht Nominierungen, aber die finden sich hauptsächlich in den Technik/Musik-Kategorien. Es ist die Rückkehr des Schauspielkinos, murmelt Markus Keuschnigg, der schon wieder hier vorbeigeht. Überholt wurde der schon so lange als sicherer Kandidat gehandelte "The Social Network" vom Coen Western "True Grit", der auf zehn Nominierungen kommt. Das Western Remake der Coen Brüder, die 2008 den Oscar für "Best Picture" (No Country for Old Men) mit nach Hause nahmen, wurde bei den Golden Globes ignoriert, bekam auch wenig Aufmerksamkeit im race to the Oscars, mausert sich aber zum Publikumsliebling in den USA. Die zwölf Nominierungen waren eine große Überraschung. "The Social Network" kommt auf acht Nominierungen und "Black Swan" auf fünf. (Neben "Best Film" und "Best Achievement in Directing" und Portmans Nomierung noch Best Cinematography (Matthew Libatique), Best Editing (Andrew Weisblum) und Best Make Up).

Black Swan

Centfox

Was mir in den letzten Tagen im Kopf herumgeistert sind die verschiedenen Welten von "Black Swan und "The Social Network". "Black Swan" setzt auf Bilder, Wahnvorstellungen, verzerrte Realitäten, Fokus auf Körper und dessen Schwachstellen und Frauen, während - beinahe als Gegenpol dazu - "The Social Network" ein männderdominierter Film ist, der Moral, Gewissen, Gerechtikgeit, Neid und Geschäftssinn verhandelt und in der Realität verankert ist. Ein soziophober Eigenbrötler, der ausgerechnet mit einem social network Geschichte schreibt. Hier bleiben weniger die Bilder im Kopf (außer natürlich der Pyjamahosen-Schlapfen-Bademantel-Auftritt von Eisenberg), als die Sprache. Man kann sich die Großartiggkeit von "The Social Network" tatsächlich nicht erklären bis man ihn gesehen hat, weil der Film so exakt und gewaltig auf Sprache setzt, dass man dann erst merkt, wie vernachlässigt dieser Punkt in aktuellen Produktionen oft wird. Aaron Sorkin ist ein Schnitzmeister der Dialoge, ein Wortbaumeister, ein Spannungskonstrukteur. Dieser Oscar scheint so gut wie eingesackt. Sowas von zurecht.

The Social Network

Sony

Am 27. Februar, wenn die Oscars in Los Angeles vergeben werden, und James Franco angeblich singen und tanzen wird, treffen wir uns hoffentlich alle wieder hier. Zum Live-Kommenar. Und was wär der ohne euch!