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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

24. 1. 2011 - 19:58

Journal 2011. Eintrag 21.

Die "Vermachtung" und die Sache mit der Medien-Berichterstattung in den Medien.

Das Jahr 2011 bietet wieder ein Journal, ein fast tägliches, wie schon 2003, 2005, 2007 und 2009.
300 Einträge werden zusammenkommen, vielleicht auch mehr. Dazu komplettieren 60 oder 70 Einträge ins Fußball-Journal '11 die diesjährige Blumenau-Show im Netz.

Meist wird es hier Geschichten/Analysen geben, die ich als passionierter Medien-Konsument selber gern gelesen/-sehen/-hört hätte, aber nirgendwo gefunden habe; und deshalb selber ausforschen und durchdenken muss.

Heute schließe ich ein wenig an gestern, also an Fragen der Moral und der Verantwortung in den Medien an.
Wie sieht das mit der Selbstwahrnehmung, oder der der Branche, der Kollegen, der Konkurrenz aus? Und, warum gibt es in Österreich weder eine gute Medienseite noch ein gutes Medienmagazin?

Ein paar Beispiele von Medienberichterstattung in Deutschland - im Radio, im Fernsehen oder im Printbereich, dazu noch ein paar Blogs und Online-Magazine.

Beispiele in Österreich: das Medienmagazin Recherche, der Medieninsider, das Ö1-Magazin Matrix, der Standard-Etat oder das Watchblog Kobuk.
Wenn euch noch ein wichtiges/interessantes einfällt - Mail an mich!

Die in Hamburg tätige Professorin und Kommunikationswissenschafts-Dozentin Irene Neverla ist in mehr als einer Hinsicht eine interessante Gesprächs-Partnerin, ihre Ausbildung erfolgte in Wien und Salzburg, sie hat aber den - kühleren - deutschen Blick auf die Materie; und sie hat sich auch ernsthaft mit den neuen Medien beschäftigt - was sie über einen Gutteil der Kollegenschaft und auch über die breite Mehrheit der heimischen Praktiker erhebt.

Ihren deutschen Standort zeigt sie, wenn sie in einem Standard-Interview (Anlass: der österreichische Presserat konstituiert sich, endlich, diesen Mittwoch) einen Begriff wie "Vermachtung" verwendet (der die enge Verflochtenheit zwischen politischer, wirtschaftlicher Macht und den Medien-Besitzern bezeichnet). Das klingt so ungut nach einer flapsigen Manager-Politik der Marke Gerhard Schröder, das man wenig erstaunt die Richtigkeit dieser Zuschreibung herausfindet. Allerdings ist die Vermachtung durchaus schon vorher ein wissenschaftlicher Begriff gewesen.

Vielleicht hilft dieses durch Neverla neu ins Spiel gebrachte und leicht über die Lippen und Tastaturen kommende Wort ja auch den hiesigen Medien künftig offener mit den eigenen Befangenheiten und Abhängigkeiten umzugehen.

Befangen- und Abhängigkeiten

Denn die Medien-Berichterstattung in den Medien ist, vor allem im durch und durch am Vermachtungs-Virus leidenden, hochbeengten Österreich, die politischste und strategisch ausgetüftelste und somit die am allermeisten von den Entrepreneuren ausdefinierteste Stelle jedes Mediums.

Und zwar egal, ob sie, die Medien-Berichterstattung in den Medien als solche gekennzeichnet ist, als eigenes Ressort etwa, oder ob sie sich durchs ganze Blatt zieht, wie im Boulevard, und omnipräsentes Kampf-Mittel, quasi das Super-Remedy im Infight gegen jegliche Konkurrenz.

Was in anderen Bereichen (Politik) teilweise noch recht tabu ist, sich aber mittlerweile durch die ursprünglichen Moral/Ethos-Positionen durchgefressen hat wie Alien-Speichel durch die Decks der Nostromo (Wirtschaft und Kultur, vor allem aber im Sport...) ist in der Medien-Berichterstattung seit jeher die Normalität: es werden ausschließlich gefällige Nachrichten veröffentlicht, der auch die Experten und Befragten unterliegen.
Das ist so, als würde das Medium XY nur mit Rapidlern, VPlern, T-Mobilern und dem Burgtheater sprechen aber so tun, als würde man diese Sparten seriös bearbeiten.
Also eine groteske Verzerrung der Realitäten, eine bewusst in Kauf genommene - nicht als das Äquivalent der Rapid-Mitgliederzeitung, des VP-Pressedienst, die T-Mobilewerbung oder die Hartmann-Pressekonferenzen.
Nur: diese Beispiele sind von jedem Kind zu durchschauende Selbstdarstellungen - die Medien-Berichterstattung in den Medien erhebt aber einen Objektivitäts-Anspruch.

Vermachtung und der Proll-Faktor

Das passiert, überall und erschreckenderweise auch komplett unhinterfragt, durch einen breiten österreichweiten Konsens getragen - alles auf Basis einer mediokren demokratiepolitischen Kultur wesentlicher Verantwortungsträger dieses Landes.

Selbst das (wie schon gesagt, interessante) Neverla-Interview funktioniert nach diesen Kriterien: abgefragt wird ganz bieder und allgemein, abgedruckt werden dann die Antworten, die man (in diesem Fall der Verlag) gerne hört: Machtkonzentration der anderen, ORF-Bashing, diesmal immerhin mit der (bei österreichischen Pendants immer fehlenden) deutlichen Einschränkung auf den TV-Bereich, Ausbildungs-Kritik und Technologie-Panik-Entwarnung - also eben genau der (vergleichsweise harmlose und fast schon liberale) Standard-Mix.

Das interessanteste Detail: Neverlas Analyse des Bildungsgefälles der österreichischen Journalisten. Die sind nämlich formal nur genau halb so gebildet wie die deutschen Kollegen. Das heißt nicht, dass sich die heimischen Medien in der Hand von irgendwelchen illiteraten Prolls befinden (obwohl: genau das täglich mehrmals etliche Beispiele, vor allem im Aggro-Boulevard eigentlich eh vermuten lassen) - es bedeutet aber gleichzeitig weniger Unabhängigkeit und Integrität für die Akteure. Wer nichts kann, muss mehr ertragen, sich stärker ducken, dauernd die Schere im Kopf einsetzen.

Da kann es keine selbst- oder branchenkritische Auseinandersetzung, wie sie in der deutschen Qualitätspresse, vor allem aber in der ARD, beim sensationell hartnäckigen und auch in den eigenen alle Torheiten ansprechenden NDR-Magazin Zapp existiert, geben.

Ceterum Censeo: für ein TV-Medienmagazin!

Und die einzige Chance etwas auf die Beine zu stellen, die in Österreich auch wirklich funktioniert (das dafür dann besser als in Deutschland), nämlich das langsame, leise und beharrliche aber (für die nur auf das Grelle achtenden Zensoren unsichtbare) unauffällige Reformieren von innen, die eine wirklich relevante und substanzielle Medien-Berichterstattung nach sich ziehen kann, wird sich in diesem Kontext der Ängstlichkeit nicht machen lassen.

Von einem TV-Medienmagazin, wie es der Publizistik-Professor Fritz Hausjell in einer Art ceterum censeo bei jedem seiner Auftritte fordert, ist gar nicht zu reden: das wird von den relevanten und kontrollierenden gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Kräften in seit jeher unausgesprochener Klarheit abgelehnt. Die einzige historische Ausnahme, Kurt Tozzers "Schwarz auf Weiß", war von veritabler Zahnlosigkeit - Tozzer wurde später konsequenterweise Täglich Alles/Ganze Woche-Kolumnist.

In der Post-Mück-Ära ist es jedoch kein Problem mehr bei politischen TV-Interviews auf die deutliche Vermengung der Interessenslagen von Medien, ihren Kampagnen und der Politik hinzuweisen - wie es zuletzt im Fall der Wehrpflicht wieder der Fall war.

Dass der neue Hörfunk-Direktor bei seinem kürzlich erfolgten Amtsantritt auf eine Anfrage nach einem Medien-Magazin auf Ö1 durchaus positiv reagierte - immerhin. Und immerhin hat Ö1 im Bereich der neuen Medien mit Matrix sowas wie die Feldhoheit.

Bis nach Ungarn ist es gar nicht so weit

Einzelbeispiele wie die hier (und auch oben seitlich) angeführten (alle die ich vergessen, übersehen habe - es werden sind nicht so viele sein - sorry!) werden die Misere aber nicht beheben. Wo der Mainstream, oder Boulevard die Verlags-Interessen in Berichtsformat gießt, wo die Qualitätsmedien ihren Besitzerstrukteren Dienliches als freie journalistische Meinung präsentieren (der Klassiker: Horst Pirkers ORF-Filetierungs-Attacken via Styria-Verlag), wird lange kein Gras mehr wachsen.

Apropos Ungarn und sein restriktives Mediengesetz am Rande des Autoritären: davon ist in der österreichischen Öffentlichkeit und, schlimmer noch, in der veröffentlichten Meinung, der Kollegenschaft, weiterhin kaum die Rede. Österreich ist weiter zu nichts nutze.

Langfristig hilft nur eine bessere Ausbildung, die das, was in den technischen und Wirtschafts-Studien aktuell verlorengeht, nämlich eine Fach-Philosophie und (siehe den Anlass-Fall des Presserats) eine ehrliche Ethik-Debatte beeinhaltet; eine Entwirrung der höchst ungesunden Presse-Konzentration; eine gemeinsame Vorbeugungs-Aktion von VÖZ und ORF um die auch von vielen hiesigen Machtvollen mit Wohlwollen betrachtete ungarische Lösung hintanzuhalten. Und den Willen des Einzelnen sich nicht jeder Scheinmoral zu unterwerfen und endlich das zentrale Gut des Journalismus wieder von der Ofenbank des Vergessens zu zerren: das Hinterfragen festgefahrener Sichtweisen.